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STEVEN WILSON ist ein Meister der Reproduktion. Klanglich veredelte er die Discographie JETHRO TULLs, EMERSON, LAKE & PALMERs und KING CRIMSONs; der Einfluss letztgenannter Band war auf seinen letzten Solo-Alben kaum zu überhören, ebenso eine Hinwendung zum elektrifizierten Jazz. Geblieben ist die altbekannte Vorliebe für balladeske Melancholie. Gleichzeitig versteht es WILSON sich mit Musikern zu umgeben, die seine klanglichen und musikalischen Vorstellungen in Perfektion umsetzen. Nachzuhören (und zu sehen) auf der fantastischen Live-Aufnahme "Got What You Deserve". Auf der ein Appetizer des kommenden Studio-Albums zu finden war. "Luminol", der Opener von "The Raven That Refused To Sing", fand im Live-Kontext eine passende, mitreißende Umsetzung, ergänzte das ältere Material um eine stimmige Note.
Demgegenüber fällt die Studiovariante etwas ab. Die Musiker, angefangen bei Nick Beggs mit seinem voluminösen, präzisen Bassspiel, über Theo Travis atemlose Flötentöne und aggressives Saxophongebläse, zu Adam Holzman, der zwischen Canterbury und Jazz die Klaviatur hinauf- und hinabjagt, liefern eine Flut von Kabinettstückchen, während der Chef sich bis kurz vor Schluss vornehm zurückhält (während "Drive Home" spielt er allerdings eines der schönsten Gitarrensolos seiner Karriere), ehe im Finale das Mellotron explodiert. Und spätestens hier wird deutlich, was einen, bei aller Brillanz, an "Luminol" stört: man sehnt sich während des Climax nach "The Court Of The Crimson King". Das zwar nicht den komplexen Songaufbau von "Luminol" besitzt, aber in seiner bedrückenden Dramatik viel unmittelbarer wirkt. Wobei keine Missverständnisse aufkommen sollen: "Luminol" ist ein fulminanter Parforceritt, dem es gelingt, KING CRIMSON, einen Touch von VAN DER GRAAF GENERATOR, RETURN TO FOREVER und Gesangsharmonien á la C,S,N & Y zu verbinden ohne auseinanderzufallen. Hoher Technikwert (glücklicherweise abseits einer TRANSATLANTIC-Nabelschau) und ein bisschen Ergriffenheit. Doch auch Stirnrunzeln ob der leicht protzigen, abgeklärten Zurschaustellung des eigenen Vermögens.
Erlauben können es sich die Musiker allerdings. Kein Schwächeln, während STEVEN WILSON Bilanz zieht: Ein bisschen BLACKFIELD hier (Das Opening von "Drive Home"), ein Schuss STORM CORROSION da ("The Watchmaker"), bloß PORCUPINE TREE bleibt ein Schemen im Hintergrund (ähnliches gilt für PINK FLOYD-Verweise, die früher gerne eingebaut wurden. War WILSON eigentlich an den Immersion-Boxen beteiligt?). Zu den weiter oben genannten großen Alten gesellen sich stellenweise sogar die frühen GENESIS hinzu (ebenfalls "The Watchmaker").
Dass ALAN PARSONS soundtechnisch am Album beteiligt ist, ist ein netter Gag am Rande. WILSON selbst hätte es vermutlich auch ohne ihn ähnlich hinbekommen. Aber der Mann steht anscheinend auf Arbeitsteilung. Was ihn – wie schon beim Live-Auftritt in Mexiko – sympathisch macht.
"The Raven That Refused To Sing" ist ein akustischer Statusbericht, der funkelt und glänzt wie ein scharf geschliffener Diamant im Schein einer knallbunten Lichtorgel. Deren Energie aus der Vergangenheit gespeist wird. Noch reicht dies um zu glänzen, doch die ersten Ermüdungserscheinungen stellen sich ein. Das Flackern verblasst allmählich.
STEVEN WILSON ist ein Künstler, fürwahr, und wenn jemand den Begriff "Art Rock" für sich in Anspruch nehmen kann, dann er. Ob "The Raven That Refused To Sing" Höhepunkt oder Niedergang bedeutet, wird sich noch rausstellen. Im Moment vermag das Album ebenso zu begeistern wie fragende Blicke auszulösen. Denn so hinreißend es eingespielt wurde, so berückend manche Idee und ihre Ausführung auch ist: Nicht nur an den Rändern wird aus Kunst Künstlichkeit und neben all den klanglichen Ejakulationen macht sich ein wenig Langeweile breit. Zeit für etwas Neues. Bei der Umtriebigkeit STEVEN WILSONs wird man sicher nicht lange darauf warten müssen… oder es befürchten?
FAZIT: Kollege Schiffmann schreibt in seinem Fazit, dass er die Gefahr sieht, dass "The Raven That Refused To Sing" PORCUPINE TREE entwerte; dabei ist genau das Gegenteil der Fall: Das Album lässt eine Wiederbelebung PORCUPINE TREEs nötiger denn je erscheinen. Nicht mehr die Signale anderer – zugegebenermaßen beeindruckend – verarbeiten, sondern selbst wieder welche setzen. Ein Mann tanzt im Schatten seiner Vorbilder und man möchte ihm zurufen: Tritt verdammt nochmal heraus, wir wissen, dass du es kannst. Doch er tanzt unbeirrt weiter. Und es ist immer noch verdammt verlockend ihm dabei zuzusehen und zuzuhören. Jedoch schleicht sich eine gewisse Distanziertheit ein. Sowie Fragen. Was bleibt, was kommt als nächstes?
"Vorbei und reines Nichts, vollkommnes Einerlei!
Was soll uns denn das ew'ge Schaffen!
Geschaffenes zu nichts hinwegzuraffen!
«Da ist's vorbei!» Was ist daran zu lesen?
Es ist so gut, als wär es nicht gewesen,
Und treibt sich doch im Kreis, als wenn es wäre.
Ich liebte mir dafür das Ewigleere."
Dass "The Raven That Refused To Sing" in diversen wertigen und hochwertigen Ausgaben erscheint, ist ja nahezu obligatorisch. Der sparsame Hörer komplexer Musik und/oder Grundkursbesucher des "The State of Art Rock"-Seminars gibt sich wahlweise mit der einfachen CD zufrieden oder der nur unwesentlich teureren "Special Edition" in Gestalt einer einzelnen BluRay. Vinyl-Fans bekommen ein stabiles 180-Gramm-Teil bei Begehren. Der wahre Fan, Klang- Aficionado oder examinierte "State Of The Art Rock"-Magister mit ordentlich Taschengeld greift zur Deluxe Edition (2 CDs + DVD + Blu-ray + 128seitiges Buch).
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 18.02.2013
Nick Beggs
Steven Wilson
Guthrie Govan, Steven Wilson
Adam Holzman
Marco Minnemann
Theo Travis (Saxofon, Flöte)
Kscope/Edel
54:43
01.03.2013