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Interview mit Past The Mark (24.10.2011)

Past The Mark

Marc Urselli ist ein Grammy-dekorierter Musiker, Produzent, Sound Designer und macht so ziemlich alles, was man im Bereich der Musikproduktion machen kann - kurzum ein Workaholic, wie er im Buche steht. Nachdem er 2009 mit dem Industrial-Projekt THE M.E.M.O.R.Y. LAB überzeugte, hat er in diesem Jahr in Zusammenarbeit mit seinem alten Freund Vince Pastano, der ein angesehener italienischer Gitarrist ist, ein spannendes Instrumental-Album unter dem Namen PAST THE MARK veröffentlicht. 

Hallo Marc. Wie geht’s und woran arbeitest du gerade, abgesehen von diesem Interview?

Mir geht’s es super. Ich bin gerade zurück von einer einmonatigen Tour mit Lou Reed und produziere gerade das Album der irischen Band PREACHER’S SON. Außerdem arbeite ich an zwei eigenen CDs. Die eine ist ein Experimental-Noise-Album, die andere Drone Metal. Und danach werde ich mich um eine gemeinsame Electronica-Weltmusik-CD kümmern.

Du hast unter dem Namen PAST THE MARK ein Album mit dem italienischen Gitarristen Vince Pastano aufgenommen. Woher kennt ihr euch?


Jetzt geht es weit zurück in die Vergangenheit. Wir sind in einer kleinen, verschlafenen Stadt in Süditalien ein paar Blocks voneinander entfernt aufgewachsen und sind zusammen zur Schule gegangen. Wir haben unsere erste Band gemeinsam gegründet und solche Sachen. Danach haben wir uns aber für eine zeitlang aus den Augen verloren. Ich bin nach New York gezogen und er nach Bologna. Ein paar Jahre später haben wir wieder Kontakt aufgenommen und uns dafür entschieden, wieder gemeinsam Musik zu machen.

Ihr habt mit der Arbeit an PAST THE MARK 2003 begonnen. Wie kam es dazu und warum?

Es begann als ein Fernexperiment und wurde zu einer Platte. Wir haben uns überlegt, einen Song gemeinsam zu schreiben, ohne im gleichen Raum zu sein, nur durch den Austausch von Ideen über das Internet. Zu der Zeit war das noch nicht so geläufig wie heute. Wir mochten das Ergebnis und haben dann mehr und mehr geschrieben, bis wir genug für ein Album hatten.

Habt ihr für die Musik, die ihr erschaffen wolltet, irgendwelche Rahmenbedingungen gesetzt?

Überhaupt nicht. Absolute Freiheit. Das einzige, was wir festgelegt hatten, war, dass wir diese Platte aus der Ferne machen wollen.

Und wie muss man sich das im Detail vorstellen? Hat Vince dir Riffs und Akkorde geschickt, die er gespielt hat und aus denen du dann einen Song gemacht hast, wenn sie dir gefallen haben und ihm dann zurück geschickt hast, damit er sich dazu äußert?

Genau so. Selbst wenn ich etwas, was er gemacht hat, nicht mochte (was selten war), habe ich daran gearbeitet, bis ich es mochte und ihm zurück geschickt. Manchmal habe ich absichtlich den entgegengesetzten Weg von dem, den er gegangen ist, weiter geführt, nur um zu sehen, wo es uns hinführen würde. Kenny Wollesen hat mir gegenüber mal mit den Worten von Steve Bernstein interpretiert: “Wenn man alles plant, erlaubt man nicht, dass irgendetwas Unvorhergesehenes passiert, wenn man aber nichts plant, kann etwas magisches passieren.”.

Habt ihr denn auch Konferenzen über das Internet abgehalten, bei denen ihr mit Webcams verbunden wart und geprobt und Ideen diskutiert habt?

Past The MarkNicht wirklich. Wegen unserer Zeitpläne und der verschiedenen Zeitzonen haben wir nur selten geskyped. Wir haben das in den sieben Jahren vielleicht ein oder zwei mal gemacht, um bestimmten Themen zu diskutieren, aber es war nicht wirklich ein Teil des kreativen Prozesses.

Aber hättet ihr nicht gerne auch mal für eine gewisse Zeit, sagen wir mal zwei Wochen am Stück, gemeinsam an der Musik gearbeitet?

Ja und nein. Es wäre natürlich toll gewesen, das auch zu machen, aber es sollte halt auch ein Experiment bleiben. Aus der Notwendigkeit heraus vielleicht, aber trotzdem ein Experiment. Zusammenarbeiten ist eine gute Sache, aber viel von der Arbeit, die ich an dem Album hatte, war Produzieren und Komponieren und das mache ich lieber alleine, weil es auch für jemanden neben mir ziemlich öde sein kann. Ich gehe eine Millionen Loops durch und arbeite dann eine halbe Stunde lang an etwas, bis es perfekt ist und so weiter…

Welche konkreten Vorteile hast du also an der Art und Weise, wie ihr das Album gemacht habt, gesehen?

