Es funktioniert wie ein perfekt geöltes Uhrwerk, in dem jedes Zahnrädchen, jede Spindel und jede Feder an seinen Platz ist und ohne Rast seine Arbeit verrichtet. Keiner hat je hinterfragt, wie oder warum dieses Uhrwerk funktioniert und wofür es geschaffen wurde. Die metallische, tiefschwarze Oberfläche offenbart nur beim genaueren Hinsehen rätselhafte Symbole. Doch der geheimnisvolle Schein trügt – diese Maschine ist allein zum Schädelspalten konstruiert!
MESHUGGAH sind die schwedische Extreme Metal-Legende schlechthin, die mit ihren Markenzeichen nicht mehr aus der neurotischen Ecke des Hard’n’Heavy-Lagers wegzudenken sind: Völlig bekloppte Taktverschiebungen, Synkopen und Polyrhythmen, die TOOL dagegen blass aussehen lassen. Die 8-Saiter Gitarren, mit einer bandeigenen Technik mehrfach heruntergestimmt, in Bereiche, die bisher noch niemand erreicht hat. Die zähen Bendings, die jeden Riff wie ein riesiges Gummiband auf und ab dehnen. Die monochromen, melodiearmen Akkorde, die unbarmherzig vor sich hin schrubben. Das unmenschliche Gebrüll von Jens Kidman. Das ebenso unmenschliche Drumming von Tomas Haake. Was ist schon noch „menschlich“ an dieser Band?
Wo selbst Düsterkapellen in manchen Momenten einen Schimmer Hoffnung oder ein wenig Emotion zulassen, fehlt selbst diese Komponente bei MESHUGGAH. Zwar sind auf „Destroy Erase Improve“, einem Album ihrer frühen Schaffensperiode, tatsächlich klar erkennbare Hooklines herauszuhören. Doch seit „Chaosphere“ konzentriert sich die Band allein auf das Vertonen des omnipräsenten Wahnsinns.
„Catch Thirty Three“ ist deshalb ein besonderes Album in der Diskographie, da es sich um ein experimentelles, durchgehendes Stück Musik handelt. Die Tracks sind mit zwei Ausnahmen nicht länger als vier Minuten, die meisten sogar maximal zwei Minuten lang. Aus dreizehn Songs entsteht dadurch ein übergangsloses, 47 Minuten andauerndes Monstrum, das mit allen für MESHUGGAH typischen Ingredienzien gefüllt ist.
Rattern die ersten sechs Songs als Suite hypnotisch monoton vor sich hin, schlägt „Mind’s Mirror“ eine überraschende Kerbe. Ein Break, es wird ruhig, eine mechanisch verzerrte Stimme kündigt die Befreiung des Indiviuums an. Der Spiegel zerbirst und das zerstörerische Doppel „In Death - Is Life“ / „In Death – Is Death“ zerreißt die trügerische Stille und greift Motive aus dem ersten Teil wieder auf. Dann wird es wieder Still. Für fast sechs Minuten. Eine schaurige, abgrundtief böse Gitarrenlinie, hoffnungsloser als jede wimmernde Schwarzwurzel, hallt einsam und verlassen im leeren Raum. Es ist die Kunst der Stille, die MESHUGGAH auf „Catch Thirty Three“ in ihren Sound einführen. Und alte Fans damit sicher abschrecken werden.
Mit dem letzten Drittel ab „Shed“ beginnt das Chaos von Neuem, MESHUGGAH bitten zum letzten Tanz hinunter in das „Abyss of Organic Dreams“, wo die „Dehumanization“ auf einen wartet. „Sum“ fasst die Erkenntnisse des Albums zusammen – dass die Existenz der Person, des Geistes, im Endeffekt ein Paradoxon in sich selbst ist. Ein dramatisches Finale beendet das Stück gekonnt. Es folgt wieder minutenlange Stille, ein quälendes Ausklingen einer verstörenden Reise.
FAZIT: Meiner persönlichen Einschätzung zufolge macht es keinen Sinn, weitere Alben von MESHUGGAH zu besprechen, da man auf jeden Fall damit rechnen kann, dass sie sich alle ähnlich oder gleich anhören werden. Ein Manko ist das bei dieser Band auf keinen Fall. Ich kenne sonst keine Band, die es ernsthaft gewagt hat, diesen Sound zu 1:1 kopieren. Eine Bewertung ist ebenfalls unsinnig. „Softies“ werden MESHUGGAH hassen. Wer sich damit rühmt, auf hartes Getöne zu stehen – man hört ja schließlich CHILDREN OF BODOM und BULLET FOR MY VALENTINE – wird bei MESHUGGAH an die Grenzen seiner Nerven und seiner Belastbarkeit gestellt. Wen diese Muke nicht augenblicklich beim ersten Hören zerfetzt, hat meinen höchsten Respekt verdient.
Anmerkung:
Das Schlagzeugspiel ist der Wahnsinn, wie schafft das der Mann bloß? Antwort: In Wirklichkeit wurden die Drums von Haake nicht persönlich eingespielt, sondern mittels des „Drumkit From Hell“ zusammengestellt und programmiert. Klingt trotzdem fett!
Erschienen auf www.musikreviews.de am 23.01.2010
Mårten Hagström, Fredrik Thordendal, Jens Kidman
Jens Kidman
Mårten Hagström, Fredrik Thordendal, Jens Kidman
Tomas Haake (Gesprochene Passage in „Mind’s Mirror“), Meshuggah (Schlagzeugprogrammierung)
Nuclear Blast Records
47:16
16.05.2005