Da sage noch einer, musikreviews.de hätten Scheuklappen auf! Diese Mini-LP fände durchaus auch ihren Platz in einer schamanischen Fachzeitschrift. Der eigenwillige und sehr produktive Haufen um Nathaniel Ritter und Troy Schafer war ohnehin schon für schwer fassbare „Ur“-Folkmusik bekannt, doch „Hyperion“ ist wirklich der Gipfel der Grenzenlosigkeit.
Jedes der drei Stücke basiert auf einem durchgehenden, tiefen Bordunton, der anfangs noch das Gefühl vermittelt, dass es gleich losgehen könnte. Dazu improvisieren zu Beginn der Platte zwei Geigen, und je nach konsumierter Droge kann man sich in mongolischen Steppen, dem transsilvanischen Becken, der finnischen Tundra, dem schottischen Hochland, Isengart oder dem Weltraum an sich wiederfinden. Das pulslose Flirren akustischer und synthetischer Instrumente im Hintergrund liefert die Kulisse und bringt schemenhaft Harmonien oder kleine Melodiefetzen hervor. Die Atmosphäre, die dabei entsteht, ist auf jeden Fall intensiv, mystisch, spirituell, dunkel, aber nicht wirklich bedrohlich.
Tiefe Männerstimmen heben irgendwann an und rezitieren teilweise mehrstimmig Stefan Georges Gedicht „Hyperion“ und Texte des ehemaligen Kosmikers Ludwig Klages. Starker Tobak also auch hier. Und doch ergibt sich ein Spannungsbogen, wirkt das Ganze durchdacht und ist auch in seiner Länge noch im Wachzustand konsumierbar, sofern man hier keine Musik im herkömmlichen Sinn erwartet.
FAZIT: „Hyperion“ scheint, auch aufgrund der auf 250 Stück begrenzten Auflage, ein Experiment von der Gruppe aus Wisconsin zu bleiben. Für Fans ist die Scheibe allein deshalb schon interessant, auch Besitzer von Hildegard von Bingen-CDs können bedenkenlos zugreifen. Alle anderen sollten vorher ihre Meridiane abfahren und prüfen, ob ihr Aszendent mit den Schwingungen dieser Musik die nötige Verwandtschaft aufweist.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 28.12.2013
Nathaniel Allen Ritter, Troy Allen Schafer
Pesanta Urfolk
24:24
26.11.2013