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Roger Waters: Us + Them

Stil: Progressive Rock mit Live-Konzept

Cover: Roger Waters: Us + Them

ROGER WATERS beschert uns unmittelbar nach NICK MASON ebenfalls ein wahrhaftes Live-Meisterwerk! Was sind das nur für gute Zeiten für alle PINK FLOYD-Freunde, vorausgesetzt, sie setzen ihre Nostalgie-Brille ab und scheren sich einen Scheiß um all die Floyd-Waters-Gilmour-Streitereien der Vergangenheit oder die bewusste (politische) Diskreditierung eines Musikers, der klar und deutlich seine Meinung nicht nur ausspricht, sondern auch in seiner Musik wieder und wieder thematisiert.

Waters hasst den Krieg und die Kriegstreiber auf aller Welt, egal, ob sie sich als Diktatoren oder in einen Schafspelz gehüllte, scheinheilige Demokraten präsentieren. Und wer, wenn nicht er, der seinen Vater im 2. Weltkrieg verlor und seine Kindheit mit dem schmerzhaften Verlust der Vaterrolle durchleben musste, die er ganz speziell auch in dem Film zu „The Wall“ darstellte, hat das Recht dazu, auf diesen Wahnsinn hinzuweisen, der einfach nicht abzuschalten ist, sondern durch einen Trump sogar ein ganz neues Gesicht und eine unglaubliche zusätzliche Dimension erhält.
Gerade dass Waters diese politischen Botschaften spätestens seit „The Wall“ und noch deutlicher durch „The Final Cut“ zum Ausdruck brachte, wobei aus seiner Sicht die Texte mitunter mehr Bedeutung als die Musik erhalten sollten, führt als unüberwindliches Mauerstück auch zum Bruch zwischen ihm und PINK FLOYD.

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Eigentlich ist das Geschichte – doch diese Geschichte wird auf faszinierende Weise mit „Us + Them“ weitererzählt und beweist, dass ein ROGER WATERS mit alten PINK FLOYD-Stücken (fast die kompletten „Dark Side Of The Moon“- und „Animals“-Alben, viel „Wish You Were Here“ und etwas „The Wall“ und „Final Cut“) und einigen Solo-Songs locker die Live-Atmosphäre erzeugen kann, die PINK FLOYD nach seinem Abgang als Band auszeichnete. Nur geht Waters noch einen Schritt weiter und verbindet – ganz ähnlich wie bei „The Wall“ – mit einer gigantischen Bühnenshow sowie einem Videospektakel und bestechender Sound-Technik ein in sich geschlossenes Konzept, das die Schrecken des Krieges anprangert und die Gefahren verfehlter, machtverliebter Politik (Herr Trump, wir hör'n sie trapsen… und sehen Sie auch auf den Video-Leinwänden zur Umrahmung von „Pigs“!) offenlegt.

Waters ist nicht nur leidenschaftlicher, perfekter Musiker, sondern auch ein lauthalser Mahner, der aus voller pazifistischer Überzeugung handelt und diejenigen anprangert, welche heuptsächlich die Verantwortung für die derzeit so hasserfüllten Zustände tragen.

Es wäre also schon verwunderlich, wenn ROGER WATERS sich mit einem normalen Konzertmitschnitt begnügen würde – und so wurde aus „Us + Them“ mit der Unterstützung von SEAN EVANS als Regisseur ein faszinierender, gigantischer Konzertfilm, der seinesgleichen sucht und unter bombastischer, aber auch aussagekräftiger, humanistischer Sicht echte Maßstäbe setzt. Hinzu kommt, dass das komplette Konzert in eine konzeptionelle Geschichte um ein Flüchtlingsmädchen, ihr Mutter und ihre Puppe eingebunden ist – und dass diese Flucht nicht mit einem hollywoodschen Happy End ausgeht, wird jeder, der Waters Ambitionen in den letzten Jahren genauer verfolgt hat, ahnen.

