Seattle war einmal die Heimat des Grunge. Jetzt beherbergt die Stadt im Bundestaat Washington Bands wie MOON LETTERS, die rückwärtsgewandten Prog der kompetenten Sorte spielen. Das heißt nicht automatisch, dass „Until They Feel The Sun“ gut ist.
Ist halt die alte Leier, die passgenau zwischen melodischen YES-Elaboraten, bevor dort Progpop herrschte, und GENESIS der mittleren Phase, angeschlagen wird. Beides kommt bereits im ersten Track zum Tragen. YES bestimmen Anfang und Mittelteil, die Peter Gabriel-Gedächtnis-Flöte sorgt für den Ausklang und leitet gleich „On The Shoreline“ ein. Und hier macht sich ein Manko unangenehm bemerkbar. Während die Musik gekonntes Fischen in bekannten Gewässern ist, wirkt der Gesang recht gebrechlich. Das ist nicht ganz schlecht, wir sind weit Schlimmeres im gewählten Genre gewohnt, aber man hat beständig Angst, dass des Sängers leicht splitterige Stimme nicht nur ins Ungefähre, sondern Abseitige driftet.
Am Anfang kann man das noch milde lächelnd und verzeihend hinnehmen, doch im Lauf der Spielzeit beginnt es zu nerven. Die Musik entschädigt mit plüschiger Romantik, voller tirillierendem Flötenspiel, quirligen und nicht gerade asketischen Tastensounds (nicht nur im rippeligen Part von „Those Dark Eyes“ versteckt sich ein kleiner Tony Banks) sowie einer unspektakulären, aber angenehmen Gitarrenarbeit, die Mutter Hacketts Steve mehr zu verdanken hat als der Howes. Die Rhythmusfraktion strengt sich ebenfalls korrekt an. Gelegentlich wird ein bisschen auf die Tube gedrückt, allerdings ohne jemand wehtun zu wollen. Ein kleines Highlight ist das verspielte „Beware The Finman“ mit seinen ulkigen Keyboard-Fingerübungen und dem BUGGLES-Gesang zu Beginn. Leider wird der große Spaß durch das gepresste Gesinge im Schlussdrittel geschmälert.
FAZIT: „Until They Feel The Sun“ ist mal wieder so ein Album, das die proggigen Mittsiebziger abfeiert, sich dabei ganz ordentlich schlägt, aber im Feintuning schwächelt. Das besitzt einen gewissen nostalgischen Charme wie viele Produktionen ähnlicher Art. Keine Ahnung wie groß das Klientel für solch retrograde Musik ist, aber es scheint eine geneigte Hörerschaft zu existieren, sonst gäbe es nicht so viel davon. Oder, um im Zeitalter, der sich selbst erfüllenden Algorithmen anzukommen: Kunden, die MOON LETTERS kaufen, kauften auch THIS WINTER MACHINE (ähnlich) und BIG BIG TRAIN (besser). Fürs Haul-Video: Es ist alt, zerschlissen und geflickt, aber man kann es noch tragen.
Punkte: 8/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 07.10.2019
Mike Murphy
Michael Trew, John Allday, Mike Murphy
Dave Webb
John Allday
Kelly Mynes
Michael Trew (flute), John Allday, Mike Murphy (trumpet),
Eigenpressung/Just For Kicks Music
51:18
20.09.2019