TAMARA DANZ sang und textete 1993 in „Traumpaar“ sehr eindrucksvoll: „Sie schwebt verwirrt in Düften, in Lichtern bunt und grell und er versäuft in aller Ruh' ihre Mitgift und ihr Fell!“ Dass mir genau diese Zeilen nicht nur in den Sinn, sondern wieder in den Kopf, den ich nicht an einen anderen Kopf, sondern vor Wut an die Wand schlagen möchte, kommen, ist das erschreckende Ergebnis von „Kopf an Kopf“, dem wohl erfolgreichsten, doch zugleich schlechtesten Album von SILLY.
Wer wohl hätte gedacht, dass sich die Verse des Liedes, das sich kritisch mit der Wiedervereinigung auseinandersetzte, genau 20 Jahre später auf „Kopf an Kopf“ eine völlig neue Bedeutung erlangen würden? Doch nun versaufen vier Musiker, die früher gemeinsam mit TAMARA DANZ einmal SILLY waren, gemeinsam mit einer in erster Linie als Schauspielerin agierenden jungen Dame, die Mitgift ihrer ehemaligen Sängerin, durch die sie erst zu dem wurden, wofür man sie auch heute noch liebt. Kritisch, unangepasst, erfolgreich, anspruchsvoll, mutig, kämpferisch, musikalisch einzigartig, mit Texten, die erst zu Herzen und dann frontal ins Hirn gehen, um sich dort festzufressen. Übrig bleibt nach dem neusten SILLY-Werk nur noch das Adjektiv „erfolgreich“.
Was bitte denkt sich eine Band, wenn sie eine begnadete, charismatische und zugleich kritisch-offene sowie hervorragend textende Sängerin an Gevatter Tod verliert, nunmehr endgültig durch eine singende Schauspielerin ersetzt, die zwar keine Ausnahmestimme, dafür aber als Schauspielerin ein Ausnahmetalent und berechnendes Gespür bei der Vermarktung von SILLY hat? Doch nicht nur das, man überlässt dieser ANNA LOOS auch noch die Texthoheit, verbannt den kritischen Ausnahme-Lyriker Werner Karma zur Randfigur, und überschüttet den Hörer mit den belangLOOSesten Texten, die es jemals auf einem SILLY-Album zu hören gab. „Kopf an Kopf“ ist das traurige Ergebnis eines bedrückenden Entwicklungsprozesses von der Familie SILLY, die zur (Ost-)Legende wurde, hin zur wiedervereinten Austauschbarkeit deutschsprachiger Erfolgsbands wie SILBERMOND oder PUR, PE WERNER oder NENA.
SILLY ist keine Band mehr, sondern nur noch ein Markenzeichen. Und damit wären wir nicht nur beim aktuellen SILLY-Album, sondern auch bei deren Homepage, die, wenn man sie genauer liest, einiges offenbart.
Besonders jede Menge Widersprüchliches.
Und jede Menge, dem widersprochen werden muss, wie z.B. „Silly ist bis heute ein Markenzeichen, das für Qualität steht. Ein Maß, an dem sich nicht jeder messen kann. Ein Versprechen, das gehalten wird.“
Ja, das Markenzeichen stimmt – aber die Qualität nicht mehr.
So wird aus dem angeblichen Versprechen nur noch ein Versprecher.
Die Musik bedient so etwa alle Freunde der gut vermarkteten deutschen Pop-Musik von SILBERMOND über JULI bis hin zu WIR SIND HELDEN und macht selbst vor SCHLAGER-Einerlei, wie beispielsweise auf „Deine Stärken“, „Deine Stimme“ oder „Ohne Dich“ (mit üblem Streicher-Schmalz im Refrain) nicht halt - die nichts Anderes als als Pop-Songs oder Balladen getarnte Schlager, die auch textlich kaum über Schlagerniveau hinaus reichen, sind.
Natürlich sind schlechte Texte aus dem Hause SILLY unverzeihlich, aber die schlechten Kompositionen setzen dem ganzen nur noch die Krone auf. Zwar gibt es zwei wundervolle Titel, die das alte SILLY-Gefühl wecken, ohne es kopieren zu wollen und die dadurch extrem aus diesem Mainstream-Kopf-an-Kopf-Gewurschtel herausstechen. „Vaterland“, deutschlandkritisch von WERNER KARMA getextet und sehr einfallsreich vertont sowie mit recht exotischen Instrumenten umgesetzt, lässt einen beinahe verzeihen, dass die Sängerin trotz ihrer mittelmäßigen Stimme zwar zu SILLY gehört, dagegen aber die Musiker zum Glück tatsächlich noch echte SILLYs sind. „Blutsgeschwister“, der einzige Text, der ANNA LOOS wirklich gelungen ist und der als Ballade auch mit ihrem Gesang echt Wirkung hinterlässt, erzählt dann die Geschichte von zwei Freundinnen, deren Entwicklung nach dem Mauerfall so gegensätzlich verläuft, dass sie ihre Freundschaft einbüßen. Dem „Traumpaar“ sehr ähnlich und beinahe symptomatisch für das musikalische Verhältnis einer TAMARA & einer ANNA:
Wurzellos in der neuen Welt,
Haben wir nicht genug gekämpft,
Ich wüsst' gern, ob du an mich denkst.
