"Unserem" Thoralf liegt sehr viel daran, eine zweite Meinung zu "The? Book" einzuholen, und dazu erkoren hat er ausgerechnet mich, einen Skeptiker in Sachen allzu verbissener Stiltreue. SEVEN STEPS TO THE GREEN DOOR nun waren schon immer relativ schmerzfrei und leben den Titel ihrer 2006er Scheibe "The Puzzle" stilistisch konsequent aus. Heuer erhält ihre Musik einen wunderbaren Bonus in bester Prog-Tradition: Stichwort Konzeptalbum.
"The? Book" kommt mit blutigem Nagel vom Lattenkarl persönlich (wie fantasielos Black-Metal-Bands überwiegend agieren, erkennt man daran, dass sie noch nicht auf diese Idee gekommen sind) im Digipack eingedenk eines üppigen Booklets inklusive der zugrundeliegenden Story, aber ohne eigentliche Texte. Dass Vordenker Koß dieser Überbau auch persönlich am Herzen liegt (die Beweggründe stehen ebenfalls im Booklet), wird beim Lesen deutlich, und die Band setzt das Konzept ebenso gefühlvoll um. Dabei enthält es durchaus Zündstoff: Abgesehen von der kongenialen Fügung, die sich auf mehreren Ebenen aus der Zahlensymbolik ergibt (Die Sieben im Bandnamen im Verbund mit religiösen Bezügen), setzt sich "The? Book" umkritisch mit der Bibel beziehungsweise Marksteinen des christlichen Glaubens auseinander, angefangen beim letzten Abendmahl bis hin zu diversen Wundern.
Die Story - auch ins Deutsche übersetzt - lädt zum Nachdenken ein und wirkt keinesfalls überambitioniert. Die Musik trägt dem Rechnung und klingt für SEVEN STEPS TO THE GREEN DOOR erstaunlich geschlossen, was Tastenmann Marek Arnold zu verdanken ist, der mehr denn je als alleiniger Strippenzieher fungierte.
"Prologue (A Man and The Book)" gemahnt an Daniel Gildenlöws Balladen mit Jazz-Schmalz, und subjektiv tun sich beim Rezensenten in Sachen Gesang Vergleiche mit der Melodieführung von PURE REASON REVOLUTION (Jon Courtney) auf, aber dies nur am Rande. Entsprechend sachte leitet das Ensemble hinüber zu "The Empty Room / The Realization". Der Track nimmt nach einer Weile Fahrt auf, und Arnold bedient seine Keyboards im besten Neo-Prog-Sinn, Verortung circa Großbritannien. Ein Engelschor uht herum, derweil der Rest der Gesangsarrangements einmal mehr an PAIN OF SALVATION erinnert, zumal auch die Deutschen Wert darauf legen, dass die Texte beim Hörer ankommen. Der hypnotische Beat fördert die Eindringlichkeit, lullt aber mitnichten ein.
Mit "The Crying Child (1st Nail)" und den Death-Metal-Vocals tut man sich vielleicht zu Anfang schwer, doch gerade mit Hinblick auf das Gesamtbild ergibt die Einbettung Sinn. Ungeachtet dessen garantieren sie neben dem eher klassichen Metal-Gesang ein außerordentlich zugängliches Stück, ganz zu schweigen von Amelie Hofmanns kindlichem Zwiegespräch mit dem Protagonisten. "The Healing Wonder (2nd Nail)" schielt weniger mit den verfremdeten Vocals als mit Stakkato-Geschiebe sowie tänzelndem Piano erneut nach Schweden. Der instrumentale Mittelteil ist bedrohlich bis quirlig ausgefallen, und das sehr sprechende Gitarrenspiel darf man schlicht begeisternd nennen. Hinterher wird es episch lang mit "The Dividing Water (3rd Nail)": Der Fretlessbass prägt dieses Stück genauso wie die fulminanten, rhythmisch gegenläufigen Verzahnungen, ehe nach zwei Minuten Bleischwere einschlägt. Mit Einsatz der weiblichen Stimme wird es entspannter, passenderweie zu dezent funkigen Rhythmen. Federführend spielt einstweilen wieder das Klavier auf, und Wasser plätschert zum Verweis auf den Textinhalt.
So verhält es sich auch mit "The Last Supper (4th Nail)", das wegen seiner Geräuschfreudigkeit leicht hörspielartige Züge trägt. Abgesehen von Arnolds bezauberndem Saxofon richtet man den Fokus wieder stark auf die Lyrics. "The Eternal Abstinence (5th Nail)" tut dies ebenfalls, und zwar leise sphärisch mit dahingetupften Akkorde wie bei ganz zarten MARILLION, wiederum mit Saxofon und vorgetragenem Gebet von Steven Powlesland. Wie keines der Lieder steht dieses für die neue Balance im Hause SEVEN STEPS TO THE GREEN DOOR, die sich mit "The Deadly Crucifixion" (Tautologie?) ein Hightlight bis zum Ende hin aufgespart: haben Der schwere Mittelteil lässt fast SAVATAGE mit Zak Stevens aufleben, und danach gewinnt "The Green Door - Looking for the Last Solution" mit wunderschönem A-Capella-Chor vor allem durch den Zwiegesang der Charaktere. Wenn zuletzt der "Epilogue" den Beginn wiederaufgreift, hat die Combo nicht mit der Brechstange konzeptioniert, sondern ein mutiges wie zugängliches, ein herzliches wie angriffslustiges Album gestemmt.
FAZIT: "The? Book" ist Prog Rock mit Metal-Bezügungen und nichts anderes, spielt jedoch abseits der gegenwärtigen Schemata in einer eigenen Liga, auch und gerade inhaltlich. Hiermit könnten SEVEN STEPS TO THE GREEN DOOR nicht bloß neue Fans innerhalb des Genres hinzugewinnen, sondern auch Interessenten an inhaltlich tiefschürfender Musik anderer Sparten. Prog ist weltfremd? Mitnichten …
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Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 23.10.2011
Heiko Rehm, Robert Brenner
Lars Köhler, Anne Trautmann, Amelie Hofmann (Crying Child), Kim Spillner (Death), Ronnie Gruber (Death), Larrie B. (Old Priest), Steven Powlesland (Prayer), Sjaella (Last Hope), Martin Schnella (bv)
Andreas Gemeinhardt, Martin Schnella, Uwe Reinholz
Marek Arnold
Ulf Reinhardt
Marek Arnold (Saxofon), Thoral Koß (Story)
Progressive Promotion Records
63:19
30.09.2011