Mag sein, dass Ville Valo hierzulande insbesondere unter "harten" Rockern und Metallern belächelt wird, weil er gegen Ende der 1990er mit HIM zu einem Pop-Superstar und Bravo-Mädchenschwarm avancierte, doch davon abgesehen, dass sich der Finne und seine Band nie angebiedert und stets gehobene Qualität geboten haben, sollte man wissen, dass sein Öffentlichkeitsbild außerhalb Europas und Deutschlands im Besonderen erheblich anders aussah. In Nordamerika strömten beispielsweise auch gestandene Kuttenträger zu HIM-Shows, ohne von hysterischen Teenies belämmert worden zu sein.
Wie dem auch sei, unter dem sinnträchtigen Banner VV kehrt der Sänger und Songwriter nun auf die Weltbühne zurück. Auf “Neon Noir” ist er zwar sofort wiederzuerkennen, doch die inzwischen verstrichene Zeit ist nicht spurlos an ihm vorübergegangen… was tatsächlich auch gut so ist. Bei VV handelt es sich schlicht gesprochen um eine "erwachsene" Version von HIM, die neu und vertraut zugleich klingt.
Der treibende Opener ´Echolocate Your Love´ mit markantem Synthesizer-Motiv und kraftvoller Bridge hat im weiteren Verlauf ein Pendant - ´Salute The Sanguine´, denn hier werden die entsprechenden kompositorischen Kniffe erneut angewandt, ohne dass man von plumpem Kopieren sprechen müsste. Das minimalistische ´In Trenodia´ steht wiederum beispiellos für sich, auch hinsichtlich seiner vordergründigen Electro-Elemente.
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Das getragene ´Run Away From The Sun´ mit unverzerrten Strophen, die konträr zum Titel Sonne hereinlassen, hat einen ebenso schlichten wie einprägsamen Refrain und ist ähnlich gestrickt wie später das hauchzarte ´Loveletting´ und ´Baby Lacrimarium´. Neben dem verspielten Titelstück hebt auch das abwechselnd heavy bombastische und federleichte ´The Foreverlost´ die cleveren (teils chorischen) Gesangsarrangements hervor.
Im Übrigen lässt Valo sein früher charakteristisches Schluchzen bleiben; würdevoll gealtert und reifer denn je zeigt er sich vielmehr, so wie es sich im Grunde auch für einen 46-Jährigen gehört. Höhere musikalische Ambitionen haben Drogen und laszive Sexualität (erstere waren bitterer Ernst, letztere überwiegend Image) in den Hintergrund gedrängt, dafür gibt´s jetzt eine schleppende Ballade (´Heartful Of Ghosts´) die Züge von Eighties-Pop-Instanzen wie Berlin oder dem damaligen Schaffen von Depeche Mode trägt, sowie das lange ´Saturnine Saturnalia´, das sich in atmosphärisch dichter Opulenz suhlt - das fast achtminütige Finale ´Vertigo Eyes´ nach dem Zwischenspiel ´Zener Solitaire´ umso mehr.
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FAZIT: Willkommen zurück, Ville Valo! Spätestens mit VV darf auch der "ernste" Hörer die Musik des ehemaligen HIM-Frontmanns gut finden. "Neon Noir" wird zwar zwischendurch etwas seicht, bietet aber eingängige Goth-Rock- bis Poplieder, die nicht oberflächlich auf Hit gebürstet sind, sondern zeitloses Songwriting mit gewieften Wendungen und edlem Sounddesign verschränken. <img src="http://vg05.met.vgwort.de/na/c2e9caa9569b4ffaaf9ab55ba878dfd7" width="1" height="1" alt="">
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 06.01.2023
Ville Valo
Spinefarm / Universal
50:23
13.01.2023