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French TV: I Forgive You For My Unhappiness

Stil: Progressiver Jazz-Rock

Cover: French TV: I Forgive You For My Unhappiness

Französisches Fernsehen für die Ohren! Wer hätte das gedacht? Keine prallen Brüste, keine aufgespritzten Lippen, keine dauergrinsenden Models, keine Farbe, kein Schwarz-Weiß! Fernsehen für die Ohren – und dann auch noch farbenfroher und aufregender als vieles von dem, was sonst auf der Mattscheibe vorrangig unseren Augen geboten wird. Und das bei solcher Musik. Dass Damen, wie die auf dem Cover abgebildete, doch ziemlich skeptisch dreinschauen, ist mehr als verständlich.

FRENCH TV kommen nicht, wie zu vermuten wäre, aus Frankreich, sondern aus Louisville, Kentucky. Dort sind sie seit 1983 musikalisch unterwegs und warnten sogar auf ihrem ersten Album selbstironisch: „Habt erbarmen mit uns, schließlich sind wir fast noch Kinder!“ Fast dreißig Jahre später ist diese Warnung im Angesicht der nunmehr älteren Herren selbstverständlich nicht mehr angebracht – und Erbarmen braucht man bei dieser Musik auch nicht mehr zu haben. Musik, die sich locker und treffsicher im Umfeld von Jazz, Canterbury, Rock und Prog bewegt und sich im anspruchsvollen Umfeld solcher Bands wie BRAND X, NATIONAL HEALTH, HAPPY THE MAN oder SOFT MACHINE einreiht. Da bleibt nur die Frage offen, warum die Mannen um Bassisten MIKE SARY solch ein musikalisches Schattendasein fristen!? Kein Wunder, dass der Titel dieses Albums wieder voller Selbstironie „Ich vergebe dir für mein ständiges Unglücklichsein“ lautet. Dafür wird aber der Hörer durchaus so einige Glücksgefühle empfinden, wenn er symphonischen, progressiven Jazz-Rock mag.

Das 10. Album von French TV schleppt sich nicht eine Minute dahin, sondern lebt von der reinen, manchmal doch deutlich übertriebenen Spielfreude und dem Spaß am Experimentieren. Bereits die „7 rostigen Nägel“ beginnen genauso wie der Titel es vermittelt, mit 7 „rostigen“ Musik-Stilen. Canterbury trifft auf Jazz, trifft auf frühe GENESIS, trifft auf progressiven Bombast, trifft auf VAN DER GRAAF GENERATOR-Saxofon, trifft auf Rock und auf Symphonisches samt Flöten.

Da ist der Hörer gleich geplättet – manchmal vielleicht sogar ein wenig überfordert. Verzweifelt sucht man nach einem Konzept und vermag es nicht so richtig zu entdecken. Wenn dann bei „Conversational Paradigms“ auch noch der Bass einen Haufen Solis zugesprochen bekommt, ist das manchmal des Guten ein wenig zuviel. Verrückte Energetik und schräge musikalische Ideen bestimmen die Grundstimmung des gesamten Albums.

Müsste man solche Musik verfilmen, dann wäre das am ehesten mit einer Aneinanderreihung von kurzen Videoschnipseln vergleichbar, die in unregelmäßiger Reihenfolge immer wieder mal auftauchen und genauso schnell verschwinden. Das alles mal in Schwarz-Weiß, mal in grellen psychedelischen Farben. Ob das nun genial oder wahnsinnig ist, liegt ausschließlich beim Betrachter – oder Hörer. Am Ende auf jeden Fall ein kreatives Durcheinander.

Interessant auch, dass MIKE SARY, das einzige echte FRENCH TV-Urgestein, sich mit STEVE KATSIKAS den Keyboarder von LITTLE ATLAS zum französischen Fernsehen geholt hat. So findet man auch einige Parallelen zu besagter Band auf „I Forgive You For All My Happiness“, wobei der kleine Atlas mehr im Prog verwurzelt ist, French TV eindeutig im Jazz-Rock.

FAZIT: Hat man das Album einmal gehört, dann bleibt der erste Eindruck recht durchwachsen. So als versuchen GENTLE GIANT den Jazz-Rock für sich zu entdecken oder als hätten VAN DER GRAAF ohne PETER HAMMILL sich an einer Fortsetzung von „The Long Hello“ versucht. Wahnsinnige Genialität oder genialer Wahnsinn – auf keinen Fall aber etwas für Hörer, denen eingängige Strukturen wichtiger sind, als experimentelle Klangvielfalt, die (manchmal leider) keine Grenzen kennt.

Punkte: 9/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 17.02.2011

Tracklist

  1. Seven Rusty Nails
  2. Conversational Paradigms
  3. March Of The Cookie Cutters
  4. You Got Run It Out, Dawson!
  5. With Grim Determination, Terrell Dons The Bow Tie
  6. Mosquito Massacre

Besetzung

  • Bass

    Mike Sary

  • Gitarre

    Shawn Persinger, Roy Strattman, Joe Conroy, Chris Smith

  • Keys

    Steve Katsikas, Paolo Botta

  • Schlagzeug

    Jeff Gard

  • Sonstiges

    Steve Katsikas, Adam Huffer & Warren Dale (Saxofon), Warren Dale (Klarinette & Melodica), Hans Bodin (Gitarren-Synthesizer)

Sonstiges

  • Label

    Eigenvertrieb / Just For Kicks

  • Spieldauer

    44:52

  • Erscheinungsdatum

    21.01.2011

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