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Klabautamann: Numbered

Stil: Prog Metal

Cover: Klabautamann: Numbered

Während die Anzahl der veröffentlichten Tonträger im Rock und Metal in einem Maß zunimmt, das wohl jeden Fan punktuell vor die Qual der Wahl stellt, sind unsere Tage gezählt, also "numbered". Das ist eine der Überlegungen hinter dem Titel des sechsten KLABAUTAMANN-Albums, welches ein neues Kapitel in der Bandgeschichte einleitet und die (bange) Frage aufwirft, wie groß der musikalische Bruch nach dem Ausscheiden von Schlagzeuger Florian Toyka sein mag, der sich derweil auf den monumental finsteren Krach von VALBORG konzentriert, so dass nun Tim Steffens das Steuerrad der KLABAUTAMANN-Galeere alleinverantwortlich übernimmt. Der Multi-Instrumentalist hat vielleicht auch deshalb eine bemerkenswerte Mannschaft angeheuert, die mit ihm zu - neuen? - Ufern aufbricht.

Metal Heads sind einigen Kummer gewohnt, wenn altgediente Logos in dezidierter Szene-Optik verschwinden und Album-Cover nicht zwangsweise auf Krach schließen lassen. Wird nun also bei KLABAUTAMANN ein ähnlicher Wandel vollzogen wie einst bei Ulver, als diese den düsteren, mythischen Wald verließen, um sich in den Abgründen der spätmodernen Großstadt zu verflüchtigen?
Diese Frage kann mit einem klaren "nein" beantwortet werden, denn KLABAUTAMANN steht nach wie vor für Metal, allerdings mit der Freiheit, sich bei diversen Stilen zu bedienen. Der Opener "Snow" lädt zum Beispiel mit an Skyclad erinnernder Folk-Melodie auf der Mandoline zunächst zum fröhlichen Prog-Tanz ein, während das folgende "Changed" mit Gastgrunzer (und auch -sänger) Andreas März (Steorrah) einen ersten heftigen Kontrastpunkt setzt. Die Hölle bricht jedoch erst nach rund vier Minuten im dritten Song "Daydream" los, und zwar nach bester Enslaved-Manier, wobei Marlon Drescher seinem Nachnamen alle Ehre macht. Zuvor hat die u.a. auch für den Mix zuständige Anna Murphy (ex-Eluveitie, Cellar Darling) bereits als Sängerin zum Stimmen- wie Stimmungsreichtum beigetragen: Nicht so ver-rückt wie einst Monika Edvardsen (Atrox), doch kaum weniger ausdrucksstark. Auch in diesem Song werden die Stilwechsel abrupt vollzogen, trotzdem entwickelt die zwischen schroffem Metal und Dream Rock mäandernde Nummer nach einer Weile sogar gewisse Ohrwurm-Qualitäten. "Conflicted" schließt daran quasi nahtlos an und erinnert in Melodieführung und Songaufbau ein wenig an Porcupine Tree, während "Pretending" wieder den Enslaved-Kurs einschlägt, und Andreas besonders fiese Growls absondert. Das mag sich chaotischer lesen als es klingt, eingängig wirken die neun Lieder beim ersten Hördurchgang wohl kaum, auch wenn es immer mal wieder nahezu träumerische Sequenzen wie zum Beispiel in "Holding On" zu hören gibt, die jeden Verdacht des Kitschigen mit konsequent metallischem Fundament ausräumen.
Depressive Age meets Atrox, anybody? "Felt Everything" lässt diesen unwahrscheinlichen (Alp?)Traum mit teils grandiosen Arrangements wahr werden. Warum nur "teils"? Weil Tim Steffens hier und dort vielleicht doch ein Gegenüber fehlen mag, das die Kompositionen etwas geradliniger ausgestaltet? Denn so beeindruckend "Numbered" in vielerlei Hinsicht geraten ist, so wirkt es doch ab und zu wie ein Puzzle, bei dem einige Teile eben noch nicht richtig gesetzt sind. Dem Hörvergnügen tut das kaum einen Abbruch.
Auch eine solch freigeistige Eigenproduktion entkommt nicht den Rahmenbedingungen der Corona-Krise, und somit sind insbesondere die Tage bis zur Vinyl-Veröffentlichung im Mai 2022 in der Tat noch "numbered", doch Musikliebhaber, die Metal mit Anspruch zu schätzen wissen, werden sich auch noch im Spätfrühling (und natürlich auch danach) über dieses außergewöhnliche Album freuen, das etliche Zeitgeister-Qualitäten verkörpert und gleichzeitig neues Terrain erobert.

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FAZIT: Die-Hard-Black-Metal-Fans wird "Numbered" trotz Mastering von Tom Kvålsvoll kaum entzücken, denn KLABAUTAMANN bewegt sich mehr denn je zwischen Prog-, Post- und Extreme Metal. Das Album klingt nicht zuletzt dank der GastmusikerInnen eigenwillig und fordert heraus, kann allerdings die abenteuerfreudige Hörerschaft mit Songs zu belohnen, von denen manche erst beim wiederholten Hören ihre Wirkkraft entfalten mögen und umso mehr mit ungewöhnlichen Arrangements fesseln.

Punkte: 12/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 09.01.2022

Tracklist

  1. snow
  2. changed
  3. daydream
  4. conflicted
  5. pretending
  6. holding on
  7. numbered
  8. felt everything
  9. gone

Besetzung

  • Bass

    Stephan Otto, Gabor Schary

  • Gesang

    Tim Steffens, Andreas März, Anna Murphy, Stephan Wehrbein, Ingo Kerstjens, Chester Gerritse

  • Gitarre

    Tim Steffens, Christoph Graf

  • Keys

    Nikolaus Garmsen

  • Schlagzeug

    Marlon Drescher

  • Sonstiges

    Anna Murphy (Drehleier), Tim Steffens (Mandoline)

Sonstiges

  • Label

    Zeitgeister Music

  • Spieldauer

    45:55

  • Erscheinungsdatum

    17.12.2021

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