"Seit JUDAS PRIEST sieht Metal aus wie Metal", behauptet nicht nur ein Hammer-Kollege, wohingegen es auch immer schon Stimmen gegeben hat, die der Band Opportunismus vorwarfen. Zweifellos hatten Tipton und Downing seit jeher ein Gespür für Trendwendungen, denen sie sich nicht immer auf überzeugende Weise andienten (80s-Synthie-Wahn mit "Turbo" als Disco bereits in den letzten Zügen lag; Frühneunziger-Aggro-Metal mit Jahren verspätung auf weiten Teilen von "Jugulator"). Im Bewusstsein um die boomende NWoBHM-Szene entwarfen Judas Priest mit "British Steel" sozusagen die Designer-Version dessen, was die jungen Wilden für sich und die metallische Nachwelt erkämpft hatten: ein optisch sauberes Rebellentum in frisch gewichstem Edelleder, dessen musikalischer Ausdruck ebenfalls zu geschliffen und aufs Notwendige heruntergebrochen wirkte, als dass man ihm einen Teil der Progression zusprechen möchte, welche der Metal in seinen nunmehr immer differenzierteren Ausformungen nehmen sollte. Wie auch immer: das Album gereichte Unzähligen dennoch zur Inspiration, sei es bloß in imagetechnischer Hinsicht oder dahingehend, dass man sich maximal effektives Songwriting fürs eigene Schaffen auf die Fahnen schrieb - denn das beherrschten die Musiker einst perfekt. Bei PRIEST waren die psychedelischen und epischen Zeiten damals zumindest vorübergehend vorbei. Heute stehen die Stücke der Scheibe mehr oder minder streitbar für sich und gehören zum unkaputtbaren Kanon harter Rockmusik, selbst wenn man ihre einstweilige Plumpheit nicht schätzt.
Zaster muss in die Kassen, und deshalb feiern Industrie nebst kreativ ausgebluteter Band den 30. Geburtstag des Klassikers, als hätten sie den Remaster der ersten CD sowie die beiden Bonustracks nicht bereits vor wenigen Jahren veröffentlicht. Die 2001er-Fassung kommt nun also im Digipack mit Live-CD sowie DVD erneut in die Regale. Die bewegten Bilder umfassen das Album in Gänze, wie man es 2009 auf die Bühne brachte, während die Bonus-CD nur auf den ersten Blick identisch mit der Audiospur der DVD ist (um "The Prophecy" tut es bestimmt niemandem leid). Den Cash-in-Vorwurf muss man den beteiligten Parteien nicht machen, auch wenn der Release trefflich zur neuerlichen Heiligsprechung klassischer Metal-Mucke passt, derer sich sogar Grindcore-Labels nicht zu schade sind, aber zur Sache: alle Affigkeiten des klischeebeladenen Heavy Metal finden sich auf dem Video wieder: Hüftsteife und synchrones Headbanging, später Bikermütze sowie Hot-Rod während "Freewheel Burning". Viele der im behäbigen Tempo daherkommende Stücke schläfern auf Platte wie live ein - dies sollte kein Nostalgiker abstreiten;"Living After Midnight" war beispielweise damals schon Schrott, und "Breaking The Law" ist im Gegensatz zu anderen Konsensstücken zwischen "Smoke on the Water" und "Paranoid" schlicht so substanzlos, dass man sich fragt, weshalb viele es heute immer noch mögen. Der Sound dürfte nachträglich aufgebessert worden sein (frisierte Background-Vocals aus dem Off sowie Soundeffekte sind zu vernehmen), und dass Rob Halford mittlerweile häufiger Mitleid erregt als Anbetung fordert, hat sich bereits herumgesprochen. Vokalsport muss er bei den Songs von "British Steel" andererseits auch nicht unbedingt betreiben und macht mit seiner Midrange-Stimme eine weitgehend anständige Figur. Erst nach Abspulen der Scheibe betreibt der Frontmann Kommunikation und stinkt auch nicht ab, wenn er "The Ripper" performen muss … aber wie gesagt: was da wirklich aus seinem Mund kam, lässt sich nur mutmaßen. Den Langweiler "Prophecy" wetzen das immer noch beseelte "Hell Patrol" mit deutlich entschäften Vocals sowie "Victim of Changes" aus. Bei der Erwähnung von nervigen Klassikern sollte man den unvermeidbaren Rausschmiss mit "You've Got Another Thing Coming" nicht unterschlagen. Wie bei anderen alten Herren sind es auch im Falle von JUDAS PRIEST die Tracks aus der zweiten Reihe, die weit mehr erfreuen als das Einerlei ("The Rage").
Der Teller fürs Fernsehen ist zusätzlich mit einer halbstündigen Dokumentation zum Album ausgestattet, die nicht zur Besprechung vorliegt. Wer sich dafür interessiert oder den Schatten leibhaftig sehen möchte, den die Band heute darstellt, darf hier auch als Besitzer der Platte erneut zuschlagen - Unbedarfte ohnehin. Alle anderen wird auch diese Aufbereitung nicht davon überzeugen, dass "British Steel" ungeachtet seines Einflusses ein musikalisch überbewerteter Staubfänger ist, der den Aufbruchszeiten um die Jahrzehntwende hin zu den Achtzigern nicht gerecht wird. Das Album wies in seiner Gelacktheit weniger dem Prog und der Aggression im zukünftigen Metal den Weg als der unsäglichen Glam- und Poser-Welle.
FAZIT: Sony überzeugen mit dem Re-Release von "British Steel" halbwegs. Während die neu gemasterte Fassung inklusive zweier zusätzlicher Tracks bekannt ist, kann der geneigte Fan sich wenigstens von der gleichwohl zwielichtigen (Sound, Performance) Liveaufnahme zum Zweitkauf hinreißen lassen.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 01.05.2010
Ian Hill
Rob Halford
K.K. Downing, Glenn Tipton
Scott Travis, Dave Holland
Sony Music
ca. 180:00
07.05.2010