<span style="font-style: italic;">Oildale, Kalifornien, 2010: ein junges Mädchen flüchtet aus seiner Heimat. Es fühlt sich missverstanden, allein. Für diejenigen, die ihm Schutz und Regeln hätten geben sollen, hat es nichts mehr als Verachtung übrig. Jetzt steht es auf einem menschenleeren Ölfeld. Im Hintergrund pulsieren die Tiefpumpen und befördern Schwärze aus dem Erdboden. Da nähert sich dem Mädchen plötzlich ein Wagen. Das Fenster wird heruntergelassen, eine männliche Silhouette gibt sich zu erkennen. Augen blitzen im Dunkeln des Wageninnerens. Das Mädchen beugt sich interessiert nach vorne, denn es braucht eine Mitfahrgelegenheit. Bloß weg aus diesem Kaff. Der Mann klopft einladend auf den Beifahrersitz…</span>
Es ist mal wieder soweit: KORN kündigen, Holzhammer sei dank, ein weiteres Mal die Rückbesinnung auf alte Tugenden an. Wie eigentlich bei jedem neuen Album. Die erste Selbstreflexion erblickte 2003 mit "Take A Look In The Mirror" das Licht der Welt. Sie selbst, so wie man sie kannte, waren KORN seither aber nicht mehr.
Diesmal ist alles anders. Das nunmehr neunte Werk ordnet sich in Punkto Sound tatsächlich direkt hinter "Korn" und "Life is Peachy" ein. Die Rückkehr zum Oldschool ist erstmals de facto gelungen, doch sie kommt zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Bis zuletzt kannte die Experimentierwut der Kalifornier nämlich keine Grenzen. Märchenähnliche Psycho-Twists, immer schwerer wiegende Elektronikspielereien und schließlich ein gar titelloses Album, das mit der Vorstellungskraft der Käufer spielte, zeugten von dem Bedürfnis der Band, sich zu verändern, immer neue Metaebenen zu erreichen. Dass jede neue Veröffentlichung aber wie ein Reset klang, legt die Vermutung nahe, dass nicht nur Kritiker und Fans unzufrieden waren, wohin KORN sich entwickelten – auch KORN selbst. Sich in dieser Situation an den alten, vertrauten Sound zu klammern, riecht nun verflucht stark nach Resignation.
Ganz so einfach ist es aber nicht, vorschnell zu urteilen: Wir hören einen Jonathan Davis, der sich im dreckigen California-Groove-Punk auf einmal wieder hörbar wohler fühlt als in den abstrakten Sphären der Vorgängeralben. Auf "Remember Who You Are" lacht er wieder wie ein psychotischer Irrer ("Never Around"), er heult wie ein Baby ("Holding All These Lies") und gedanklich sieht man ihn permanent gestikulieren wie einen manischen Weltuntergangspropheten. Mit Davis, dessen große Stärke schon immer der Mut zur Hässlichkeit war, bekommt der Blick in den Rückspiegel gleich mal eine frische Brise, denn so leidenschaftlich bei der Sache war der Frontmann mindestens seit "Issues" nicht mehr.
Und doch kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, man lausche einer sich selbst kopierenden Riffparodie, aufbereitet aus über 15 Jahren Bandgeschichte. "Oildale", Vorreiter der Platte und vielerorts schon als ihr bester Song gekürt, ist, wenn schon nicht besonders herausragend oder gar originell, immerhin ein geeigneter Querschnitt des Ganzen. Hier und da schert man auch mal auf die Alben Nr. 3 und 4 aus ("Fear Is A Place To Live" und "Are You Ready To Live?" könnten zum Beispiel von "Follow The Leader" stammen). "Remember Who You Are" nistet sich fast inzestuös in das eigene Frühwerk ein - ungeachtet des Ausstiegs von Brian Welch und David Silveria, ungeachtet der Tatsache, dass die Goth Girls mit Kniestrümpfen und die mit leeren Augen durch Zäune starrenden Jungs, die früher KORN-Platten kauften, inzwischen doppelt so alt sind wie früher.
Ohne Frage lässt sich diese rohe Kost besser verdauen als das synthetische Vorgängermaterial, das bereits nach einem CD-Durchlauf uninteressant wurde. Immerhin wird mal wieder genug Dreck verstreut, dass das Wühlen in ihm ein paar Durchläufe überdauert. Überraschen können KORN aber, und das ist die traurige Erkenntnis dieser Tage, nicht einmal mehr mit der vollständigen Konzentration auf das, was sie einst groß machte. Man hätte die Rückkehr zu den eigenen Wurzeln irgendwie begründen, einen Sinn für sie finden müssen. Ein Sinn neben dem Testen der Marktlage, ob sich Altbewährtes wieder besser verkauft als Experimentelles, ist jedoch nicht erkennbar, und so erhärtet sich der Verdacht, dass KORN der Welt endgültig nichts mehr zu geben haben.
FAZIT: Wer die elektronischen Spielchen von "See You On The Other Side" und "Untitled" mochte, wird traurig sein, denn natürlich geht "Remember Who You Are" der Marschrichtung gemäß back to the roots. Fans der alten KORN werden aber trotzdem nicht zwangsläufig glücklich mit der Platte. Sie klingt wie das alte Zeug, aber das Kranke im Subtext, dieser "twisted shit" ist einfach nicht mehr da. In Erinnerungen schwelgen heißt für KORN bloß, dieselben Riffs noch mal aufzuwärmen. Rein auf den Sound fixierte Hörer werden "Remember Who You Are" mit Sicherheit als authentischste Platte seit "Life Is Peachy" bezeichnen. Was man aber in Wirklichkeit bei Korn sucht, dieser auf links gedrehte, psychotische Rotkäppchenscheiß voller White-Trash-Soziokultur, den sucht man vergebens. Vielleicht auch deswegen, weil man den Herren solche Dinge nach all der Zeit einfach nicht mehr abnimmt. KORN sind soundtechnisch zu alter Stärke gelangt, substanziell betrachtet aber so leer wie ein Dia-Abend mit alten Freunden.
Punkte: 7/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 09.07.2010
Reginald Arvizu
Jonathan Davis
James Shaffer
Ray Luzier
Roadrunner Records
44:40
09.07.2010