Bei der filmischen Dokumentation, die aus überdimensionalen Filmleinwänden, riesiger Bühne, schwebenden Kugeln und Schweinen über den Köpfen des Publikums, eine gigantische Laser-Show und als Highlight die dreidimensionale Battersea Power Station, über die das Schwein auf „Animals“ flog, welche sich während des Konzerts mitten im Publikum aufrichtet, besteht, wird der Zuschauer genau wie das Publikum, das weint, jubelt, mitsingt und regelrecht hypnotisiert wird, von dem, was da auf der Bühne geschieht, direkt in das Konzert hineinkatapultiert. Noch dazu hat der Zuschauer vor dem Fernseher das Glück, jedes Detail in Großaufnahme sowie kristallklarer Bildqualität genießen zu können und die verblüffenden optischen und akustischen Effekte sich immer wieder mithilfe der Repeat- bzw. Rückspul-Taste erneut anzusehen und -hören.

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Vorbildlich ist auch, dass die Bonus-Dokumentation und die Sprechteile des Konzerts untertitelt sind und man unter verschiedenen Sprachen – natürlich auch der deutschen – auswählen kann. Damit punktet Waters sogar noch einmal gegenüber der aktuellen Mason-Veröffentlichung, bei der diese Möglichkeit fehlte.

Abgerundet wird dieses vorzügliche Veröffentlichung noch durch ein sehr ansprechend gestaltetes Digipak und ein achtseitiges Booklet mit ausführlichen Linernotes von Kory Grow.

FAZIT: 2020 ist aus PINK FLOYD-Sicht ein sehr spannendes Jahr, denn nachdem grandios NICK MASON mit den floydianischen Ur-Aufnahmen live vorgelegt hat, legt ROGER WATERS mit dieser extrem hochwertigen, konzeptionell gestalteten, filmischen Konzert-Dokumentation „Us + Them“ noch einen drauf. Ausschließlich mit Songs seiner 2017/18er-Welttournee, bei der er auf 156 Konzerten über 2 Millionen Zuschauer mit Songs aus den bedeutendsten PINK FLOYD-Alben („Dark Side Of The Moon“, „Wish You Were Here“ und „Animals“) begeisterte, entstand dieser Konzertfilm in einer rundum gigantischen Qualität und mit der eindeutigen politischen Botschaft, endlich auf ein friedliches Miteinander anstatt dieses hasserfüllte Gegeneinander zu setzen!

Punkte: 14/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 13.10.2020

Tracklist

  1. Intro
  2. Speak To Me
  3. Breathe
  4. One Of These Days
  5. Time
  6. Breathe (Reprise)
  7. The Great Gig In The Sky
  8. Welcome To The Machine
  9. Déjà Vu
  10. Thje Last Refugee
  11. Picture That
  12. Wish You Were Here
  13. The Happiest Days Of Our Lives
  14. Another Brick In The Wall, Part 2
  15. Another Brick In The Wall, Part 3
  16. Dogs
  17. Pigs (Three Different Ones)
  18. Money
  19. Us & Them
  20. Brain Damage
  21. Eclipse
  22. The Last Refugee (Reprise)
  23. Déjà Vu (Reprise)
  24. <b>Bonus:</b>
  25. Fleeting Glimpse
  26. Comfortably Numb
  27. Smell The Roses

Besetzung

  • Bass

    Roger Waters, Gus Seyffert

  • Gesang

    Roger Waters, Lucius-Jess Wolfe, Holly Laessig, Jonathan Wilson

  • Gitarre

    Dave Kilminster, John Carin, Gus Seyffert, Jonathan Wilson

  • Keys

    Bo Koster, John Carin

  • Schlagzeug

    Joey Waronker

  • Sonstiges

    Ian Ritchie (Saxophon)

Sonstiges

  • Label

    Sony Music

  • Spieldauer

    148:00

  • Erscheinungsdatum

    02.10.2020

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