MEKONG DELTA erfinden sich als gestandene Veteranen noch einmal neu und zeugen ihrem wohl stringentesten Album "Dances of Death" 20 Jahre später ein Brüderlein. Der alte Fiedler ist wieder da, während Tarotmotive die Songs untereinander gliedern und zu einem aufregenden Kartenspiel machen.
Ob drei Höllenfledermäuse, Schlüsselwächter oder Wiederholungstäter bei Gedankenverbrechen … die Fortsetzungsidee ist nicht neu, auch wenn wir immer noch auf ein zweites "Perfect Element" warten. PAIN OF SALVATION sind übrigens ein gutes Stichwort zum Einstieg in die Materie: Ralf Hubert hat Gespür für junge Talente bewiesen und sich neben dem saarländischen Drummtier Alex Landenburg (Axxis, At Vance, Annihilator) Sänger Martin LeMar geangelt, der anders als bei Tomorrow's Eve hier sein volles Potenzial ausschöpfen kann und nicht nur einmal ("Affection") an Daniel Gildenlöw erinnert. Mehr denn je stimmt bei MEKONG DELTA das Gesamtbild - nicht nur die Stücke klingen wie aus einem Guss und damit tatsächlich wie eine große Suite; endlich steht auch jedes einzelne Bandmitglied im angemessenen Licht. Wo zuvor stets irgendein Instrument im Endmix schlecht wegkam oder der Gesang gerade für Nicht-Progger derbe Geschmackssache war, tönt "Wanderer" schlicht ausgewogen in jeder Hinsicht. Bedächtige Intermezzi und Intros lassen verschnaufen oder bereiten auf virtuose Paukenschläge vor, die vor allem in rhythmischer Hinsicht immer noch ihresgleichen suchen. Hypes wie MESHUGGAH spielen im Vergleich zu MEKONG DELTA Tanzmusik, und auf lange Sicht substanzlose Überschallcombos - neuster Vertreter BRAINDRILL - dürfen gerne im Ruhrpott einen Songwriting-Kurs belegen. MEKONG DELTA schrieben einige "Hits" und setzen diese Tradition heute noch treffsicherer fort; wer das nicht hört, ist taub. Die Entschuldigung, technischer Thrash sei nur etwas für Hobby-Abdrücker, zieht bei intensiver Auseinandersetzung mit der Materie nicht mehr, zumal diese Band den deftigen Stil mittlerweile auf ziemlich einzigartige Weise mit emotionalem Progressive Metal mischt.
Die Abhandlung der einzelnen Stücke würde ob ihrer immensen Detailfülle (wer findet alle Querverweise zur Vergangenheit?) den Rahmen dieser Besprechung sprengen, aber die Art, wie Hubert und Gefolge ihre Kompositionen verzahnen und dem Hörer die Nackenhaare in die Senkrechte stellen, dürfte ihnen auf längere Sicht hin niemand so rasch nachmachen. "A Certain Fool", "World in Shards" oder das grandiose Finale nach dem erwähntem "Affection" (von Rezensenten ausdrücklich zum Kuscheln empfohlen) werden in Zukunft als Maßstab für vergleichbare Bands gelten müssen, falls es diese überhaupt gibt … auf MEKONG DELTAs gegewärtigem Niveau jedenfalls kaum. Dass die Gruppe im vollen Saft steht, belegt ihre neuerliche Bühnenfreudigkeit - und wer behauptet, auch alte Recken und vielerorts als kompliziert oder streitbar geltende Charaktere wie Hubert seien nicht weiter lernfähig, sieht sich angesichts der hier offenkundigen Entwicklung mächtig getäuscht.
FAZIT: "Wanderer on the Edge of Time" ist eine mehr als faustdicke Überraschung - nicht nur, wenn man mit MEKONG DELTA gar nicht mehr gerechnet hat. Nie zuvor waren die Deutschen massenkompatibler (Gesang) und zugleich musikalisch spannender (ausgewogene Mischung aus instrumentaler Hochleistung und gehaltvoller Liedschreibe). Zweifellos wird die Scheibe am Jahresende an der Spitze der relevanten Prog-Releases stehen und auf lange Sicht hin vielleicht sogar als Klassiker gelten wie der erste Teil.
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 07.06.2010
Ralf Hubert
Martin LeMar
Ralf Hubert, Benedikt Zimniak, Erik Adam H.
Alex Landenburg
Aarrg / H'Art
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10.06.2010