Nach zwei Alben in sechs Jahren ist es bei SHORES OF NULL an der Zeit für eine Zäsur, denn bei "Beyond the Shores (On Death and Dying)" handelt es sich um eine nur einen fast 40 Minuten dauernden Track enthaltende EP, auf der die Band ein Stück weit von ihrem vertrauten Stil abweicht, gleichwohl das Stück nicht unbedingt als krasses Experiment durchgeht.
Die Italiener waren, sind und bleiben eine verträumte Doom-Kapelle mit starkem Gothic- und subtilem Death- bzw. Black-Metal-Bezug. Dabei stand die Gruppe immer im Schatten ihrer Landsleute Novembre, aus dem sie offensichtlich auch 2020 nicht heraustreten möchten - gut so, zumal sich die Vorbilder nach "Ursa" (2016) scheinbar im Winterschlaf befinden.
Darüber hinaus waren SHORES OF NULL dem britischen Flaggschiff My Dying Bride womöglich noch nie so dicht auf den Fersen wie mit "Beyond the Shores", und die wahrgenommenen Ähnlichkeiten setzen sich über das Geigenspiel im Intro der Nummer fort. Sie ist in ihrer opulenten Länge ähnlich strukturiert wie manche Kompositionen aus der Frühphase der Pioniere (das ganze Album "The Angel and the Dark River" kommt in den Sinn), zumal Gast-Growler Mikko Kotamäki (Swallow The Sun) den jungen Aaron Stainthorpe zu imitieren scheint.
Im Uptempo-Part nach dem zähen ersten Drittel kommt aufgrund des rauen Gesangs wiederum Paradise-Lost-"Shades of God"-Flair auf, und abgesehen von zahlreichen brav traditionell im Nineties-Rahmen gehaltenen Instrumentalparts wecken sowohl Frauenstimmen als auch schrille Screams nostalgische Empfindungen, weil man dabei an manche Vampir-Schwarzwurzeln von vor der Jahrtausendwende denken muss.
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In diesem Sinn kann man SHORES OF NULL nur zweierlei vorwerfen: Erstens versuchen sie, ein altes Feeling heraufzubeschwören, was in letzter Konsequenz stets zum Scheitern verurteilt ist, und zweitens mag das Textkonzept ein zusammenhängendes sein (es geht um die fünf Trauerphasen nach Elisabeth Kübler-Ross), wohingegen die Musik an sich im Grunde auch auf mehrere Tracks hätte aufgesplittet werden können. Von einer zusammenhängenden Suite ist die Nummer nämlich weit entfernt, und richtig ergreifende Höhepunkte lassen sich nicht ausmachen.
FAZIT: Retrospektiver Gothic Doom bzw. romantischer Doom Death, der die starken Releases der genannten My Dying Bride und Paradise Lost in diesem Jahr zweckmäßig ergänzt, allerdings eher gediegenes Handwerk als emotional bewegend. <img src="http://vg08.met.vgwort.de/na/0a2eddae4b8b4ff0a376cb229aaac2ab" width="1" height="1" alt="">
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 27.11.2020
Matteo Capozucca, Marco Mastrobuono, Fabio Gabbianelli
Davide Straccione, Mikko Kotamäki, Thomas A.G. Jensen, Martina Lesley McLean, Elisabetta Marchetti
Gabriele Giaccari, Raffaele Colace
Paolo Campitelli
Emiliano Cantiano
Valentina Gabbianelli (Geige)
Spikerot
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27.11.2020