Volle acht Jahre waren FROST* nun im Tiefkühlschrank verstaut, jedenfalls gemessen an ihren Veröffentlichungen. Dass Jem Godfrey das Gefrierfach irgendwann in nächster Zeit wieder öffnen würde, war abzusehen; schließlich hat er seinem langjährigen Weggefährten John Mitchell vor einem guten Jahr dabei geholfen, das Neoprog-Ausrufezeichen LONELY ROBOT aus der Taufe zu heben. Es ist nicht auszuschließen, dass diese Zusammenarbeit dazu beflügelt hat, ein drittes Kapitel im eigenen Schaffen zu realisieren. Dabei hilft Mitchell nun im Umkehrschluss Godfrey, gemeinsam mit Nathan King am Bass und Steven Wilsons Session-Drummer Craig Blundell, eine Formation, die so bereits seit sechs Jahren besteht.
Ähnlich wie LONELY ROBOTs Debüt beginnt „Falling Satellites“, das von der Unwahrscheinlichkeit menschlichen Lebens handelt und auf dessen Wertschätzung abzielt, mit atmosphärischem Geplänkel. Auch mittendrin wird es immer wieder Phasen des Innehaltens geben; aber nur, um die vielen Explosionen dazwischen standesgemäß in Szene zu setzen. Mit dem Erstling „Milliontown“ hat das aktuelle Schaffen kaum mehr etwas gemein, abgesehen von der groben Stilrichtung; „Experiments in Mass Appeal“ deutet schon eher die Richtung an. Aber heuer setzt Godfrey trotzdem noch einen drauf. Ein Stadion mit dieser Musik zu beschallen würde bedeuten, Sterne vom Himmel zu schießen und einen meilenweiten Umkreis live an dem Lichtspektakel teilnehmen zu lassen.
Dass Godfrey an einer homogenen Linie nicht viel gelegen ist, lässt sich schon daran erkennen, dass er die letzten sechs Stücke als Suite mit dem übergeordneten Titel „Sunlight“ vom Rest abkoppelt und darin dennoch wild experimentiert. Um schlichte Drumbeats gemäß dem jüngeren Werk DEVIN TOWNSENDs ist er ebenso wenig verlegen wie um industrielle Hochgeschwindigkeits-Keyboard-Effekte der Marke „Hammer And Anvil“ (PURE REASON REVOLUTION). Ein paar bluesige Hardrockposen gestattet man sich gerne („The Raging Against The Dying Of The Light Blues In 7/8”), soliert wird sowohl in Gitarrenform (mit Joe-Satriani-Cameo) als auch am Keyboard. Neue Instrumente werden ausprobiert (das mit dem Chapman Stick verwandte, jedoch kühler klingende Chapman Railboard) und der SciFi-Atmosphäre dienlich gemacht, die irgendwo zwischen den 80ern und frühen 90ern angesiedelt ist, ohne betont retro klingen zu müssen. „Towerblock“ bietet sogar eine Bandbreite zwischen Soul und IDM.
Es ist auch ein Album, das instrumental ähnlich gut funktionieren würde wie nun mit Gesang, den sich Godfrey und Mitchell mit der ihnen eigenen Nüchternheit teilen. Ohnehin überlassen sie dem Instrumentarium in vielen Passagen bereits die alleinige Hoheit. Bei der Kraft und Energie, die alleine von den Arrangements ausgeht, ist es einfach sich vorzustellen, wie das Thema alleine über das Gespielte erfasst würde.
Emotionen schießen jedenfalls mit der Geschwindigkeit eines Adrenalinschubs vom Ohr ins Gehirn. Sie werden mit einer Mischung aus Gefühl und positiver Aggression im Verfahren der Ultrahocherhitzung zu einer brodelnden Brühe aufgekocht, die so intensiv ist, dass man sie auf Anhieb kaum wahrnehmen kann. Dazu sollte man sich schon diverse Anläufe gönnen.
FAZIT: Im Vergleich zu „Falling Satellites“ war die Geschichte von Mitchells einsamem Roboter gemäßigter Schunkelpop. FROST* liefern 2016 ein Album mit beeindruckendem Peng-Effekt, der fast schon zu laut ausfällt. Hier kanalisiert sich wohl so ziemlich alles, was Jem Godfrey in den letzten acht Jahren zusammengeschrieben hat. Das Ergebnis ist ekstatisches Stop And Go, drei Alben in einem, zum Wieder-Wieder-Wiederhören geschaffen.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 27.05.2016
Nathan King
Jem Godfrey, John Mitchell
Jem Godfrey, John Mitchell, Joe Satriani
Jem Godfrey
Craig Blundell
Jem Godfrey (Railboard)
InsideOut
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27.05.2016