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Guru Guru: Three Faces Of Guru Guru – 1970-2021

Stil: Kraut-, Progressive-, Psychedelic-, Jazz-Rock, Weltmusik

Cover: Guru Guru: Three Faces Of Guru Guru – 1970-2021

Wenn heutzutage jemand das Wort 'Elektrolurch' hört und von sich behauptet, nicht nur Tierfreund sondern auch Krautrock-Freund zu sein und dabei nicht sofort an den guten Mani und seine Gurus denkt, dann ist zumindest eine der Behauptungen falsch. GURU GURU schrieben – gerade wegen ihrer extrem schwer einzuordnenden Musik als Krauts mit einem deutlichen Hang Richtung ZAPPA eine ganz spezielle Geschichte, die sie auf dieser 3-CD-Jewelcase-Ausgabe von „Three Faces Of Guru Guru – 1970-2021“ auf die Bereiche 'Rock' und 'Space' und 'World' runterzudampfen oder einfach nur zu ordnen versucht.

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Natürlich gab's da in über einem halben Jahrhundert noch viel, viel mehr, wie z.B. Jazz und Spaß und Prog und verrückte deutsche Texte sowie eine ständige (Ver-)Wandlung der Musiker, deren einzige Konstante Neumeier am Ende hieß…
In dieser Beziehung hätten sich GURU GURU auch Chamäleon nennen können, so oft sie ihre musikalische Farbe und die daran beteiligten Musiker wechselten. Der Verschleiß war zwar riesig, aber andererseits brachte wohl auch jeder Musiker in gewisser Weise einen neuen musikalischen Aspekt mit ins Spiel. Womit schon die nächste Parallele zu ZAPPA hergestellt wäre.
Seit 1968 jedenfalls haben GURU GURU 34 LP's und CD's veröffentlicht und mehr als 3.750 Konzerte, von denen so einige legendär sind, gespielt. So kann man es im 20-seitigen Booklet, das zu dem Dreierpack von „Three Faces Of Guru Guru – 1970-2021“ dazugehört, in englischer wie auch deutscher Sprache nachlesen.

GURU GURU waren für das verkrautete Deutschland, das mit ihrem Krautrock mehr im Aus- als im Inland zählte, da man ja bekanntlich dem Propheten im eigenen Land weniger als anderswo huldigt, in (all ihrer Verrücktheit) etwa das, was ein FRANK ZAPPA für Amerika war. Free Rock war das, was die Bands da veranstalteten, ohne vor noch so verwegenen Ideen zurückzuschrecken. Hauptsache, es funzte irgendwie und funktionierte auf der Bühne.

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Musikalische Grenzgänger eben, die in so etwa allen Genres und Stilen rumwilderten und offen auch in ihren Texten zu provozieren verstanden. Da durfte gerne auch die sexistisch Keule rausgeholt werden, für die man sich heutzutage gehörigen Ärger von allen Me-Too- oder Gender-Bewegten oder grüngefärbten Moralaposteln einhandelt. GURU GURU machten darum bereits auf ihrem zweiten Album „Hinten“ (1971), auf dem sich auch der „Electric Junk“ befindet, der die erste CD abschließt, als Kommunen-Musiker mit Hang zu kräutrigen sowie bewusstseinserweiternden Substanzen („Täglich fit mit 2 Gramm Shit“ - aus: „Elektrolurch Mutation“ von CD 2) keinerlei Hehl daraus und pressten auf ihr LP-Cover einen Text, auf dem zu lesen stand: „Alles mit der Hand, sprach der Praktikant! Kind und Kegel kennt die Regel. Gevögelt werden ist nicht schwer, selber vögeln aber sehr!“ Übrigens im genauen Wortlaut auch auf „Electric Junk“ nachzuhören. Da muss wohl gerade 'Bobby Brown' in the town gewesen sein…
Obwohl dem zu diesem Zeitpunkt GURU GURU doch tatsächlich acht Jahre voraus waren. Chapeau!

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Doch auch politisch melden sich GURU GURU zu Wort, prangern mit todesfinsterer Sensemann-Stimme schon mit ihrem „Atommolch“ (enthalten auf der 'Space'-CD) knallhart die Atomkraft(werke) an und zeichnen dabei ein dystopisches Bild, genauso wie auf „Moroso“ (auf der 'Rock'-CD), dem „ersten Mutanten, der sich von radioaktivem Schleim ernährte“.

Nachdem die 'Rock'-CD 1 im Grunde versucht, die rockigsten Titel zusammenzustellen, wobei vieles davon mal einen deutlichen Jazz-, dann wieder einen Soul- oder Funk- plus Worldmusic-Einschlag verpasst bekommt und man mal an SANTANA oder CHICAGO, aber auch ZAPPA und experimentellen Deutschrock denkt, hebt die 'Space'-CD 2 tatsächlich komplett ab. Hier lassen HAWKWIND genauso wie GROBSCHNITT oder die OZRIC TENTACLES und alles, was sonst noch im kosmischen Musik-Universum so rumschwirrt, grüßen. Ziemlich stark gerade darum, weil man nunmehr 78 Minuten lang eine GURU GURU-Seite geballt präsentiert bekommt, die man in dieser Intensität so noch gar nicht durchgängig wahrgenommen hatte. Und dass diese CD auch noch mit der gigantischen 11 Minuten langen „Elektrolurch Mutation“ (samt Schlagzeug-Solo) endet, ist natürlich eine ganz große, finale Nummer.