Die offensichtlichsten Vorteil sind, dass die Entfernung genullt wird und man ein besseres Zeitmanagement hat. Verschiedene Zeitpläne und verschiedene Länder sind kein Thema mehr. Wenn ich wüsste, wie man Jazz spielt, würde ich so eine Platte niemals machen. Für elektronisch/akustische Musik ist das Zusammenspiel der Musiker der Schlüssel zu einem tollen Album, aber in der Welt der elektronischen Musiken laufen die Dinge normalerweise anders.

Ihr habt sieben oder acht Jahre gebraucht, um das Album fertig zu stellen. Ihr habt euch also keinerlei Limits gesetzt und an der Platte gearbeitet, wenn ihr die Zeit dafür hattet?

Exakt. Wir wollten ursprünglich nur eine EP machen, haben aber dann weiter Songs geschrieben. An einem Punkt vor ein oder zwei Jahren schickte Vince mir dann drei oder vier Ideen auf einmal und meinte, dass er ein ganzes Album machen wollte, also musste ich dann in einen höheren Gang schalten, um das Album fertig zu bekommen.

Habt ihr auch mal darüber nachgedacht, Gesang hinzuzufügen? Ein paar der Songs sind ja recht eingängig, da hätte eine Stimme sicher gut gepasst.

Ich stimme zwar zu, dass ein paar der Songs auch mit Gesang funktionieren würden, aber wenn man einen Gitarristen wie Vince hat, braucht man keinen Sänger. Er lässt die Gitarre singen und die Gitarre wird dadurch führend und übernimmt die Führung.

Wann entstanden denn welche Songs? Meiner Meinung nach gibt es drei Kategorien von Songs auf dem Album, atmosphärische Chillout-Nummern, die eingängigeren, die ich bereits erwähnte und komplexere Songs, die in Richtung progressiver Artrock gehen. Welche kamen zuerst, welche später? Oder ist es unmöglich, sie zeitlich zuzuordnen?
 
Du bist sehr scharfsinnig und der erste, der danach fragt. Interessante Folgerung, Sherlock Holmes. Wir finden, dass die Songs trotz der sehr unterschiedlichen Zeiten, in denen sie geschaffen wurden, sehr homogen sind. Es gibt natürlich gewisse Gruppen von Songs, wobei einige Songs aus verschiedenen Gruppen zur gleichen Zeit geschrieben wurden, weil Vince und ich sehr eklektisch und vielseitig in unseren Hörgewohnheiten sind. Vince kann so ziemlich jedes Genre auf der Gitarre spielen und ich höre und nehme alle Arten von Musik auf.

Past The MarkIch kann die genauen Zeitpunkte nur anhand der Erstellungsdaten der Pro Tools Dateien nennen, aber ich kann sagen, dass der erste Song, den wir zusammen gemacht haben, “Big Red City Apple Souls” war. “red city” bezieht sich wegen der politischen Ansichten und wegen der roten Ziegel, die dort oft verbaut wurden, auf Bologna, während New York bekanntlich als “big apple” bezeichnet wird, daher kommt also der Titel. Das war die ursprüngliche Zusammenarbeit. Der zweite Song, den wir geschrieben haben, war “Oz On The Moon” und ich glaube der dritte war “Tablasity”. Es gab noch einen Song aus dieser Zeit, aber der hat es nicht auf das Album geschafft. Die allerletzten Songs, die wir für die Platte geschrieben haben, sind die ruhigeren wie “Yell Low & Good By” und “Abutting Dissident”.

Und welche der Songs bedeuten dir mehr und warum?

Um ehrlich zu sein, mag ich sie alle. Weil ich so viele verschiedene Sachen hören, kann ich das Album bis heute genießen. Oftmals sind Musiker ihrer Platten ja überdrüssig, wenn sie fertig damit sind und ich denke, dass Vince teilweise der Meinung ist, dass sein Spiel auf den früheren Songs seinen aktuellen Stil nicht mehr repräsentiert. Und obwohl ich an neuen Platten arbeite, gefällt mir diese immer noch sehr gut und ich höre sie immer wieder mit Freuden, so wie jetzt, wo ich die Fragen dazu beantworte.

Du hast es ja gerade schon angerissen. Wie habt ihr die Titel für die Songs ausgesucht? Habt ihr sie erst ausgesucht, nachdem die Songs fertig waren oder habt ihr auch Songs auf Titeln aufgebaut, die ihr schon hattet?

