Als ich noch ein Jung-Pionier war, da galt dieser Musiker bereits als Elektronik-Pionier!
Als ich ein Thälmann-Pionier wurde, da galt dieser Mann noch immer als Elektronik-Pionier!
Nachdem ich heute jeglichem Pionier-Dasein entwachsen bin, kann KLAUS SCHULZE nach mehr als 40 Jahren noch immer für sich beanspruchen, weltweit DER Elektronik-Pionier zu sein! Noch immer beeinflusst er Gegenwart und Zukunft mit seinen elektronischen Klang-Ideen! „Made In Germany“ steht auch nach so langer Zeit zumindest hinter diesem Namen für musikalische Qualität.
Während SCHULZE 1970 als Schlagzeuger mit TANGERINE DREAM „Electronic Meditation“ einspielte, hätte wohl kaum jemand geahnt, dass dieser Mann der Drumsticks schon kurze Zeit später seinem TD-Gegenpart EDGAR FROESE an den Tasten den Rang ablaufen sollte. Das lag wohl besonders daran, dass sich die musikalischen Unterschiede von TANGERINE DREAM und KLAUS SCHULZE unverkennbar vor dem Hörer oder Fan elektronischer Musik ausbreiteten. Während FROESE grundsätzlich mit (einer sich oft verändernden Band) immer stärker den Hang zur Melodie und zum Abwechslungsreichtum an den Tag legte, verfolgte SCHULZE fast immer solistisch und absolut konsequent die atmosphärischen Klanglandschaften, welche er aus seinen Synthis und den wohl unmöglichsten E-Steckverbindungen hervorzauberte, die aber immer recht getragen und eine ähnliche Stimmung transportierend ihre Schönheit entfalteten. Gefiel einem der Anfang eines der vielen SCHULZE-Alben nicht, dann hatte man auch am Ende keine Freude daran – fesselte einen aber ein Album von ihm, dann ließ es einen bis zum Ende hin nicht mehr los. Typisch SCHULZE eben!
Typisch ist zugleich, dass die Vielzahl der Veröffentlichungen dieses Elektronik-Pioniers kaum noch zu überschauen sind. Diesen wird nun durch MIG (Made In Germany Music – einen passenderen Labelnamen kann es für Schulzes Musik gar nicht geben!) ein weiteres Kleinod des synthetischen Klangs hinzugefügt: „La vie Electronique 5“. Ein aus drei CDs und dickem Booklet bestehendes Digi-Pack, das, um es kurz zu machen, sich definitiv kein Freund von KLAUS SCHULZE entgehen lassen sollte. Denn in „La vie Electronique 5“ schreibt SCHULZE musikalische Live-Geschichte, die gerade einmal zwei Jahre seines Schaffens umfasst, nämlich 1976 und 1977. Die (ein klein bisschen verrauschten) Aufnahmen zu „Berlin Schöneberg“ entstanden 1976 bei einem Berliner Radiokonzert. Aus dem gleichen Jahr stammen auch das in Reims (Frankreich) aufgenommene Konzert „Vie de reve“ und die zwei Solokonzerte „Nostalgic Echo“ und „Titanische Tage“.
Mit „For Barry Graves“ gibt es auf der zweiten CD erstmals ein Kurzkonzert (etwas über 15 Minuten) im Rahmen der WDR-Sendung „Musik Extra 3“ zu hören und dass die „Oberhausen-Tapes“ zweifellos in der Ruhrpottmetropole aufgenommen wurden, ist wohl unverkennbar. Allerdings müssen diejenigen, die den kompletten Mitschnitt des Konzerts besitzen wollen, sich zusätzlich „La Vie Electronique 6“ zulegen. Einen ebenfalls aus drei CDs bestehenden Live-Sampler, diesmal aber der Jahre 1976 bis 1978, der die verbleibenden 22 Minuten dieses Auftritts enthält. Ein clevere Verkaufsstrategie! Doch was soll man dagegen sagen, wo SCHULZE irgendwie immer SCHULZE bleibt, genauso wie seine Konzerte immer irgendwie seine (also ziemlich ähnlichen) Konzerte bleiben.
Eine Besonderheit stellt hierbei allerdings „The Poet“ dar, das mit über 50 Minuten Spielzeit auf der letzten CD, die liebevoll in schwarzen Vinyl-Outfit gekleidet und wie eine Mini-LP aufgemacht wurde, dar. Hier stand ganz offensichtlich das Album „Moondawn“ aus dem Jahre 1976 Pate.
Weniger aufregend als die Musik ist allerdings der Text im Booklet, der als euphorische Lobeshymne auf SCHULZE von „Blue22“ verfasst wurde. Um die Größe des deutschen Synthi-Pioniers besonders bildlich darzustellen, wird zuerst klischeehaft auf allen gängigen Retortenprodukten der musikalischen Gegenwart herumgehackt – das weiß ja so zwischenzeitlich jeder, welche Rolle die Medien beim „Machen eines Stars“ haben – doch dann geht „Blue22“, der beim Schreiben seiner Zeilen hoffentlich wirklich „blau“ war, noch etwas weiter: „Schulze war nun Schulze, eine Liga für sich ganz allein. Klar gab es in den Siebzigern auch große Synthesizer-Spieler, Leute wie Wakeman, Emerson usw., doch was sie produzierten, war zum großen Teil Augenwischerei, eine Steigerung dessen, was eigentlich nur Rock-Band-Arrangements waren.“ (Die orthografischen Fehler, vor denen der ganze Text übrigens nur so wimmelt, habe ich einfach mal in diesem Zitat behoben.) Mit solchen Worten ehrt man einen Musiker nicht, man macht eher misstrauisch, wenn die Fähigkeiten des einen dadurch hervorgehoben werden, dass andere mit mindestens genauso großen Fähigkeiten verunglimpft werden. An dieses verbale Niveau sollten die weiteren Ausgaben der Reihe nach Möglichkeit nicht anknüpfen!
Versteckt am Ende der 2. CD ist übrigens ein Gespräch mit KLAUS SCHULZE, in dem er in gewisser Weise seine Art des Musikmachens, also die Klangerzeugung auf ausschließlich elektronischem Weg, verteidigt. Kein Wunder, denn bereits in den 70er Jahren begann man verstärkt die elektronische Szene anzugreifen und ihnen das „Machen von kalter Musik“ vorzuwerfen, die angeblich nicht handgemacht und mit originalen Instrumenten eingespielt wird. Ein ziemlicher Blödsinn! SCHULZE zumindest findet genau die richtigen Worte dafür.
FAZIT: Was den Fans von KLAUS SCHULZE bisher lange Zeit wegen seiner strikten Limitierung auf 1000 Exemplare als „The Ultimate Edition“ vorenthalten geblieben war, erblickt am 25. Juni 2010 erneut und unlimitiert als „La Vie Electronique“ das Licht der elektronischen Musikwelt. Wie wohl würden die Amis darauf reagieren? „Ein kleiner Schritt für KLAUS SCHULZE, doch ein großer Schritt für SCHULZE-Fans!“ Viel Spaß beim Hören der musikalischen „Electronique“-Mondlandung!
Erschienen auf www.musikreviews.de am 25.06.2010
Klaus Schulze
MIG Music
226:33
25.06.2010