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Klaus Schulze: La Vie Electronique 11

Stil: Electronic

Cover: Klaus Schulze: La Vie Electronique 11

Mit „La Vie Electronique 11“ sind wir in den 90ern gelandet. KLAUS SCHULZE goes classic. Was natürlich nicht heißt wie Tastenkollege RICK WAKEMAN weichgespülte Synthie- und Pianointerpretationen, mehr oder minder bekannter klassischer Kompositionen, zu Gehör zu bringen. SCHULZE geht einen gänzlich anderen Weg. Er benutzt sein Instrumentarium und die Sample-Technik dazu, seine eigene Vision von moderner Klassik zu inszenieren. Vorbilder sind auch nicht die üblichen Verdächtigen (von CHOPIN bis SATIE), sondern der Geist der späten Romantiker mit leichtem Lugen Richtung Neutöner. Und natürlich der Meister des Bombasts, die Ikone der überladenen, melodramatischen, symphonischen Klangkunst, das heimliche(?) Vorbild so vieler Progrocker: RICHARD WAGNER. Natürlich nehmen sich SCHULZEs symphonische Versuche bescheidener aus; er komponierte keine mehrstündigen Opern, sondern Gebrauchsmusik wie den Soundtrack zu Film-, bevorzugt aber TV-Stücken („Spurensicherung: Baudenkmäler“, komplett zu finden auf CD 1), oder „seine erste Sinfonie“ die „Narren des Schicksals “ (Drei Sätze, alle auf CD 2).

Dabei arbeitet KLAUS SCHULZE wieder mit seinen bekannten Mitteln: Weite Klangflächen mit meditativer Sogwirkung, der Sequenzer ist für den strukturellen und rhythmischen Rahmen zuständig, es gibt kurze solistische Exkurse, die mit unterschiedlichen Sounds experimentieren. Hinzu gesellen sich Harfe, Violine, diverse Blasinstrumente und volles Orchester. Freilich alle Instrumente, im Gegensatz zu den frühen Alben, von SCHULZE selbst elektronisch erzeugt. Das gilt auch für die gelegentlichen Stimmeinsätze, bei denen KLAUS SCHULZE explizit mit Verfremdungstechniken arbeitet, die den ruhigen Fluss der Musik aufbrechen bis hin zur Atonalität. Am exzessivsten in der „Narren des Schicksals“-Sinfonie, die mitunter so klingt als würden singende Roboter von elektrischen Schafen heftigst alpträumen.

So wechseln sich rhythmische Passagen mit elegischen ab, immer wieder finden sperrige Tonfolgen Einzug ins musikalische Geschehen und lassen den Hörer aufschrecken. Keine der drei CDs ist geeignet für eine lauschige Meditations- oder Massagestunde. Die ruhigste Stimmungslage vermittelt interessanterweise die disparate dritte CD. Hier findet sich die lange Version eines Soundtracks „für einen Film über den Potsdamer Platz in Berlin“, ein Remix daraus, der keine Verwendung im Film fand und ein ausgemustertes Stück der Oper „Totentag“ („Ein schönes Autodafé“). Wobei das relativ zu sehen ist. Denn auch hier herrscht eine im Hintergrund brodelnde Unruhe, die jederzeit durch einen hochgepitchten Schrei Oberhand gewinnen kann. SCHULZE arbeitet mit dem Schrecken, der dem Schönen innewohnt, dem Brand im freundlichen Kaminzimmer. Die Löschdecke allerdings jederzeit in Reichweite. In die Gefilde PENDERCKIs oder LIGETIs wagt er sich nicht vor. Und wenn, dann nur ganz kurz und ganz dezent.

FAZIT: Postmoderne Kunstkacke, die sehnsüchtige Hoffnung eines musikalisch so konservativen wie technisch progressiven Musikers, seinen spätromantischen Gelüsten einen aktuellen Altar zu bauen - oder die kluge, anspruchsvolle und keinesfalls leicht zu goutierende Präsenz eines Künstlers, der seine musikalische Identität und Geschichte erforscht? Ein bisschen von allem ist wohl am wahrscheinlichsten; wobei der Mut, schräge Klänge mit ganz eigener Rhythmik einfach als Gebrauchsmusik zu tarnen, bereits von Größe zeugt. Den Fahrstuhl möchte ich sehen, in dem man mehrere Stockwerke mit Behagen bewältigt, der das komplette Abspielen von „Schwermütiger Frühling“ im Programm hat.

„La Vie Electronique 11“ wird vermutlich nicht zu den Werken gehören, die man von KLAUS SCHULZEs musikalischer Nabelschau am Häufigsten auflegt. Aber es zeigt einen Musiker, der im Alleingang in der Lage ist, großformatige Werke, quasi über Nacht, zu schaffen, die sowohl einschmeichelnd wie von irritierender Brüchigkeit sind, so intim und komplex. Dabei zwar melodische Grenzen ausloten, aber nie in Chaos und Zerfall zerberstend.

PS.: Klaus D. Mueller liefert im Text zur Ausgabe wieder amüsante und erhellende Details zu den „Silver-„ und „Historic-Edition“-Sets, die der „La Vie Electronique“-Reihe zugrunde liegen. So bekennt er freimütig, dass es KEINE weiblichen Käufer der opulenten CD-Päckchen gibt. Ein Beleg dafür, dass Männer die wahren Romantiker sind?

Erschienen auf www.musikreviews.de am 07.05.2012

Tracklist

  1. CD 1:
  2. Film Musik:
  3. Die Lieder des Prinzen Vogelfrei
  4. Le Médallion Magique
  5. Schwermütiger Frühling
  6. Der Optimismus
  7. CD 2:
  8. Narren des Schicksals:
  9. Erster Satz: Uralte Legenden
  10. Zweiter Satz: O unser verlorenes Paradies
  11. Dritter Satz: Der sanfte Mantel einer fremden Frau
  12. CD 3:
  13. Der Schönheit Spur:
  14. In Treasury Of Thy Lusty Days
  15. Im Spiel verliebter
  16. Erinnerung jener Schönheit
  17. Ein lockend Aug
  18. Beauty's Rose Might Never Die
  19. Echt ist mein Lieben, wahr sei auch mein Leid
  20. Thy Eternal Summer Shall Not Fade
  21. Ein schönes Autodafé:
  22. The Colours Of Mind
  23. In der Welt des Wahns
  24. Reise ins Schweigen
  25. Man kann sich nicht von der Erde erheben, indem man an seinen Schnürsenkeln zieht
  26. Fools Of Time
  27. Return In Happy Plight

Besetzung

  • Keys

    Klaus Schulze

  • Schlagzeug

    Klaus Schulze

  • Sonstiges

    Klaus Schulze

Sonstiges

  • Label

    MIG Music

  • Spieldauer

    CD1: 75:26 / CD2: 71:13 / CD3: 78:18

  • Erscheinungsdatum

    27.04.2012

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