Nachdem uns KNORKATOR noch vor drei Jahren auf ihrem Album mitteilten: „Widerstand ist zwecklos“, fordern sie auf ihrem nicht nur großartig gestalteten neuntem Album nunmehr den „Sieg der Vernunft“ ein.
Doch wer glaubt eigentlich in diesen Zeiten noch daran?
Bereits damals stellten die deutschen Spaßbarden, die immer mehr ihren Blickwinkel in politische und damit deutlich ernsthaftere Richtung wenden, fest, dass „Chaos, Krieg und Tod, Hyperinflation, Pest und Cholera“ der Untergang der Zivilisation sind. Kein Wunder, dass Kollege Schiffmann genau mit diesen Zeilen <a href="http://www.musikreviews.de/reviews/2019/Knorkator/Widerstand-ist-zwecklos/" target="_blank" rel="nofollow">seine Review zu „Widerstand ist zwecklos“</a> einleitete.
Doch die Zeiten haben sich seitdem mehr als deutlich geändert – und in keiner Weise zum Positiven, denn nur ein Jahr nach Veröffentlichung des Albums wurde die Welt von einer Pandemie in ihren Bann gezogen und Europa dann auch noch in einen Krieg, bei dem ein russisches Monstrum auf Kosten seines Landes und besonders der Ukraine genau diesen vom Zaune bricht, was in dieser Form in Europa kaum ein Mensch noch für möglich gehalten hätte, während die Italiener bei ihrer Wahl gerade wieder eine gewisse Leidenschaft für den Faschismus entdecken...
So wird immer klarer: „Die Welt wird nie wieder so wie sie vorher war“. Einen besseren Einstieg als diesen – auch wenn der in der ersten Minute so klingt, als hätten wir uns auf ein RAMMSTEIN-Album verirrt – für ein Album, das nicht nur unterhalten, unflätig provozieren und belustigen, sondern irgendwie auch zum Nachdenken und Wachrütteln dienen soll, kann man gar nicht finden.
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Ein Sieg der Vernunft gekillt an den unterschiedlichsten Orten und anscheinend auch in ganz vielen Köpfen – doch trotzdem gibt’s da ja noch viele, die das nicht akzeptieren können. So wie beispielsweise diese Berliner Rockband mit zwar viel Sinn für Humor und RAMMSTEIN, aber auch einer klaren, ernsthaften (in Ironie und Sarkasmus verpackten) Position, wenn's um die Dreckschweine auf dieser Welt geht – als da wären zum Beispiel selbstsüchtige, profitgeile, abgehobene „Milliardäre“, die nach der traurig resignierenden Ballade „Ihr habt gewonnen“ sowie dem einzig englisch gesungenen, straighten Rock-Song „One Way Or Another“ die Macht übernehmen und ihr wahres Gesicht zeigen: „Da ist ein Monster, das euch gefangen hält / Und es entscheidet, was ihr denkt / Was ihr tut, was ihr wollt und es hört auf den Namen 'Geld'“.
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Aber KNORKATOR können stellenweise auch ganz anders, wenn sie bei dem so beängstigend erscheinenden Titel „Menschenfleisch“ im Grunde ein Instrumental, das vom Piano bestimmt, aber ständig von brachialen Momenten – Schreie, E-Gitarren, Sound-Schnipsel, Geräuschklulissen – zerfetzt wird, loslassen, welches wie der vertonte Irrsinn eines Menschenfressers, der eigentlich lieb und gut sein will, bei dem aber seine Gier auf Menschenfleisch komplett unkontrolliert durchschlägt, klingt. Ein echt geiles, weil alle Extreme und Exkremente auslotendes, Stück, dem der alt bekannte „Knurrkater“ sein instrumentales Knurren dagegensetzt, um dann mit dem Sturm in „Augen zu“ davongeblasen zu werden, während sich der Text mit solch 'hochinteressanten' Themen wie Muskelkater, Kalaschnikow, Einbahnstraße, Deine Mutter, Kreuzworträtsel, Mondfinsternis und Waffengewalt in einem Abwasch auseinandersetzt und uns aus dem Album mit den Worten: „Zieh dich an und wieder aus / Schweig und hör auf den Applaus“, verabschiedet.
Eins jedenfalls kann man nach diesen gut 40 Minuten unzweifelhaft glauben: KNORKATOR tut nichts leid, auch wenn sie mit „Tut mir leid“ einen der schwarzhumorig-sarkastischsten Songs unterbringen, in dem sie sich als die Älteren bei ihren Kindern dafür entschuldigen, dass sie alles mitgenommen, verkackt und zerstört haben und nun nichts mehr für die kommende Generation übrig ist, die wohl bald nur noch hungernd auf ihrem Zahnfleisch durch die Gegend kriechen wird. Dafür aber finden sie eine ideale Lösung: „Tut uns leid, liebe Kinder / Wir ha'm alles aufgefressen / Für euch ist nix mehr da / Euch ha'm wir ganz vergessen / Hier noch ein Kanten Brot / Ein paar Tage reicht er / Schlagt doch ein paar von euch tot / Dann teilt sich's leichter“.
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FAZIT: KNORKATOR ziehen mal wieder blank und lassen ihre (größtenteils) RAMMSTEIN-Hose runter, wobei sie nie ihren sprichwörtliche Sinn für Humor verlieren, diesen aber neuerdings verstärkt auch mit politischen und sehr gesellschaftskritischen Breitseiten in ihren Texten würzen. Das tut echt gut, denn die Zeiten für reine Spaß-Kapellen, die nur übers Ficken, Scheiße und Völlerei singen, was KNORKATOR natürlich auch auf „Sieg der Vernunft“ nach wie vor tuen, sind deutlich schwerer und oft auch überflüssiger geworden. Außerdem war noch nie ein Album von ihnen so wunderschön und schwer beeindruckend gestaltet wie dieses 114-seitige (!!!) Digi-Book!
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 07.10.2022
Rajko Gohlke
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40:53
07.10.2022