Zurück

Reviews

Mats-Up: Psalmen von Said

Stil: Jazz

Cover: Mats-Up: Psalmen von Said

So wie der deutsch-iranische Schriftsteller Said die Sprache als seine "Behausung" begreift, so sehr ist die Verschränkung von Kammermusik und Jazz MATS-UP in Fleisch und Blut übergegangen. Das Sextett setzt die dringlichen Gottesgerufe des einstweiligen Exilanten (fragt sich wo: im Osten oder hier?) in eine erstaunlich leicht zugängliche und keineswegs rührselige Liedersammlung um, die im Gegenteil sogar regelrecht euphorische Töne findet.

Einen großen Anteil an diesem Eindruck hat Sänger Tobias Christl, der gar nicht zum Bild des exaltierten Jazz-Vokalisten passen möchte. Er bietet Saids Verse sehr nahbar dar, gänzlich unaffektiert und vor dem luftigen Instrumental-Hintergrund stets elegant. So fließen die Stücke eher, als Szene-Polizisten mit dem Finger zeigen zu lassen nach dem Motto: Seht nur, wie heiß die spielen können. Nein, MATS-UP stellen sich in den Dienst ihrer Kompositionen beziehungsweise unter den Scheffel der deutschen Sprache, die der Dichter schlicht wie schön klingen lässt.

Zuweilen macht das Ensemble keine eigentlichen Lieder aus den Worten, sondern expressionistische Klanginstallationen, beispielsweise im anklagenden "lass uns das gespräch wieder aufnehmen" oder während "elle". Die Inhalte der Texte bedingen es eben, quasi als sei der Schreiber ein weiterer Musiker, auf den es im Rahmen des Jazz-Ethos einzugehen gilt. Dies schließt wiederum nicht aus, dass "breite deine arme aus" bis auf ein Hauchen ohne Worte bleibt ... und der Hörer ist gleichsam sprachlos, wenn ihm vor Augen geführt wird, wie vielfältig diese Musik ist.

So verbindet "ich singe kein lob" freie Strukturen mit - ja: beinahe Broadway-Crooning, so setzt insbesondere Schlagzeuger Egli den Titel "reisse sie nieder" quasi wörtlich in Schlägen um, und so lässt "zwei tauben" einen Schulterschluss mit dem Piano-Jazz-Mainstream zu, ohne den Kunstlied- beziehungsweise Programm-Charakter zu vernachlässigen: Hier tanzen die beiden namengebenden Vöge nämlich wirklich vor dem geistigen Auge. "Psalmen von Said" ist damit ein Fest für alle Sinne, organisiert allein von Tönen mannigfaltiger Art.

FAZIT: MATS-UP ist mit dieser unverkrampften, ungekünstelten Vertonung des Schlüsselwerkes eines literarischen Helden gelungen, der immer noch unterm Radar des deutschsprachigen Literatur-Konsens rangiert. Die Combo selbst glänzt dabei mit fantastisch klingedem, grenzenlosen Akustik-Jazz, zu dessen Genuss man kein Gläubiger sein muss, um zuversichtlich in die Zukunft der Gegenwartsmusik zu schauen.

Punkte: 12/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 14.02.2013

Tracklist

  1. rühme mich
  2. stimme mir zu
  3. schenke mir neue füsse
  4. lass uns das gespräch wieder aufnehmen
  5. vertreibe den tod
  6. breite deine arme aus
  7. ich singe kein lob
  8. entzweie dich
  9. reisse sie nieder
  10. zögere
  11. zwei tauben
  12. eile

Besetzung

  • Bass

    Raffaele Bossard

  • Gesang

    Tobias Christl

  • Keys

    Marc Méan

  • Schlagzeug

    Dominic Egli

  • Sonstiges

    Matthias Spillmann (Trompete, Flügelhorn), Reto Suhner (Saxofon, Flöte, Klarinette)

Sonstiges

  • Label

    Unit / Harmonia Mundi

  • Spieldauer

    48:01

  • Erscheinungsdatum

    15.02.2013

© Musikreviews.de