Und von den kosmischen Höhen der zweiten CD geht’s dann mit der 'World'-CD 3 wieder ganz tief hinab auf die Erde und zwar speziell in die fernen Weiten der Weltmusik. Dass Neumeier auch (gemeinsam mit Roland Schaeffer) in Indien bei dem indischen Tavil/Percussion-Spieler Paramashivam gelernt hatte, ist unüberhörbar und zudem wurde ihm ein ganzer Song, der dessen Namen trägt, gewidmet. Neumeier widmete sich später noch verstärkt der japanischen Musikkultur. So wird die dritte CD tatsächlich zu einer weltmusikalischen Wundertüte mit den unterschiedlichsten Einflüssen und Instrumenten, die man auf solche Weise wohl noch nie gehört hat. Aber auch hier dürfen Erinnerungen hervorgekramt werden – beispielsweise an TRI ATMA oder die DISSIDENTEN. Kein Wunder, dass Neumeier sogar bei Madam Toussaud eine Wachsfigur gewidmet wurde. Aber natürlich nicht in Berlin oder Deutschland, sondern in der japanischen Hauptstadt Tokio.

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FAZIT: Schwelgen in den schönsten und ferkeligsten und abgefahrensten und zappaeskesten Krautrock-Erinnerungen. Oh ja, genau das ist angesagt, wenn wir uns diese von MANI NEUMEIER für Repertoire Records zusammengestellte 3-CD-Sammlung von GURU GURU „Three Faces Of Guru Guru – 1970-2021“ zu Gemüte führen oder uns wie einen Trip reinziehen, während wir gerade dem „LSD Marsch“ lauschen. Eine großartige Idee ist hierbei, dass sich jede CD einem anderen musikalischen Schwerpunkt widmet, denn GURU GURU waren an klangvoller Vielfalt, aber auch textlicher Provokation, schließlich in Deutschland kaum zu übertreffen. Also heißt CD 1 „Rock“, CD 2 „Space“ und CD 3 „World“. Und alle drei CD's (Natürlich wieder von EROC gemastert!) sind neben dem 20-seitigen Booklet genau das, was man von GURU GURU erwarten darf: der pure Wahnsinn!

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Erschienen auf www.musikreviews.de am 28.05.2023

Tracklist

  1. <b>CD 1: Rock</b> (72:54):
  2. Moshi Moshi
  3. Jet Lag
  4. A Handy Plus
  5. Formentera
  6. Iddli Killer (East)
  7. For Ivy
  8. Dös war I
  9. Was für 'ne Welt
  10. L. Torro
  11. Tribes And Vibes
  12. I Am Rolling Through The City
  13. Moroso
  14. Rock'n'Roll Machine
  15. Inkarnation Stomp
  16. Electric Junk
  17. <b>CD 2: Space</b> (78:00):
  18. Space Baby
  19. Dark Blue Star
  20. Jupiter God
  21. Skylab
  22. Globetrotter
  23. Blue Huhn (Finkenbacher Spätlese Blues)
  24. Die Verkündung
  25. Galactic Human
  26. Atommolch
  27. Der LSD Marsch
  28. Elektrolurch Mutation
  29. <b>CD 3: World</b> (70:25):
  30. Tamil Nadu
  31. Living In The Woods
  32. Pow Wow
  33. Izmiz
  34. Ooga Booga
  35. Paramashivam
  36. Taoma
  37. A Trip To Gurustan
  38. Nombiri
  39. Don't Worry About The Koto
  40. Das Lebendige Radio
  41. a. 0 Uhr 69
  42. b. Wir Machen Muzik
  43. c. Der Kaiserjodler
  44. d. Schanderhupferl
  45. e. Bye, Bye Johnny

Besetzung

  • Bass

    Uli Trepte, Peter Kühmstedt, Hans Hartmann, Hellmut Hattler, Bruno Schaab, Jürgen Karpenkiel, Uli Krug, Rolf Schaude, Gerald Hartwig, Jörg Sebald, Chowmeier, Heinz Gembus, Razem Rübel, Wietn Wito

  • Gesang

    Mani Neumeier, Roland Schaeffer, Peter Kühmstedt, Zeus B. Held, Dieter Bornschlegel, Butze Fischer, Barbara Lahr, Michael Karoli, Chris Karrer, Hans Reffert, Lysa Kraus, Damo Suzuki

  • Gitarre

    Roland Schaeffer, Ax Genrich, Conny Veit, Houschäng Nejadepour, Josef Jandrisits, Peter Wolbrandt, Dieter Bornschlegel, Barbara Lahr, Michael Karoli, Hans Reffert, Chowmeier, Luigi Archetti

  • Keys

    Zeus B. Held, Ingo Bischof, Dieter Moebius, Jo Weineck

  • Schlagzeug

    Mani Neumeier, Tommy Goldschmidt, Jan Fride, Butze Fischer, Rolf Schaude, Erwin Ditzner

  • Sonstiges

    Roland Schaeffer, Gerd Dudek, Uli Züfle (Saxophone), Michel Pilz (Bassklarinette), Chris Karrer (Geige)

Sonstiges

  • Label

    Repertoire Records

  • Spieldauer

    221:19

  • Erscheinungsdatum

    14.04.2023

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