Ja, ich denke noch oft an diese außergewöhnliche Danz, wobei ich Anna ganz schnell vergessen möchte, und glaube daran, dass Tamaras Geist noch immer unter uns lebt. Ihre Widersprüchlichkeit. Ihr Wagemut. Ihre Unerbittlichkeit. Ihre Ehrlichkeit bis hin zur Selbstaufgabe und ihr Mut, immer wieder aufzustehen, wenn sie am Boden lag. Bis zu dem Zeitpunkt, als die Metastasen erst ihre Brüste und am Ende den ganzen Körper sowie ihren Kampfeswillen bevölkerten, bis sie auch den letzten Kampf endgültig verlor, obwohl sie noch in ihrem letzten Interview mit Alexander Osang feststellte: „Ich krieg doch immer so'n Spritzchen, weißte. So 'n Morphinzeug. Merkst du mir eigentlich was an? Dass ich irgendwie anders bin? So schnell kriegt man mich nicht unter, das sag ick dir.“
Haltet diese Musikerin in Erinnerung! Aber verkauft nicht ihr Fell und tretet ihre Hinterlassenschaft mit Füßen. Auch wenn es System hat, dieses Treten, bereits als drei Jahre nach ihrem Tod 1996 das Live-Album SILLY & GUNDERMANN (der ebenfalls kurz vor der Veröffentlichung starb) „Unplugged“ (1999) erscheint, das nach ihrem Willen nie erscheinen sollte, als sich herausstellte, dass Gundermann kurze Zeit als Stasi-IM aktiv war, selbst wenn er dies zutiefst bereute.
Und damit wären wir noch einmal bei der stellenweise unerträglichen Selbstreflektion von SILLY unter ihrer eigenen Homepage. Wahrscheinlich haben sie gar nicht bemerkt, dass sie auf ihrem Band-Bild alle zwar gemeinsam auf einer „Baumstamm“-Bank im Wald sitzen, aber jeder in eine andere Richtung schaut. Und zufriedene oder halbwegs glückliche Blicke sehen ebenfalls anders aus.
Ganz genauso klingt das Album. Wie ein Kampf um die musikalische Ausrichtung, bei dem es am Ende keine Sieger, sondern nur Verlierer gibt. Jeder hat sich irgendwie und irgendwo durchgesetzt, aber keiner ist zufrieden mit dem, was dieses gänzlich zerrissene Album, genauso wie die zerrissenen Kopfstücke auf dem Cover von „Kopf an Kopf“, am Ende geworden ist.
Und dann belügt man sich und seine Fans auch noch mit solch unerträglichen Sätzen: „Es ist das vielleicht persönlichste Album der Berliner Rockband. Das neue Album hat 15 Songs, zumeist sehr emotionale Stücke, die unverkennbar SILLY sind. Songs, die in Mark und Bein gehen. Authentische Texte, die uns erinnern lassen, warum die Band geliebt wird. Geballt zielt alles ins Herz und trifft.“
Nicht ein Wort erscheint mir hier wahr!
Das persönlichste Album war garantiert „Asyl im Paradies“, als eine bereits an Krebs erkrankte Tamara Danz Zeilen wie: „Meine Uhr ist abgelaufen / Ich hänge lose in der Zeit […] Sag ihnen, keine Macht der Welt / Holt mich zurück an Land. Gib mir Asyl, hier im Paradies / Hier kann mir keiner was tun!“, intonierte und im Angesicht des Todes noch live sang. Dem stehen solche Textpassagen wie von Anna Loos gegenüber, die an Peinlichkeit kaum mehr zu übertreffen sind und so oder ähnlich immer wieder auftauchen: „Und jedes Spiel hat einen Sieger / Und auch er wird mal verlieren / Und den Himmel braucht der Flieger / Wo bin ich da mitten drin?“ So etwas hat unverkennbar NICHTS mit Silly zu tun, geschweige denn mit authentischen Texten, die mitten ins Herz treffen. Das ist eher ein Tritt in den Allerwertesten, der sich unter und hinter dem Herzen befindet und für Geräusche und Gerüche sorgt, die nichts mit Herzschlägen zu tun haben, dafür aber am Ende nicht nur jedes gute Gefühl vertreiben, sondern auch die Atmosphäre verpesten.
