Das Faszinosum der Landschaft Finnlands: Weite, Einsamkeit, Schneewüste, die Möglichkeit der Rückbesinnung auf das eigene Selbst. Und dann, mittendrin Onkalo, ein Endlager für hochradioaktiven Atommüll, nach dem das Album des JULIE CAMPICHE QUARTETS benannt ist. Kein brachiales Endzeitwerk, im Gegenteil, eine Hymne an die Schönheit. Die allerdings immer wieder durch Störelemente, hingewischte, kleine Kakophonien aufgelöst und unterminiert wird. Besonders das Titellied arbeitet mit nervenzerrenden, bohrenden Klängen, elektronischen Verfremdungen, bevor Bass, Saxophon, das filigran wirbelnde Schlagzeug und die fein ziselierte, aber mit viel Vehemenz gespielte Harfe das Ruder wieder Richtung Wohlklang herumreißen. Was fast gelingt. Doch sorgen die Musiker beständig dafür, dass der bedrohliche Nährboden nicht vergessen wird.
Auch wenn das Album mit lyrischen Harfenklängen beginnt, hat die Musik nichts mit butterweichen Streicheleinheiten á la Andreas Vollenweider gemein. Die betörende Eleganz nimmt die Hörerschaft gefangen, bis Bass, Elektronik und Drums sich marodierend aus dem Hintergrund nach vorne stehlen, um kurz danach der Harfe wieder die Führung zu überlassen. Besser kann man die Zerrissenheit der Schönheit kaum in Szene setzen. Dabei werden die Songs nie zerstört, das Quartett hält die Balance, auch inmitten nervös pulsierender Effekte und Trommelschläge gibt es Momente der Ruhe und Zurückgezogenheit. Dafür sorgen träumerisch verhangene Saxophonklänge – wobei Louis Funagalli sein Instrument auch ganz schön quälen kann – und die pointiert eingesetzte Harfe.
Das ist Kammermusik im großzügig bemessenen Raum. Die Musiker sind bestens aufeinander eingestimmt, ergänzen sich, auch wenn sie gegenläufig spielen. Elektronische Effekte werden sorgsam und zweckdienlich eingesetzt und tragen mit dazu bei, dass der Jazz, den das Quartett spielt, keinen Hauch gestrig riecht.
FAZIT: „Onkalo“ ist eine faszinierende, irisierende Nachtwanderung, in der Jazz, Folk, hintergründige elektronische Experimente und ein bisschen Klassik eine eindringliche Verbindung eingehen. Moderner Jazz, offen und konzeptionell wohldurchdacht, at it’s best. Trotz der bewusst eingebauten Irritationen ein berückendes Werk aus einem Guss.
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 07.04.2020
Manu Hagmann
Clemens Kuratle
Julie Campiche (Harfe, FX), Leo Funagalli (Sax, FX), Clemens Kuratle, Manu Hagmann (FX)
Meta Records/NRW Vertrieb
51:23
25.02.2020