Sachkundige in allen Fragen über Johnny Cash verbinden das Jahr 1968 mit den beiden zu Klassikern avancierten Alben "At Folsom Prison" und "At San Quentin" des Country-Stars, doch fortan sollte man auch diese nun erstmals vorliegenden Aufnahmen berücksichtigen, wenn es um jene Monate geht.
Man könnte "At The Carousel Ballroom" als fehlendes Bindeglied zwischen den beiden erwähnten Platten ansehen, die bekanntlich in Gefängnissen mitgeschnitten wurden. Cash spielte in der Halle im kalifornischen San Francisco, die ursprünglich ein Swing-Tanzsaal war, kurzzeitig unter anderem von Grateful Dead und Jefferson Airplane geleitet wurde sowie später umzog (der Name änderte sich zu Filmore West), ein Programm, das sich von jenem der anderen Titel unterschied.
Toningenieur Augustus Owsley "Bear" Stanley III (auch LSD-Produzent mehrerer damaliger Acts) zeichnete auch für eine Live-Verewigung von Big Brother & The Holding Company an selber Stelle im selben Jahr verantwortlich, hat es hier aber vor allem geschafft, den meistens eher reservierten "Man in Black" intim auf Tuchfühlung mit dem Publikum und im steten Dialog sowohl mit seiner frisch Angetrauten June als auch seinen Mitmusikern zu zeigen. Die Frau kommt im dritten Viertel des Sets übrigens mit einem gesonderten Spot zum Zug, der mehrere Tracks umfasst.
Die jeweils anderthalb Minuten von ´Guess Things Happen That Way´ und ´Old Apache Squaw´ bieten eine unvergleichliche erzählerische Dichte auf minimalistischem musikalischen Fundament, wohingegen die melancholischen Viertakter ´Long Black Veil´ und ´One Too Many Mornings´ verhältnismäßig aufwändig arrangiert wurden. Wie im Fall des lakonischen Narrativs ´The Ballad of Ira Hayes´ gilt aber: Cashs charismatisches Organ steht im Brennpunkt, auch wenn speziell in treibenden Stücke wie ´Orange Blossom Special´ und ´I Walk the Line´, das als Standard am Ende unausweichlich erscheint, W.S. Holland als feinfühliger Drummer hervorsticht.
Letzten Endes fühlt man sich den ProtagonistInnen als Hörer so nah, als würde man mit ihnen auf den Brettern stehen.
FAZIT: "At the Carousel Ballroom" genießt unter allen Live-Nachlesen von Johnny Cash eine Ausnahmestellung, weil die Veröffentlichung nicht geplant war, sodass der Singer-Songwriter in umso zwangloser, umgänglicherer Stimmung eingefangen wurde - ein beispielloses Zeitzeugnis und Pflichtstoff nicht nur für Americana-Historiker. <img src="http://vg06.met.vgwort.de/na/e6d6a19acb4e452fbaab7a4d105b16e9" width="1" height="1" alt="">
Erschienen auf www.musikreviews.de am 24.10.2021
Marshall Grant
Johnny Cash, June Carter
Johnny Cash, Luther Perkins
W.S. Holland
BMG / Warner
64:18
29.10.2021