Tamara Danz äußerte sich kurz vor ihrem Tod, dass sie manchmal richtig „militant drauf ist“, wenn sie gegen Ungerechtigkeiten vorgeht, egal ob's die Bekämpfung der Rechten oder die Umweltzerstörung betrifft. Auch dass ihr Publikum und die Fans zu DDR-Zeiten sogar ein Schutz für sie waren, damit sie ihre textlichen und musikalischen Ideale verwirklichen konnten. Damals bildete man eine Einheit, die füreinander einstand. Mir ging es damals als einer, der mit zu diesem Publikum gehörte, im Umgang mit der Band genauso. Das verband uns. Mit „Kopf an Kopf“ haben SILLY nunmehr das Band zwischen uns zerschnitten. Doch viel Schlimmer ist wohl, dass sie sich zugleich endgültig von TAMARA DANZ abgenabelt haben, was auch für den einen Nachlass-Text, den sie von ihr vertonen, gilt. Ein Text, der darüber spricht, wie Menschen ihre Kinder (v)erziehen und sie wie Hunde dressieren, statt sie mit Kritik und Freiheit groß werden zu lassen – Gleiches gilt übrigens auch für unser BildUNgsWESEN, welches ebenfalls zurecht immer wieder unter danzschen Beschuss geriet: „Jacke wie Hose passend zum Wagen / Gib Pfötchen, mach Männchen – es wird applaudiert. So und nicht anders / Nicht anders sind wir.“ Dazu gibt’s Musik im „besten“ SILBERMOND-Tralala zum Mitwippen und bei „Lügen legen die Unschuld in Scherben“ möchte man schon beinahe mitschnippen. Zum Glück, Tamara, musstest du das nicht mehr erleben – es würde dir und deinen Ansprüchen weh tun. Dich verletzen. Deinen Geist durch die Musik-Hölle schicken, in der entweder das Teufelchen Euro oder die Hexe Mittelmaß gerade die SILLY-Musik-Seele aufkauft.
FAZIT: Laut der offiziellen SILLY-Homepage fing die Geschichte der Band an „einem Biertisch in Prenzlauer Berg“ (Berlin) an. Wenn die musikalische Zukunft von SILLY allerdings auch weiterhin ähnlich wie „Kopf an Kopf“ klingen sollte, wäre es höchste Zeit, dass die Geschichte für SILLY an einem Biertisch in Prenzlauer Berg endet.
PS:
Bevor hier in unserem Gästebuch Silly-Fans auf mich einschlagen werden, bitte ich euch, einfach zu beachten, dass der Autor dieser Kritik in der DDR nicht nur lebte, sondern auch litt, worüber die 270 Seiten seiner Stasi-Akte, angelegt unter dem Namen „Der Verbesserer“, ein sehr aussagekräftiges Zeugnis sind. Selbst als er seinen Beruf als Lehrer in der DDR verlor, half ihm gerade die Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit der Musik und Texte von SILLY, all diesen diktatorischen Wahnsinn zu überstehen, in dessen Namen man einem ganzen Volk seiner Freiheit beraubte. Ähnlich erging es auch seiner Lebenspartnerin, die an der Entstehung dieser Kritik kreativ mitwirkte. Ihr wollte die Stasi allerdings den damals zweijährigen Sohn wegnehmen, als sie einen Ausreiseantrag gestellt hatte.
SILLY waren damals für viele, denen es ähnlich wie uns erging, der musikalische Lichtblick durch die ideologisch-politischen Gitterstäbe eines üblen Unrechtssystems, wobei uns eine Tamara Danz aus dem Herzen sprach und sang.
25 Jahre später ist leider nichts mehr übrig geblieben von dieser Wirkung, dafür sind aber alle alten DDR-Kader wieder zurück und haben sich bequem in der Marktwirtschaft eingerichtet, genauso wie sie es zuvor in der stalinistischen Ideologie taten. Genau jetzt bräuchten wir so eine Frau wie Tamara Danz mit ihrem scharfen Blick, der spitzen Zunge und charismatischen Stimme wieder und eine Band, die sich dieser Qualitäten besinnt. Am Ende aber bekamen wir stattdessen eine Anna Loos, die jedes Mal recht angefressen reagiert, wenn man sie auf den Ost-Rock anspricht, mit vier Begleitmusikern, denen man die musikalischen Flügel stutzte. Und Texte, die mich, statt zu ermutigen, verzweifeln lassen. Da leg' ich wohl doch wieder den alten Kunze auf und höre besser die weisen, vorausschauend prophezeienden Zeilen: „Die kommen alle immer wieder, die kommen alle immer schlimmer wieder!“ - und bleibe auch weiterhin im Sinne von Tamara „militant“!
Erschienen auf www.musikreviews.de am 13.04.2013
Jäcki Reznicek
Anna Loos
Uwe Hassbecker
Ritchie Barton, Anna Loos
Ronny Dehn, Chris Heiny, Leo Vaessen
Uwe Hassbecker (Violine), Daniel Hassbecker (Cello)
Island / Universal
64:19
22.03.2013