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Rolf Brendel: Vergessene Helden – Limited Edition

Stil: NDW, Pop, Liedermacher

Cover: Rolf Brendel: Vergessene Helden – Limited Edition

<b>„Ich werd ein Gott sein / ein Pornostar / ein Superheld mit Flügeln / und engelsgleichem Haar“</b> (Strophe aus Rolf Brendels „Im nächsten Leben“)

Wem auf den ersten Blick der Name ROLF BRENDEL nicht sonderlich viel sagt, der sollte unbedingt seinen zweiten Blick schärfen. Denn der führt ihn erst einmal zurück in die 1980er-Jahre und zwar direkt zu NENA – der Band, dessen Gründungsmitglied und Schlagzeuger Brendel war und die Frau, deren Partner er zu dieser Zeit bis in die Endachtziger hinein war.

Das wäre alles vielleicht gar nicht so von Belang, wenn nicht Brendels Debüt-Album „Vergessene Helden“ überdeutlich mit der guten, alten, fast vergessenen Neuen Deutschen Welle liebäugeln und flirten sowie dieser neben ihrer besonderen Pop-Prägung noch eine gehörige Portion Liedermacher-Mentalität hinzufügen würde, indem es auch Problemthemen, wie das Klima („Blaues Eis“) oder den Abschied von einem liebgewonnenen Musiker-Kollegen („Das Meer berührt den Horizont“) aufgreift.

Oder um es zeitgemäßer auszudrücken: Während NENA derzeit Kinder-Mantras singt, legt ROLF BRENDEL ein Album vor, das deutlich mehr an die alten Zeiten erinnert, als das, was NENA, die nunmehr zum lieben Gott und banalen Kinderliedchen gefunden hat, derzeit ihrem verunsicherten Fan-Volk anbietet. Wobei Brendels „Vergessene Helden“-Anspruch dann so klingt: „Meine Vorstellung war, dort anzuknüpfen, wo wir musikalisch mit NENA in den 80er-Jahren aufgehört haben zu schreiben, mein Songwriting aus diesen Zeiten aber gleichzeitig weiterzuentwickeln, zeitlos und gleichermaßen modern zu klingen.“

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Bereits der Titeltrack „Vergessene Helden“ lässt an dieser Aussage keinen Zweifel aufkommen und greift sich textlich zudem noch jede Menge NDW-Schwelgereien heraus: „Der goldene Otto [Jahrestrophäe in Form eines Indianers der Zeitschrift BRAVO, welche die NENA-Band in den Jahren 1983 und 1984 erhielt! - T.K.] steht einsam im Regal / ein stolzer Indianer aus Edelmetall...“

Doch nicht nur an die gute alte Musik-Tante NDW und ihre Vorzeige-Oma erinnert das Album, sondern in den rockigeren Momenten auch an die knackigen Jungs von SPLIFF, bei den vielen Piano-Passagen gar an HERWIG MITTEREGGER, mit dem ROLF BRENDEL bereits gemeinsam nach seiner Trennung von NENA und einem Schlagzeug-Studium, unter anderem bei JOE PORCARO, musizierte. Und viele denken bei einem singenden Schlagzeuger sicher auch gerne an PHIL COLLINS, an den gibt’s aber keinerlei heldenhafte Erinnerungen – vielmehr an eine NDW-Kombination aus (natürlich) NENA und dem „Spaßwoller“ MARKUS. So bekommt Deutschland den 80er-NDW-Nostalgiker ROLF BRENDEL, der noch dazu neben dem Mikro in die Tasten greift und sehr namhafte Musikerunterstützung auf seinem Album erhält sowie sich sogar zu/in weibliche Körper hin(ein)gezogen fühlt, wenn er den musikalischen Wunsch „Einmal nur du sein“ zum Ausdruck bringt.

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Doch es gibt auch die etwas „anderen“, untypischen NDW-Momente, wenn Rock'n'Roll-Piano- oder E-Gitarren-Soli urplötzlich in den Songs auftauchen, genauso wie eine Hammond-Orgel im bereits besagten „Einmal nur du sein“ oder der Ballade „Das Meer berührt den Horizont“ sowie in „Sowas wie dich“. Selbst die nachdenklichen, traurigen Titel blenden den NDW-Spaßhabe-Sound nur zu gerne aus, was dem Album rundum gut tut und für viel Abwechslung sorgt.

Besonders traurig wird’s bei „Das Meer berührt den Horizont“, eine Ballade, in der Brendel seinem ehemaligen, bereits verstorbenen Musiker-Kollegen und NENA-Mitstreiter, der den Welthit „99 Luftballons“ textete, gedenkt: „Carlo Karges ist wohl der talentierteste, humorvollste und großzügigste Mensch, dem ich je begegnet bin. Er wird von uns allen schmerzlich vermisst.“

Die größte Überraschung aber verbirgt sich hinter dem letzten Song „Die Farbe meiner Seele“, der sich gänzlich von allen NDW-Allüren verabschiedet und irgendwie, irgendwo, irgendwann zwischen Shanty und Chanson, Ballade und Streicherbombast wiederfindet, um sich zärtlich ausklingend aus dem Album zu verabschieden, wie ein winkender Freund auf einem Boot, das sich mehr und mehr in Richtung Horizont entfernt.

FAZIT: Wer hat noch Bock auf die Neue Deutsche Welle der guten alten 80er-Jahre? Auf NENA und MARKUS, SPLIFF und PETER SCHILLING? Für den wird „Vergessene Helden“ von ROLF BRENDEL, ehemaliges Gründungsmitglied und Lebenspartner von NENA, ein wahres Freudenfest auslösen. Aber auch die hörenswerten traurigen und kritischen Texte sowie die Hinwendung zu NDW-untypischen Stilmitteln (Hammond-Orgel, Piano- und Gitarren-Soli usw.) und nachdenklichen Balladen machen dieses Album für Nicht-NDW-Anhänger interessant. Die sollten natürlich auf die limitierte Vinyl-Ausgabe im Gatefold-Cover samt Pop-Art-Motiv und allen Texten im LP-Inneren zurückgreifen. Eine schöne Erinnerung an eine Zeit, für die man sich heutzutage längst nicht mehr zu schämen braucht.

Punkte: 11/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 24.11.2020

Tracklist

  1. <b>Seite A</b> (20:06):
  2. Vergessene Helden (4:18)
  3. Im Himmel ist noch ein Zimmer frei (4:30)
  4. Im nächsten Leben (3:40)
  5. Ich will eure Hände sehen (3:54)
  6. Immer unter Strom (3:44)
  7. <b>Seite B</b> (21:40):
  8. Das Meer berührt den Horizont (5:12)
  9. Blaues Eis (4:11)
  10. Sowas wie dich (4:18)
  11. Einmal nur du sein (3:50)
  12. Die Farbe meiner Seele (4:09)

Besetzung

  • Bass

    Lutz Fahrenkrog-Petersen, Jürgen Dehmel

  • Gesang

    Rolf Brendel

  • Gitarre

    Lutz Fahrenkrog-Petersen, Highko Strom, Alex Conti

  • Keys

    Rolf Brendel, Carli Quiroz, Uwe Fahrenkrog-Petersen

  • Schlagzeug

    Rolf Brendel

  • Sonstiges

    Sabine Manke, Helene und Henri Brendel (Hintergrundgesang), Carli Quiroz (Akkordeon, Streicher), Malcolm Arison (Mundharmonika)

Sonstiges

  • Label

    Eigenveröffentlichung

  • Spieldauer

    41:46

  • Erscheinungsdatum

    02.10.2020

© Musikreviews.de