Garantiert wird man bei dem symphonischen Instrumental-Prog nicht so entsetzt dreinschauen wie der Affe auf dem „Aftonland“-LP-Cover hinter dem der Leierkasten-Mann seine Musik-Weisen runterkurbelt.
Das liegt natürlich in erster Linie daran, dass JOHN LÖNNMYR nicht Leierkasten-Orgel, sondern echt moderne, aber auch so einige antike Keyboards in Perfektion zu bedienen versteht. Kein Wunder, denn schließlich ist der schwedische Multiinstrumentalist, der neben Rhodes, Orgel, Mellotron und verschiedenen Synthesizern auch Bass, Gitarre und Percussion spielt, Mitglied des großartigen THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA, in dem er seine Sache ebenfalls verdammt gut macht und sich auf seinem bereits zweiten Solo-Album ganz ähnlichen Klangwelten hingibt, zu denen unser Kollege Schiffmann spitzbübisch und treffend <a href="http://www.musikreviews.de/reviews/2021/The-Night-Flight-Orchestra/Aeromantic-II/" target="_blank" rel="nofollow">in seiner „Aeromantic II“-Review</a> das FAZIT zog: Musikalisches Softeis, von dem man garantiert kein Karies bekommt.“
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Genau das gilt auch für dieses zwei Jahre später erschienene, allerdings gänzlich im instrumentalen Symphonic-Prog schwelgende Lönnmyr-Album „Aftonland“. Eine Tatsache, die wohl diejenigen, denen bereits das Debüt „Ristor“ bekannt ist, etwas verblüffen wird, da sich Lönnmyr darauf völlig und ausschließlich auf einen modularen Synthesizer beschränkte. Aber auch die Einflüsse von SIMON SAYS, bei denen Lönnmyr eine Zeitlang die Keyboards bediente, schimmert auf „Aftonland“ immer wieder mal durch.
Nun also wird’s mit bunter Gästeschar deutlich progressiver und kunstrockiger. Und das verleiht dem Album einen besonderen Reiz, denn die Kompositionen und deren Umsetzung werden dem Prog-Ohr-Geschulten in ihrer Komplexität, aber auch ihrem orchestralen Bombast viel Bewunderung abverlangen. Der Titeltrack wartet sogar mit einem deutlich an PINK FLOYD erinnerndem Saxophon-Spiel auf, während andere Stücke immer wieder ähnliche Retro-Erinnerungen aufkommen lassen.
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Übrigens begann JOHN LÖNNMYR bereits im zarten Kindesalter von acht Jahren als sein erstes Instrument die Geige zu erlernen, um sich bereits drei Jahre später mit 11 das Klavierspielen eigenständig beizubringen, da er zu dieser Zeit (Welch frühreifes musikalisches Jüngelchen!) den Progressive Rock und Jazz für sich entdeckte. Dass er daraufhin klassisches Klavier und Komposition studierte sowie bereits viele Arrangements für Symphonie-Orchester ausarbeitete, ist der stellenweisen Perfektion von „Aftonland“ jederzeit anzuhören. Schade eigentlich, dass Lönnmyr hierauf nur neben den Keyboards zu Bass, Gitarre und Schlaginstrumenten, aber nicht zu seinem ersten Instrument, der Geige, greift. Dabei ist es doch so schön, immer mal wieder – wo auch immer – die erste Geige zu spielen, oder?
Seinem zweiten Album jedenfalls hätte das eine weitere schöne Klangfarbe verliehen, so farbenfroh auch die anderen Instrumente bereits klingen. So eine Geige…
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Gemäß dem das Album abschließenden Stück „Nostalghia“ gibt es hier viel Nostalgisches zu hören, wobei ganz unterschiedliche stilistische Grenzen ausgelotet werden, die neben dem Art- und Progressive-Rock gerne mal wie bei „Vargtimmen“ einen deutlichen Schlenker Richtung Jazz vornehmen oder sich in den wunderschönsten Harmonien ergießen, während allerdings Mutig-Experimentelleres ausgespart wird. Langeweile bleibt jedoch aus, dafür überrascht der wechselhafte Charakter, in dem auch die verschiedenen Gastmusiker an ihren Instrumente so einige Freiräume für feine Soli eingeräumt bekommen. Selbst ein Song mit verhaltenem, weiblichen Sprech-Gesang fehlt nicht – doch der bleibt neben der guten instrumentalen Ausrichtung nur schmückendes Beiwerk.
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FAZIT: Das zweite Solo-Album des NIGHT FLIGHT ORCHESTRA-Keyboarders JOHN LÖNNMYR ist eine geschickte Verflechtung von stark Keyboard-orientiertem Progressive Rock mit nordischer Note sowie harmonischem Sympho- und Art-Rock, der neben sehr anmutigen wie retrolastigen Momenten auch durchaus Ausflüge Richtung Jazz wagt. Abwechslungsreich mit bunter Gästeschar eingespielt, versteht „Aftonland“ nicht nur musikalisch, sondern auch durch seine komplexen Kompositionen zu beeindrucken.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 30.12.2023
John Lönnmyr, Anders Brisman
Maria Palmqvist
John Lönnmyr, Elof Hanson Svensson, Thomas Rundström, Frej Obenius
John Lönnmyr
Mattias Jarlhed, Pontus Torstensson
John Lönnmyr (Percussion), Kristin Lidell (Trompete), Per Laang (Saxophone)
Red Round Records/Just For Kicks
41:34
22.12.2023