Die Schlange beißt sich unweigerlich in den Schwanz, wenn sie mit Wonne um den Fels herumkriecht, der sich Progressive nennt, selbst mit einem Neo- voraus. Eigentlich könnte hier die gleiche Kritik wie zum letzten KNIGHT AREA-Album stehen, zu CROSS (ohne Violine), COMEDY OF ERRORS oder eine Erfolgsmeldung: LEST endlich mit ansprechender Produktion und wesentlich besserem(n) Sänger(n). Nur den Vergleich mit LEAP DAY vergessen wir ganz schnell wieder. SILHOUETTE stammen zwar auch aus Holland, spielen aber in einer ganz anderen Liga.
Technisch haben es SILHOUETTE raus: Einzel- und Satzgesang sind höchst gelungen, Tasteninstrumente werden satt und abwechslungsreich eingesetzt, die Gitarren setzen härtere und prägnante Akzente, ohne dass die Musik je gen Metal ausbüxen würde. Aldo Adema (SEVEN DAY HUNT, EGDON HEATH etc.) darf, neben Keyboarder Erik Laan, nicht nur als Produzent glänzen, sondern auch extra ausgewiesene Gitarrensoli beisteuern. Kriegt er beides hin. Die Rhythmusgruppe sorgt für genügend Druck, um das musikalische Geschehen nicht in einschläfernde Gefilde abrutschen zu lassen.
Kurzum, es jubiliert, tiriliert, ist von elegischer Erhabenheit und rauschhafter Opulenz. Überraschend ist der gelegentliche, dann aber exzessive Hammond-Einsatz, wenn auch eher nachgemacht als Original B3, und der ein oder andere Soundeffekt. Aber insgesamt ist das „Wind & Wuthering“ plus „Script Of A Jester’s Tear („Grendel Memories“; nudge nudge, wink wink) malgenommen mit Pathos hoch vier, geteilt durch PENDRAGON, IQ, ARENA, RPWL, und hinterm Komma abgerundet mit SPOCK’S BEARD oder den FLOWER KINGS. Egal, so groß ist deren Einfluss nicht.
FAZIT: Es gibt so viel einzuwenden gegen diese Art von Musik: Altbacken, aufgeblasen, alles andere als progressiv, auf ausgetretenen Pfaden umherirrend wie ein besoffener Barde auf der Suche nach sich selbst; fünfzig Sangeskollegen im Schlepptau, denen es ähnlich geht. Aber was soll man machen, der Pfad ist üppig bemoost, der Wald, durch den er führt, ist voller wuchtiger Bäume, und am Rand des ersten offenen Feldes wartet ein akkurat aufgestellter Kinderchor, der jeden Wanderer und rastlosen Läufer volltönend und freundlich empfängt. Wer kann und will da schon böse sein? Baff und erschlagen von so viel Größe und einschmeichelnden Melodien gelingt es mir nicht. Stattdessen ertappe ich mich beim Mitsummen.
Punkte: 10/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 17.07.2012
Gerrit Jan Bloemink
Brian de Graeve, Erik Laan, Jos Uffing
Brian de Graeve, (Soli)
Erik Laan
Jos Uffing
Progress Records
58:31
28.06.2012