Die Titel habe ich mir in den letzten Wochen bevor es ins Presswerk ging, ausgedacht. Wir hatten über die Jahre Arbeitstitel für die Songs, aber ich habe mir komplett neue Titel überlegt. Die Titel sind sehr kryptisch, aber haben meist auch etwas spezifisches mit dem jeweiligen Song zu tun. Ein paar sind Geheimnisse, über die ich nicht sprechen kann, andere sind Referenzen an Menschen oder Orte. Es gibt auch Wortspiele, das liebe ich. Der Albumtitel “Hakhel Tribulation” bezieht sich auf die Bibel. Ich bin nicht religiös, habe aber viele jüdische, katholische und protestantische Freund und beide Wörter, “hakhel” (das ist eine religiöse Versammlung, die alle sieben Jahre stattfindet und bei der aus der Tora gelesen wird) und “tribulation” (die große Drangsal), sind Dinge, die sieben Jahre dauern.

Wollt ihr denn mit PAST THE MARK weitermachen oder ist das eine einmalige Angelegenheit. Ein zweites Album wäre dann ja frühestens 2019, 2020 fertig…


Haha. Touché! Aber verständlich. Ich hätte nichts dagegen, eine weitere Platte zu machen, aber wir haben noch nicht darüber gesprochen und wir hätten wohl beide Sorge, dass es wieder so lange dauert. Wir sind beide sehr beschäftigt und arbeiten ständig an neuen Sachen, wie auch immer, am Ende arbeiten wir doch wieder zusammen. Wie gesagt arbeite ich ja gerade an einem Album für eine irische Rockband namens PREACHER’S SON und ich habe Vince für ein paar Gitarrensachen auf dem Album angeheuert. Ich habe auch ein paar von Vinces anderen Alben gemixt und gemastert. In anderen Worten, wir arbeiten ständig zusammen, haben aber noch nicht darüber gesprochen, ein weiteres Album von PAST THE MARK zusammen zu machen. Falls wir es aber doch tun, habe ich schon ein paar Ideen.

Was aktuell ansteht, hast du ja schon erwähnt…

Past The MarkIch habe wie gesagt eine Experimental-Noise-Platte fertig gestellt, die ich hoffentlich Ende des Jahres veröffentlichen werden. Außerdem arbeite ich an einer Drone-Metal-Platte, die hoffentlich irgendwann nächstes Jahr erscheint. Danach möchte ich eine Dark-Ambient-Platte und eine mit Weltmusik, für die ich Feldaufnahmen während meiner Reisen um die Welt gesammelt habe, machen. Vince hat gerade sein zweites Soloalbum mit romantisch-düsterem Rock veröffentlicht, auf dem er Gitarre spielt und auch singt. So wie ich ihn kenne, schreibt er gerade sein drittes, während ihr das hier lest.

Welche Musik hörst du selber zur Zeit? Und welche zeitgenössischen Musiker magst oder bewunderst du und warum?

Ich höre wirklich alles mögliche, von Avantgarde und experimenteller Musik bis Metal; von Jazz und Blues bis Rock und ein bisschen Pop; von elektronischer Musik und Industrial bis hin zu Ambient und Weltmusik. Es wäre einfacher über die Sachen zu sprechen, die ich nicht höre. Einer der Künstler, die ich am meisten bewundere, ist JOHN ZORN. Er ist ein guter Freund von mir und ich habe mit ihm an 40 seiner Alben gearbeitet. Seine Einstellung gegenüber Leben und Arbeit inspiriert mich dabei am meisten. Ich liebe seine Arbeit und seine Musik und jemand, der 15 Alben in einem Jahr veröffentlicht und der daneben noch mehr macht, kann mich nur dazu inspirieren immer mehr und härter zu arbeiten.

Letzte Frage: hattest du Angst vor dem Hurrikan Irene, hast du dich selber irgendwie geschützt und wie hast du den Tag verbracht, als Irene New York traf?


Nein, ich war nicht ängstlich. Ich dachte von Anfang an, dass das nur ein großer Medienhype war und lag richtig. Natürlich gab es ein paar kleinere Beschädigungen, ein paar entwurzelte Bäume, aber das hatten wir hier vorher auch schob. Die amerikanischen Medien übertreiben gerne und verängstigen damit die Leute, damit sie die Supermarktregale leer kaufen. Für die Läden war es ein Segen, man nannte es das “Irene-Konjunkturpaket”. Die städtischen Transportbehörden haben ja die U-Bahnen geschlossen, was ihnen auch viel Geld gespart hat. So gut wie jeder hat mit diesem Hurrikan Geld verdient und das gibt mir echt zu Denken. Glaub den Medien nicht, glaub nicht, was du im Fernsehen hörst.

Dann vielen Dank fürs Beantworten meiner Fragen, die letzten Worte gehören Dir.

Danke für die interessanten und intelligenten Fragen. Ich würde gerne alle daran erinnern, dass sie uns unterstützen können, indem sie das Album auf unserer Webseite und bei unserem Label Nu Jazz kaufen. Wir haben auch eine limitierte, handnummerierte Deluxe Edition der CD gemacht, die mit einem Origamikarton kommt und ein linsenförmiges 3D Cover hat. Die gibt es nur auf unserer Homepage und ist schon fast ausverkauft. Und danke fürs Lesen.

Andreas Schulz (Info)
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