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Was erwartet von man von einer Band, die seit Jahren zu den absoluten Faves zählt, wenn ein neues Album ansteht? Was erwartet man von jemandem wie Mille Petrozza, der KREATOR in den 80ern zunächst zu einer der führenden Thrash-Metal-Kapellen aus Deutschland machte, in den 90ern neue musikalische Wege erkundete und sich 2001 mit "Violent Revolution" auf alte Stärken besann und damit den zweiten Frühling seiner Band einläutete? Was erwartet man nach einem brutalen Meisterwerk wie dem Vorgänger "Hordes Of Chaos" vom neuen Album "Phantom Antichrist"? Fragen, die man nicht wirklich beantworten kann. Die faustdicke Überraschung, die das 13. Album der legendären Essener Band geworden ist, zumindest nicht.
Es wäre vermutlich ein leichtes gewesen, den mit "Violent Revolution" eingeschlagenen und mit "Enemy Of God" und "Hordes Of Chaos" konsequent weitergeführten Weg nicht zu verlassen und damit alle Fans zumindest zufrieden zu stellen. Stattdessen weichen KREATOR von diesem Pfad ab, ohne aber Gefahr zu laufen, die Anhängerschaft zu verprellen, ganz im Gegenteil. "Phantom Antichrist" ist trotz seiner Andersartigkeit von der ersten Sekunde an unverkennbar ein KREATOR-Album, doch trotzdem überrascht es Fans wie Kritiker – und hat dazu auch noch das Potenzial, neue Hörer zu erschließen. Zu diesem Zwecke hat man ein Album geschrieben, dass zwar immer noch den typischen KREATOR-Thrash mit all seinen Trademarks enthält, aber mit mehr Melodien als je zuvor aufwartet und besonders im Hinblick auf die Arrangements viel mehr zu bieten hat, als wüstes Geprügel.
Als Paradebeispiel dafür ist der Übersong "The Few, The Proud, The Broken" zu werten, eine Nummer, die unbestritten zu den besten Songs zu zählen ist, die die Band je aufgenommen hat. Ein fantastisches, ungewöhnliches Arrangement mit spektakulärem Spannungsaufbau, gepaart mit berauschender Gitarrenarbeit und der nötigen Eingängigkeit ergibt einen Song, dessen Genialität schon beinahe schmerzhaft ist. Nicht minder ungewöhnlich ist der Rausschmeißer "Until Our Paths Cross Again" geworden, der mit einem klassischen IRON-MAIDEN-Gitarrenintro startet und als wohl hymnischster und pathetischster Song in der Geschichte der Band erst Melancholie, dann Aggression ausstrahlt. Oder der zukünftige Livekracher "From Flood Into Fire": melodisches Midtempo, ein ebenfalls hymnischer, mehrstimmiger Refrain und überragende Soloparts kennzeichnen diesen alles andere als gewöhnlichen KREATOR-Song. Der vierte im Bunde der Songs, die man so nicht erwartet hätte, heißt "Your Heaven My Hell", der sehr ruhig und melancholisch startet und dann förmlich explodiert.
Midtempo? Ruhige Songs? Hymnische Refrains? Was ist denn mit den typischen Abrissbirnen? Die gibt es natürlich auch. Der im Albumkontext besser funktionierende Titeltrack ist so eine, genauso wie das von einem scharfen Riff und ungewöhnlichen Gitarrenlicks dominierte "Death To The World" (hier stört nur Milles leichte "th"-Schwäche). Die rasend schnellen Strophen von "Civilization Collapse" münden in einem melodischen Refrain, das im weiteren Verlauf eingesetzte Tribaldrumming lässt aufhorchen und wäre ohne das darunter gelegte "normale" Drumming vielleicht sogar noch wirkungsvoller. Und auf die Livedarbietung von "United In Hate" darf man sich angesichts des superben Mitgrölrefrains ("…we are legion united in hate…") jetzt schon freuen. Lediglich das simple "Victory Will Come" fällt ein wenig ab, ist immer noch ein guter Song, aber eben nicht auf dem Level der anderen acht Songs und verhindert letztlich die Höchstnote.
Mit der leichten Kurskorrektur in Richtung traditionellen Metals geht einher, dass die Summe an melodischen Leads und Soli nochmals in die Höhe geschnellt ist. Und dabei hat man besonderen Wert darauf gelegt, dass nicht einfach nur ein Solo gespielt wird, sondern dass jedes einzelne Solo wirklich gut ist und den Song nochmal aufwertet. Dafür bedarf es natürlich auch eines Könners, den die Band in Sami Yli-Sirniö hat und der mehr Anteil am Gelingen eines KREATOR-Albums hat, als je zuvor. Ebenfalls einen guten Teil dazu beigetragen hat Produzent Jens Bogren, der "Phantom Antichrist" einen perfekten, warmen Sound verpasst hat, in dem der Drumsound nochmals positiv herausragt.
FAZIT: "Hordes Of Chaos" noch im Ohr habend, muss man sich anfangs umstellen, um "Phantom Antichrist" erfassen zu können. Sobald das aber erfolgt ist, entwickelt das Album einen Suchtfaktor, dem man sich als melodieliebender Anhänger großer Metalkunst nicht entziehen kann. Dass es in diesem Jahr noch ein besseres Thrash-Album geben wird, ist nicht zu erwarten, viel mehr ist "Phantom Antichrist" neuerlich ein Aspirant dafür, dass KREATOR das Metal-Album des Jahres abgeliefert haben.
Punkte: 14/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 05.06.2012
Christian "Speesy" Giesler
Miland "Mille" Petrozza
Sami Yli-Sirniö, Miland "Mille" Petrozza
Jürgen "Ventor" Reil
Nuclear Blast / Warner
45:29
01.06.2012