Eines vorweg: Der neueste MESHUGGAH-Brocken ist ein Album, das beim Verfasser dieses lyrischen Ejakulats eine gewisse schizophrene Wahrnehmung provoziert. Einerseits machen die Herren aus dem schwedischen Umeå alles richtig, andererseits alles falsch. „Koloss“ ist eine Acht und eine zwölf zugleich. Aus konsequent subjektiver Sicht, versteht sich.
Die Urväter des Math Metal - oder, wie PERIPHERYs Misha Mansoor es vor etwas mehr als einer Dekade im Internet etablierte, des „Djent“, besinnen sich auf ihrem nunmehr siebten Vollzeithirnverdreher im Grunde auf genau das, was sie am besten können, und so erleben wir die Urgewalt und einige andere typische Merkmale von „Destroy:Erase:Improve“ und „I“, den nihilistischen Ansatz vom extrem zermürbenden, angepissten „Nothing“, die Kälte und Beklemmnis von „Chaosphere“, etwas Aktualität meets Retroshuggah, wie sie bereits bei "obZen" ungebremst kollidierten. Gekrönt wird der anabolisierte Jimmy Neutron-Metal durch Jens Kidmans gewohnt monotones Brutalogeschrei, das seit der „None“-EP eher als fünftes Instrument statt Gesang gelten dürfte, und das Gesamtresultat wurde in einen ungemein schwergewichtigen Sound gepackt, der wohl noch nie so heavy war wie dieses Mal.
Auch sind die Songstrukturen trotz der typischen Komplexität, fußend auf Polyrhythmik und Polymetrik, regelrecht nachvollziehbar. Erfreulicherweise findet man ebenso erfrischend viele atmosphärische, spacige Cleangitarrenparts auf dem 54-Minüter, allen voran das an GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR erinnernde, elegische Outro „The Last Vigil“. MESHUGGAH zeigen sich demnach von ihrer qualitativ höchstwertigen Seite und schaukeln den Kahn souverän nach Hause.
Doch ein neues MESHUGGAH-Album zu hören war in der Vergangenheit immer wieder an ein gewisses Maß an Überraschung gekoppelt. Man freute sich als Hörer, für die Folgezeit ordentlich etwas zu knabbern zu haben, so lange, bis der Kiefer schmerzt. Selbst die Enttäuschung barg Freude in sich, denn die Skandinavier haben, beide Mittelfinger vor die Linse des inneren Auges gestreckt, immer nur einfach das getan, wonach ihnen war. Ob man das als Fan nun mochte oder nicht - friss oder stirb, hier hast du, sieh halt zu, was du damit machst.
Doch nun? Nun hat man nach rund zehn Durchläufen das Album im Kopf, jeder Rhythmus, dessen Verschiebungen, die synkopischen Riffs um das Gerüst mäandernd, alles ist gespeichert. Sitzt. Ist in den zerebralen Chip eingebrannt., und verdammt, ja, die „Verrückten“ dürfen nach einem Vierteljahrhundert Existenz fucking tun und fucking lassen, was sie wollen, aber fast scheint es so, als würden sich MESHUGGAH mit diesem Album ein wenig auf ihrem Kultstatus ausruhen. Gefährlich dabei ist, dass TEXTURES, TESSERACT, VILDHJARTA, ANIMALS AS LEADERS sowie einige andere „intellidjente“ Bands zuletzt verflucht starke Alben veröffentlicht haben, die musikalisch mindestens ebenbürtig sind - oder gar besser. Und vor allem teilweise deutlich mutiger.
FAZIT: Soll man es nun loben, dass MESHUGGAH mit „Koloss“ das wohl erwachsenste Werk ihrer Bandgeschichte abliefern oder muss man sich grämen, weil man sich insgeheim dann doch etwas mehr infantile Naivität und Experimentierfreude gewünscht hätte? Dieses Album hat die Seele des Rezensenten wie ein scharfes Beil entzweit, doch die experimenteller veranlagte „Hälfte“ derselben ist das gewisse zehntel Prozent größer.
Punkte: 10/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 27.03.2012
Dick Lövgren
Jens Kidman
Fredrik Thordendal, Mårten Hagström
Tomas Haake
Nuclear Blast
54:32
23.03.2012