Ein halbes Jahr nach „La Vie Electronique 11“ ist das Dutzend voll. Wenn man nach Silberlingen geht, sogar das dritte davon. Und immer wieder ist KLAUS SCHULZE für Überraschungen gut. So auch bei der zwölften Ausgabe seines elektronischen Lebens. Zwei CDs gehören Picasso, der spazieren geht. Mal flaniert er, mal bewegt er sich nahezu in Zeitlupe, aber wenn der „Wal in Wut“ gerät, darf es auch schon mal hektisch zugehen. Der Beginn des „Second Movement“ gehört dem E-Piano, das SCHULZE in geschwinden Läufen am Rande (mit Überhang) zum Jazz spielt.
Doch langsam und von Beginn: „Picasso geht spazieren“ war eigentlich 1993 für einen Soundtrack geplant. Doch wie das manchmal ist „beim Film“, hatten die Produzenten größere Pläne als vorhandene Mittel, und so entschloss sich KLAUS SCHULZE aus dem vorhandenen Material eine weitere „Picture Music“ ohne dazugehörende Leinwandbilder zu entwickeln. Ergibt einen über 150-minütigen KLAUS-SCHULZE-Marathon in drei Etappen, Entschuldigung, Sätzen. Die große Oper der letzten „La Vie Electronique“-Veröffentlichung findet sich nur noch am Rande, stattdessen gibt es einen Rundumschlag, der sich gewaschen hat. Wie im ersten Absatz bereits erwähnt, trifft das Meditative auf das Wallende, ruhig fließende Passagen auf Hektik Intergaläktik. Auf CD 1 zirpt, flirrt und zischt es mit Wonne, gelegentlich aufgemischt durch scharfe elektrische Schläge, geradeso als verursache der Elektrolurch einen Kurzschluss. Im zweiten und dritten Satz wird Picasss Spaziergang durch jazzige Elemente ergänzt sowie durch geradezu rastlose Ausbrüche.
Die Berliner Schule fabriziert ihren eigenen Electro-Funk, bevor Picasso wieder friedvolle Pfade betritt, voller Einklang und Kontemplation.
Trügerische Ruhe diesmal, denn SCHULZE nimmt wieder Fahrt auf, das „Third Movement“ wird rhythmisch komplexer; das E-Piano zerhackt die Stille (keine Panik, wir sind noch bei KLAUS SCHULZE und nicht bei einem manischen Neutöner. Et looft und groovt und tut nicht allzu weh), Störgeräusche, Stöhnen, Hämmern, elektronischer Chor und ein gerüttelt Maß an Chaos bei erhöhtem Tempo. Picasso stolpert, torkelt und trabt eierig seinen Weg entlang, doch er fällt nie um oder zersplittert in seine Einzelteile. SCHULZE hat das lange Stück im Griff und findet natürlich mit Picasso zusammen seinen Weg ruhig und gelassen nach Hause.
Den Abschluss bildet die knapp 80-minütige „The Music Box“ auf CD Nummer Drei. Arbeitstitel: „Meditation I“. Das trifft’s ziemlich gut. Beginnt mit einem weiteren, eher meditativen als jazzigen (E-)-Piano-Part, der hinübergleitet in einen wehmütigen, leicht pulsierenden Schwebezustand, gestützt von so künstlichem wie kunstvollem Gebläse. „The Music Box“ ist nicht von solch kalter, monolithischer Größe wie „Mirage“, beherrscht das Verharren im musikalischen Raum, ohne je langweilig zu werden, aber fast ebenso gut. Kaum Irritationen wie auf den ersten beiden CDs, stattdessen ein entspanntes Ein- und Ausatmen, ein stetiger Fluss, der keine zerstörenden Schnellen kennt. KLAUS SCHULZE im Angesicht seiner Vergangenheit gelöst aufspielend. Oder wie es das Presse-Info korrekt ausdrückt: "Ein repetitives Meisterwerk, typisch für diese Phase".
FAZIT: „La Vie Electronique 12“ ist eines der Highlights der gesamten Reihe; zeigt es doch die vielen unterschiedlichen Facetten des Berliner Musikers. Ohne dass es aufgesetzt oder erzwungen wirkt. SCHULZE hat seinen eigenen Flow, den er hier auf drei randvollen CDs, über beinahe vier Stunden eindrücklich beschwört. Voll Porno, Baby!
Erschienen auf www.musikreviews.de am 20.11.2012
Klaus Schulze
Klaus Schulze
MIG Music
CD1: 78:40 / CD2: 75:53 / CD3: 79:13
26.10.2012