Den Großteil ihrer bisher 42 Jahre verbrachten RUNNING WILD sprichwörtlich auf hoher See, wobei sie zwischenzeitlich Land unter gesehen und ihre besten Jahre mittlerweile hinter sich gebracht haben, doch nach mehreren indiskutablen Veröffentlichungen scheint mit den beiden jüngsten wieder so etwas wie einigermaßen gleichmäßige Qualität im Lager von Kapitän Rolf Kasparek Einzug erhalten zu haben. Während man sich ihr aktuelles Material also schönhören darf, schreitet die Aufarbeitung der Geschichte der Hanseaten durch das wiederbelebte Label Noise weiter voran. "Pieces Of Eight" richtet sich im Zuge dessen vor allem an Liebhaber und Sammler.
Wer das Wacken Open Air 2018 besuchte, konnte diese Box schon zwei Monate vor ihrer offiziellen Veröffentlichung erstehen; inhaltlich geizt die optisch ansprechende und in quantitativer Hinsicht üppig bestückte Box nämlich mit wirklich zwingendem Material, das Fans noch nicht kennen. Die Zusammenstellung umfasst Singles, die während der zehn Jahre von RUNNING WILD bei Noise herauskamen, im Verbund mit Konzertschnipseln, wobei gleich die gesamte Kompilierung "The First Years Of Piracy" hinzugefügt wurde, eine Sammlung von seinerzeit zwiespältig rezipierten Neuaufnahmen aus der Frühphase der Gruppe.
Der Goldschatz des Sets (im wahrsten Sinn des Wortes) ist die aufgebohrte Version von "Ready For Boarding", dem ersten RUNNING-WILD-Live-Album, auf goldenem Vinyl als zum ersten Mal vollständiger Mitschnitt zweier Konzerte; eines in München aus dem November 1987 war damals die eigentliche Platte, nun gibt es obendrein einen Gig in Düsseldorf, der zwei Jahre später stattfand und bisher nur auf Videokassette erhältlich war.
Sehr reizvoll sind die B-Seiten, die sich bei der EP-Sammlung anhäufen, denn schließlich sind die ganzen Maxi-CDs etc. heute praktisch nirgendwo mehr aufzugreifen, und bei jenen exklusiven Songs handelt es sich beileibe nicht um Ausschuss für reine Komplettisten; "The Privateer" etwa, die Auskopplung zum Meisterwerk "Black Hand Inn" von 1994, enthielt mit 'Dancing On A Minefield' und 'Poisoned Blood' zwei Kracher, die dem Album selbst ebenfalls gut gestanden hätten.
Die ausgesuchten Stücke rekapitulieren gewissermaßen auch die stilistische und ästhetische Entwicklung der zunächst Satansbraten, dann Augenklappenträger unter Totenkopf-Flagge, was man bereits im Vergleich der ersten EPs erkennt, angefangen bei "Victim Of States Power" über "Bad To The Bone" zu "Little Big Horn". Das inhaltliche Spektrum reicht von bloßer Fiktion und Zeitgeschichte über Verschwörungstheorien und plakativ politisches Sendungsbewusstsein gegen jedwede böse Macht, die Rock 'n' Rolf gerade vor den Bug kam. So kannte, kennt und schätzt man den Mann oder eben nicht.
Die ebenfalls beigefügte "Piece of Eight"-Gedenkmünze und ein doppelseitiges Poster, auf dem eine alte Besetzung sowie das Box-Cover abgebildet sind, wirken eher wie verzichtbare Gimmicks, aber wie gesagt: Liebhaber-Geschichte, das, und dementsprechend liebevoll in Szene gesetzt.
FAZIT: "Pieces Of Eight" braucht im Grunde jeder Die-Hard-Fan von RUNNING WILD. Die edel gefertigte und fett bestückte Box ist musikalisch allein wegen der raren Non-Album-Tracks reizvoll, aufgrund von "Ready For Boarding" in der "expanded"-Version ein Fest für Vinyl-Liebhaber und schlicht ein Zeugnis des qualitativ beachtenswerten Schaffens von Rolf Kaspareks Truppe während der Noise-Jahre, die letzten Endes auch ihren Zenit markieren. <img src="http://vg05.met.vgwort.de/na/5974f759386441ebbbe1de55913684b4" width="1" height="1" alt="">
Erschienen auf www.musikreviews.de am 28.09.2018
BMG
ca. 4h
28.09.2018