Er könnte mit dieser monumentalen Stimme und manchen seiner besonders zuckrigen Songs ein Frank Sinatra, Dean Martin oder Tony Bennett für unsere Zeit sein, ein lässiger Spielcasino-Crooner im edlen Zwirn, mit Orchester im Rücken und den ganz großen Showman-Gesten (die er live tatsächlich bestens beherrscht). Wenn er denn jemals auf die Idee käme, nach Las Vegas oder Atlantic City zu gehen. Aber dafür ist Joshua Michael Tillman (43) alias FATHER JOHN MISTY noch nicht alt oder weltmüde oder kitschig oder zynisch genug (obwohl Letzteres ihm ja durchaus öfter nachgesagt wird).
<br><center><iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/DV_JHlxfFDA?si=Q7pR33SgcTD-XSKP" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture; web-share" referrerpolicy="strict-origin-when-cross-origin" allowfullscreen></iframe></center></br>
Ja, den prächtigen Pop-Rock-Bombast beherrscht er wie kein anderer Musiker seiner Generation, dieser als Schagzeuger der Retro-Folkies Fleet Foxes eher bescheiden gestartete Herr Tillman. Zum Glück allermeistens mit hohem (Selbst-)Ironie-Anteil, so dass beispielsweise der opernhafte Pomp des Titelsongs seiner neuen Platte "Mahashmashana" erstaunlicherweise nicht nervt, sondern beseelt.
Der gut neunminütige Opener des sechsten Soloalbums von FATHER JOHN MISTY bleibt dem Sound früherer Werke unter der Produktion von Studio-Impresario Jonathan Wilson noch weitgehend treu, danach aber zeigt der brillante Singer-Songwriter Tillman auch neue Facetten seiner Kunst. So überrascht "She Cleans Up" als groovender Blues-Funk-Rock-Track, bei dem der selbsternannte Vater Neblig in einen hypnotischen Sprechgesang verfällt und seine prächtige Bariton-Stimme daher weniger fordert als üblich.
<br><center><iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/pVzu0M0LWTM?si=FckNKIIy_4RGIzzB" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture; web-share" referrerpolicy="strict-origin-when-cross-origin" allowfullscreen></iframe></center></br>
"Josh Tillman And The Accidetal Dose" ist wieder eines dieser selbstreferenziellen Stücke, wie man sie schon auf früheren Alben hörte (etwa "Mr. Tillman" oder "The Night Josh Tillman Came To Our Apartment"). Ausgehend von einem Verweis auf Van Morrisons frühem Meisterwerk "Astral Weeks" erzählt der Sänger hier zu einem wunderbar himmelwärts strebenden Streicher-Arrangement wieder mal eine seiner zwischen trockenen Humor und Zynismus pendelnden Geschichten.
Das vom Titel her ebenfalls nach einem schweren Thema klingende "Mental Health" bezeugt mit einer smoothjazzigen Easy-Listening-Melodie abermals, dass der einstige Indie-Folk-Drummer FATHER JOHN MISTY längst ein Sophisticated-Pop-Virtuose wie Rufus Wainwright oder gar Elton John ist. Sechseinhalb Minuten pures Schwelgen in Schönheit, auf deren Live-Aufführung beim Berlin-Konzert am 6. April 2025 man sehr gespannt sein darf. Hier findet Tillman zum Klangbild seiner fast schon musicalhaften Platten "God's Favorite Customer" (2018) und "Chloë And The Next 20th Century" (2022) zurück, auf denen er die mitreißende, den Hörer aber auch erschlagende Wucht seines bisherigen Opus magnum "Pure Comedy" (2017) ein wenig reduzierte.
