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Pirate: Pirate (Re-Release)

Stil: Avantgarde- und Math-Rock, Freejazz

Cover: Pirate: Pirate (Re-Release)

Ursprünglich schickten sich PIRATE bereits 2008 an, die experimentelle Musikszene mit ihrem Sound-Cocktail zu erfreuen. Dieser Cocktail ist ein Gebräu, das beim Erstkontakt durchaus für Kopfschmerzen sorgt (wie das halt bei Mix-Getränken so ist), denn hier toben sich vier, ohne Zweifel sehr talentierte, Instrumentalisten so richtig aus.
Was bei anderen Bands der Sänger ist, ist hier zum Großteil das Saxophon. Zu jazzigen Rhythmen quäkt das Teil über weite Strecken ziemlich anstrengend umher. Geübte Ohren werden darin sicher Anflüge diverser Genres, wie beispielsweise Jazz oder Zeuhl, erkennen. Unbedarfte müssen anfangs aber einiges an Geduld mitbringen, um die wilden Abfahrten „genießen“ zu können.

Dass die einzigen Gesänge auf diesem Album die hysterischen Schreie im Opener „Phallicus Metalicus“ sind, ist einerseits schade, weil sich mit ihnen ein aufgekratztes Element in die Musik schleicht, welches auch den anderen Songs gut stehen würde. Andererseits ist das instrumentale Hickhack, das hier veranstaltet wird, auch ohne Gesang spannend und vor allem anstrengend genug.

Im Grunde lässt sich „Pirate“ (fast) als ein einzig(artig)er, überdimensionierter Instrumentalsong verstehen. Alle Übergänge sind fließend und ohne Tracklist und Zeitangaben würde der Hörer kaum ausmachen können, wann ein Song aufhört und wo der nächste beginnt. Insgesamt klingt das Material auf diesem Debüt immer noch bemerkenswert rund, selbst wenn es einige Zeit in Anspruch nimmt, bis sich diese Erkenntnis einstellt, weil die gegenläufigen Rhythmen, die z.B. ein Stück wie „Granddaddy Longlegs“ auszeichnen, ihre Zeit benötigen, um vom Ohr ins Hirn zu sickern und dort vollständig erfasst zu werden.

Gleichzeitig ist unverkennbar, dass hier echte Könner am Werk sind. Trotz des oberflächlich anmutenden Chaos' wirkt kein Ton zufällig, alles sitzt da, wo es hingehört.
Gut, das gequälte Quieken in „Batman’s Last Dance“ hätte es nicht gebraucht, denn daran ist auch beim x-ten Durchlauf nichts Angenehmes, geschweige denn Schönes zu erkennen. Aber selbst das wird wahrscheinlich Absicht sein, denn so oder so, wirksam ist es auf seine Weise. Wer nicht einfach die Skip-Taste drückt, der kann hier ein forderndes Stück Musik analysieren, bei dem erstmal nix zusammenpasst. Nach eingehender Betrachtung lassen sich aber doch wiederkehrende Motive erkennen, zu denen das oberflächliche erscheinende Gedudel Sinn macht, ob es aber ästhetisch ist, bleibt eine Sache des Geschmacks.

Ganz Ähnliches gilt für „B-Minor“, das allerdings etwas mehr Struktur erkennen lässt und mehr mit der Dynamik spielt. Auf einen quirligen Anfang folgt ein fast entspannter Mittelteil mit einer zugegeben sehr anstrengen Gitarreneinlage, welche mit der Zeit immer mehr Sinn ergibt, bevor das Album in einem instrumentalen Crescendo endet.

FAZIT: Freejazz ist durchaus eine passende Bezeichnung für diesen Sound von PIRATE. Denn hier will vordergründig erstmal kaum etwas zusammenpassen. Dieser Eindruck bleibt allerdings nur die ersten paar Anläufe so. Vor allem ist diese Musik ein Zeugnis des instrumentalen Könnens der beteiligten Musiker. Mit der Zeit entwickelt „Pirate“ auf diese Weise zwar einen etwas unsteten musikalischen Fluss, der in seiner Gesamtheit allem aber die beabsichtigte Struktur verleiht.

Punkte: 9/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 22.01.2022

Tracklist

  1. Phallicus Metalicus
  2. Felon on the Roof
  3. Granddaddy Longlegs
  4. Batman’s Last Dance
  5. B Minor

Besetzung

  • Bass

    Ben Norvill

  • Gesang

    Joel Woolf

  • Gitarre

    Shan Abey

  • Schlagzeug

    Tim Adderley

  • Sonstiges

    Joel Woolf (Saxophon)

Sonstiges

  • Label

    Bird’s Robe Records

  • Spieldauer

    25:51

  • Erscheinungsdatum

    05.11.2021

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