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MGMT: Loss Of Life

Stil: Indiepop, Psychedelic-Pop, Art-Rock, Glam-Rock, Indietronica, Electro-Pop, Barock-Pop

Cover: MGMT: Loss Of Life

"Who is MGMT?", fragen Andrew VanWyngarden und Benjamin Goldwasser gern selbstironisch, auch Website und Social-Media-Auftritte des US-Duos tragen dieses Rätselhafte schon im Titel. Und das nicht ohne Grund: Vor gut 20 Jahren als The Management gestartet, sind MGMT (so die kaum besser googelbare Abkürzung des ursprünglichen Projektnamens) längst zu einer festen Indiepop/Psychedelic-Rock-Größe geworden - und doch kriegt man sie stilistisch weiterhin nicht wirklich zu fassen. "We're into so many different styles of music. I like it that way. Shapeshifters are a nice part of the community", so kokettierte Keyboarder Goldwasser (41) gerade erst wieder im Musikmagazin "Uncut" über die ständige "Gestaltwandelei" von MGMT.

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Die gelang im Laufe der mit "Oracular Spectacular" von 2007 fulminant gestarteten Karriere nicht immer zufriedenstellend. So wurde VanWyngarden/Benjamin Goldwasser gelegentlich eine gewisse Oberflächlichkeit oder auch verspielter Hedonismus unterstellt, wenn sie wieder mal eine Platte voller süßer Indietronica-Bonbons und bunt schillernder Sound-Seifenblasen raushauten. Nach dem Mainstream-Durchbruch mit "Congratulations" von 2010 (Platz 2 der US-Albumcharts) wurde ihr Prinzip, Psychedelia, Elektronica, Indie-Rock und eingängige Pop-Melodien zu verquirlen, etwas fadenscheinig. Dieser Schreiber konnte die Begeisterung über "Little Dark Age" - eines der besten Alben des Jahres 2018 unter anderem für "Entertainment Weekly", "Newsweek", "New Musical Express", "Billboard" und "The Guardian" - jedenfalls nicht nachvollziehen. Da klang die erneute "Gestaltwandelei" Richtung Synth-Pop nämlich nervig.

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Wenn mir daher zum neuen, insgesamt fünften MGMT-Album "Loss Of Life" ein PR-Beipackzettel so offensiv mit der Tür ins Haus fällt, werde ich misstrauisch: "We all hear different things. So go ahead: like what you like and hate what you hate. The choices are all yours", räumt ein gewisser Tom Scharpling zunächst großzügig ein. Um dann so richtig die Backen aufzublasen: "Except when it comes to MGMT. You have to love MGMT. If you don’t love MGMT you’re objectively and provably wrong. Do you want to be known as an idiot?" Hmmm...

Das Spannende, wenn man "Loss Of Life" in Ruhe wohlwollend hört: Scharpling - ein bekannter US-Comedian, Radiomoderator, Video-Regisseur und Produzent - liegt gar nicht so daneben. Denn dieses Album rechtfertigt den Lautsprecher-Hype. Der Leadsänger, Songwriter und Gitarrist VanWyngarden (41) hat in dem "Uncut"-Interview bereitwillig zugegeben, dass eine größere Ernsthaftigkeit bei MGMT Einzug erhielt: "Wir haben das Gefühl, dass die Welt derzeit etwas weniger Zynismus braucht." Hehre Worte für eine dreiviertel Stunde Popmusik - untermauert durch erhebende Songs, die das Leben in diesen düsteren Zeiten schöner machen.

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Nach dem kurzen Opener "Loss Of Life (Part 2)" machen sich MGMT mit "Mother Nature", einem ihrer bisher tollsten Lieder, ähnlich aggressiv an den Hörer heran wie Scharpling im zitierten PR-Text. Waren es früher aktuellere Indie-Bands wie The Flaming Lips, Tame Impala oder Of Montreal, mit denen MGMT verglichen wurden, so geht es diesmal deutlich weiter zurück in die Pop-Historie. 

"Dancing In Babylon", die spannungsvoll erwartete Kooperation von VanWyngarden/Goldwasser mit Christine And The Queens etwa, erinnert an ein berühmtes Elton-John-Duett mit Kiki Dee aus den mittleren 70ern ("Don't Go Breaking My Heart"), ohne in peinliche Seifigkeit abzudriften. Die prachtvolle 80s-Ballade "People In The Streets" ist eines dieser Lieder, die für eine neue Erwachsenheit von MGMT stehen. "Bubblegum Dog" geht schon vom Titel her Richtung Seventies-Glamrock - Marc Bolan und David Bowie lassen grüßen.

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Später wird mal dem Easy-Listening-Genie Burt Bacharach gehuldigt (dessen legendären Trompetensound MGMT in "Nothing Changes" einbauen), mal den Beach Boys der "Pet Sounds"/"Smile"-Ära (in "I Wish I Was Joking" und dem Closer "Loss Of Life"). Andere Referenzen dieses munter aus der Musikgeschichte zitierenden Albums sind die Beatles, 10cc, Simon & Garfunkel oder Oasis. "Loss Of Life" ist ein Pure-Pop-Patchwork, das die Suche nach Einflüssen zur reinen Freude macht und dabei doch originell bleibt. Die Indiepop-Chamäleons MGMT schillern diesmal in den herrlichsten Farben.

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FAZIT: Das zuletzt etwas ziellose Psychedelic-Pop-Projekt MGMT nimmt einen neuen kreativen Anlauf - mit durchschlagendem Erfolg. "Loss Of Life" sprüht vor smarten Produktions-Ideen und starken Melodien - wobei sich Andrew VanWyngarden und Benjamin Goldwasser diesmal auf dem Pop-Zeitstrahl weit zurückbewegen. Ein reiferes und runderes Werk haben die beiden Allround-Musiker aus New York jedenfalls noch nie vorgelegt. "Simply put, the guys did it again!", tönt die etwas brachiale Album-PR. Das lässt sich zustimmend ergänzen: The guys did it again - and even better!

Punkte: 13/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 25.02.2024

Tracklist

  1. Loss Of Life (Part 2)
  2. Mother Nature
  3. Dancing In Babylon (feat. Christine And The Queens)
  4. People In The Streets
  5. Bubblegum Dog
  6. Nothing To Declare
  7. Nothing Changes
  8. Phradie's Song
  9. I Wish I Was Joking
  10. Loss Of Life

Besetzung

  • Bass

    Andrew VanWyngarden, Benjamin Goldwasser

  • Gesang

    Andrew VanWyngarden, Benjamin Goldwasser

  • Gitarre

    Andrew VanWyngarden, Benjamin Goldwasser, Nels Cline, James Richardson

  • Keys

    Andrew VanWyngarden, Benjamin Goldwasser, Sean Lennon, James Richardson, Daniel Lopatin, Yuka Honda

  • Schlagzeug

    Andrew VanWyngarden, Timothy Kieper

  • Sonstiges

    Andrew VanWyngarden, Benjamin Goldwasser (Harmonica),  James Richardson (Klarinette, French Horn), Jon Friedmann (Horns), Danny Meyer (Klarinette), Britta Philips, Christine And The Queens (Backing Vocals)

Sonstiges

  • Label

    Mom + Pop

  • Spieldauer

    45:15

  • Erscheinungsdatum

    23.02.2024

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