<br><center><iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/SMQ8jmKdRXE?si=IXsxbaRhdEGztue2" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture; web-share" referrerpolicy="strict-origin-when-cross-origin" allowfullscreen></iframe></center></br>
Weiter geht's mit "Screamland" und "Being You", zwei Piano-Balladen, deren Gänsehaut-Streicher bisweilen an die formidablen Soundtrack-Arbeiten von Jonny Greenwood (Radiohead, The Smile) erinnern. Auch diese üppigen Lieder können ihre knapp sieben beziehungsweise gut fünf Minuten Spieldauer voll rechtfertigen.
<br><center><iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/Kdzl-j24Ut8?si=9iONSNvqQpeEDW_p" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture; web-share" referrerpolicy="strict-origin-when-cross-origin" allowfullscreen></iframe></center></br>
Mit "I Guess Time Makes Fools Of Us All" schlendert FATHER JOHN MISTY über acht Minuten lässig im Seventies-Westcoast-Funkpop-Modus daher, die Doobie Brothers, Steely Dan und Stevie Wonder lassen grüßen. Und "Summer's Gone" ist, wie der Songtitel bereits andeutet, die perfekte melancholische Abschieds-Elegie - zum Niederknien.
<br><center><iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/S0EbxLrqUKU?si=zJVM3oeYORh0ABCL" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture; web-share" referrerpolicy="strict-origin-when-cross-origin" allowfullscreen></iframe></center></br>
"Mahashmashana" - ein Sanskrit-Begriff, wörtlich übersetzt "großer Feuerbestattungsplatz" - umfasst lediglich acht Songs, kommt aber dennoch auf eine üppige Laufzeit von gut 50 Minuten. In jeder Hinsicht ein weiteres riesengroßes Album von FATHER JOHN MISTY also. Am besten direkt vor oder nach dem auch hier abgefeierten, ähnlich opulenten Americana-Folkrock-Meisterstück "Revelation" von Leif Vollebekk auflegen - passt hundertprozentig.
<br><center><iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/2qzRFOwAuCM?si=FAXtANNkR01IrhOS" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture; web-share" referrerpolicy="strict-origin-when-cross-origin" allowfullscreen></iframe></center></br>
FAZIT: Er hat es schon wieder getan: Auf dem sechsten Soloalbum als FATHER JOHN MISTY lässt Josh Tillman seine mächtige Bariton-Stimme erneut in bombastischen , oft ausufernden Songs brillieren. Langweilig wird's aber schon deswegen nicht, weil er sein Retro-Folkrock-Konzept unter Anleitung des genialen Produzenten Jonathan Wilson geschickt variiert. "Mahashmashana" ist die vielleicht beste, auf jeden Fall abwechslungsreichste Platte dieses Sinatra fürs 21. Jahrhundert.
<br><center><iframe style="border: 0; width: 350px; height: 350px;" src="https://bandcamp.com/EmbeddedPlayer/album=4251908151/size=large/bgcol=ffffff/linkcol=0687f5/license_id=4088/minimal=true/transparent=true/" seamless><a href="https://fatherjohnmisty.bandcamp.com/album/mahashmashana-2">Mahashmashana von FATHER JOHN MISTY</a></iframe></center></br>
Erschienen auf www.musikreviews.de am 06.12.2024
Eli Thomson, Jonathan Wilson
Josh Tillman, Jonathan Wilson, Suzanne Waters
Jonathan Wilson, David Vandervelde, Chris Dixie Darley, Connor Gallaher, Benji, Alan Sparhawk
Jonathan Wilson, Jon Titterington, David Vanderfelde, Kyle Flynn, Drew Erickson
Dan Bailey, Josh Tillman, Jonathan Wilson
Dan Higgins (Saxophon, Flöte), Jacob Scesney, Tony Barba, Logan Hone (Saxophon), Wayne Bergeron (Trompete), Steve Holtman (Posaune), Danielle Ondarza (French Horn), Mark Holleringsworth (Klarinette, Flöte), The Nona Quartett (Strings), Suzanne Waters (Chor-Arrangements)
Bella Union/Sub Pop
50:29
22.11.2024