Es ist verdammt harter Tobak, der an unserem Vergessen rütteln und die Grauen einer mörderischen Vergangenheit lebendig machen soll, wenn wir uns bei diesem Musikdrama gegen das Vergessen auf den Weg zu den Kindern der toten Stadt begeben, deren Herzen seit langem nicht mehr schlagen, die aber unsere Herzen zutiefst berühren.
<a href="https://www.youtube.com/watch?time_continue=64&v=q7TB8fRCgpo" rel="nofollow">IRIS BERBEN, die Schirmherrin dieses Projekts</a> und zugleich Sprecherin als die Frau des Komponisten – der übrigens ausgezeichnet von PETER HEPPNER dargestellt wird – stellt zu „Die Kinder der toten Stadt“ unmissverständlich fest: „Ein dringendes, ein nicht einfaches Stück, das uns an keiner Stelle unterhalten will, sondern unentwegt dazu auffordert, das Grausame aus unserer Welt zu bannen. Am besten sofort.“
Und im Grunde bräuchte man dazu kaum noch mehr zu sagen und zu schreiben, denn auch als Kritiker ist man nach dem Hören dieses Musik-Dramas, das gesungen und gesprochen sowie klassisch und modern instrumentiert wird, zutiefst erschüttert.
Darum hier nur das Wichtigste zu den Hintergründen dieses von Dr. Sarah Kass geleiteten, Lars Hesse komponierten, Thomas Auerwald getexteten und in 5. Akten unterteilten Projekts.
Bereits der von WILLI HAGEMEIER gesprochene Epilog, mit einer Stimme, die man nie vergisst, nimmt einen vom Inhalt des Gesprochenen und dem sonoren Klang der Hagemeier-Stimme her sofort gefangen: „Was bedeuten uns Gnade und Barmherzigkeit, wenn wir Unschuld verwandeln in unsägliches Leid, alle Ehrfurcht vorm Leben verlieren? Dies ist nicht die Geschichte über Kinder in Not, auch wenn sie allein davon handelt!“
Eine überraschende und zugleich traurige Nachricht kommt mit dieser Stimme und diesem Mann ebenfalls daher, denn er wird so zum letzten Mal zu hören gewesen sein. Am 5. Juli 2018 sollte <a href="https://www.youtube.com/watch?time_continue=133&v=sro8XR1ctF4" rel="nofollow">seine Stimme für immer verklingen</a>, als er völlig überraschend im Alter von nur 63 Jahren an einem schweren Schlaganfall verstarb.
Hinter diesem kombinierten Musikstück – zwischen Klassik und Rock-Oper – sowie Hörspiel verbirgt sich die wahre und sehr gut recherchierte Geschichte der während des 2. Weltkriegs im Konzentrationslager Theresienstadt inhaftierten Kinder, die im Juni 1944 aus Anlass eines Besuchs des Internationalen Roten Kreuzes eine Kinder-Oper aufführen mussten, um zu zeigen, dass es den Bewohnern des Ghettos angeblich gut geht. In diesem Rahmen hatte die SS im Vorfeld monatelang ein scheinheiliges Spektakel vorbereitet, um das DRK mit diesem perfekten Trugbild hinters grauenvolle Licht ihrer Barbarei zu führen. Die Nazis errichteten extra Kaffeehäuser mit reich gedeckten Tischen, einen Musikpavillon sowie andere Kulissen und verwiesen sogar mit einem Schild auf eine Schule, die es nie gab. Im Schatten dieser Kulissen zwang man die gefangenen Mädchen und Jungen dazu, eine Kinderoper aufzuführen, in welche auch die Kinder Hoffnung setzten, dass die Delegierten so vielleicht doch von ihrem unsäglichen Leid erfahren würden. Nur kurze Zeit später aber wurden fast alle an der Oper beteiligten Kinder umgebracht. Diesen Kindern ist das Stück „Die Kinder der toten Stadt“ gewidmet.
Für sie und alle Friedfertigen auf dieser Welt gilt die Botschaft <a href="https://www.youtube.com/watch?time_continue=40&v=1w2FyIXWoOo" rel="nofollow">„Liebe kann alles“</a>...
Für ihre Mörder und die noch immer in wilder Kriegstreiberei gefangenen und von Intoleranz zerfressenen Menschen, von denen es leider noch immer – auch 74 Jahre nach den Geschehnissen hinter dieser Geschichte – viel zu viele gibt, gilt dagegen „Ist alles, was geschieht, nur böse Illusion oder bleibt es ein wahrer Albtraum, der uns vorher unvorstellbar erschien?“ aus <a href="https://www.youtube.com/watch?time_continue=196&v=zUvz0ih-ia0" rel="nofollow">„Tränen wisch‘ ich später weg“</a> vom Ende des 4. Aktes.
Speziell für die Schule wurde zu „Die Kinder der toten Stadt“ auch <a href="https://www.diekinderdertotenstadt.de" rel="nofollow">eine Homepage</a> eingerichtet, in der man jede Menge wichtige Informationen zur Gestaltung des Unterrichts oder einfach nur zur neugierigen Information abrufen kann. Wer als Lehrer entscheidet, sich auf dieses Projekt intensiver zu stürzen, kann sich unter <a href="https://www.diekinderdertotenstadt.de/downloads" rel="nofollow">der DL-Seite</a> anmelden und erhält unglaublich viele zusätzliche Materialien – und am Ende eine absolut starke Geschichte, erschütternd und faszinierend für alle Schüler und Erwachsenen zugleich!
FAZIT: Wenn gefangene Kinder eine Oper aufführen, um dahinter die bestialischen Untaten ihrer Peiniger zu verschleiern, dann erscheint das auf den ersten Blick als schier unmöglich. Aber es ist schreckliche, fast in Vergessenheit geratene Realität. 1944 mussten die von der SS gefangenen Kinder von Theresienstadt aus Anlass des Besuchs einer internationalen Delegation eine Kinderoper aufführen, die den Delegationsmitgliedern eine heile Welt vorgaukeln sollte. Ja, sie war so heil diese Welt der Nazis, dass diese kurz danach fast alle Kinder von Theresienstadt umbrachten. Davon handelt „Die Kinder der toten Stadt – ein Musikdrama gegen das Vergessen“ (unter der Schirmherrschaft von Iris Berben), das mit sängerischen, erzählerischen, symphonischen und melodramatischen Mitteln ihre tief berührende Geschichte erzählt.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 27.07.2018
Simon Horn
Jade Schulz, Michael Schulte, Peter Heppner, Iris Berben, Esther Bejarano, Willi Hagemeier, Cornelia Schönwald, Nicole Frolov, Nils Dahl, Lisa Kirchberg, Hendrik Weßler, Paderborner Domchor, Chor der Mädchenkantorei, Ben Pleininger, Christian Frölich, Chr
David Janus, Ulrich Bannenberg, Maurice Stute
Lars Hesse
Ulrich Bannenberg
Igor Epstein, Anna Gertsel, Eryu Feng (Violinen), Fariza Mukhamediyarova (Bratsche), Anna Percevic (Cello), Michal Ciesielski (Saxofon, Klarinette, Querflöte), Dawid Lipka (Trompete), Marek Romanowski (Posaune, Flügelhorn)
Lava Jam
145:30
08.06.2018