Als die dänische Songwriterin LINE BØGH und ihr Partner CHRISTIAN GRUNDTOFT, die ihr gemeinsames Projekt schon seit Jahren LINEBUG nennen, 2021 in die in Sachsen-Anhalt gelegene Mittelstadt Zeitz zogen, war das zum einen sicherlich der Pandemie-Situation geschuldet – aber es war wohl auch eine Konzession daran, dass das Projekt LINEBUG seine größte Fangemeinde in Deutschland hat und sich auf diese Weise die Aktivitäten des Paares aus der Nähe besser steuern ließen. Was vielleicht zunächst aus logistischen Gründen erfolgte, entwickelte sich im Laufe der Zeit allerdings dann zu einer regelrechten Liebesbeziehung zur neuen Heimat. Es war insofern dann wohl nur eine Frage der Zeit, dass sich LINEBUG dann mit einem Projekt wie „Portraits Of Invisible Places“ befassen würden.
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Worum geht es nun genau?
Nun, wer die Arbeiten von LINEBUG kennt, der weiß, dass LINE BØGH und CHRISTIAN GRUNDTOFT ihr Projekt als multidimensionale Schnittstelle zwischen Musik und visueller Kunst verstehen, in der beide Protagonisten auf Augenhöhe gleichberechtigt zusammen arbeiten – nur eben in verschiedenen Disziplinen. LINE BØGH, die ihre Laufbahn als konventionelle Songwriterin mit Folk-Roots begann, tat sich bereits 2018 mit dem Kunstmaler CHRISTIAN GRUNDTOFT zusammen, der ihre Solo-Shows als eine Art 'Schnellzeichner' begleitete und mit seinem Tablet, welches an einen Projektor angeschlossen war, direkt auf den Gesang und die Performance LINE'S reagierte und diesen mit Zeichnungen, Video-Sequenzen und eingeblendeten grafischen Details kommentierte.
Im Laufe der Zeit entwickelte sich dabei eine symbiotische Zusammenarbeit, sodass Grundtoft heutzutage für alle visuellen Belange zuständig ist – von der Covergestaltung über die Videos bis hin zur Konzeption und die Songs zusammen mit seiner Partnerin entwickelt und begleitet.
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Für ihr neues Projekt „Portraits Of Invisible Places“ betreten LINEBUG nun die nächste Ebene dieser fruchtbaren Zusammenarbeit und legen die neue Songsammlung als ein musikalisch/visuelles Porträt von Orten ihrer neuen ostdeutschen Wahlheimat an – und zwar eines, welches die üblichen Dimensionen von Zeit und Raum deutlich sprengt, indem die „vergessenen Städte und Orte Ostdeutschlands“ im Mittelpunkt stehen.
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Das ist dann so zu verstehen, dass in den poetisch/philosophischen Lyrics von Bøgh nicht einfach eine Beschreibung der im Songtitel als Zusatz enthaltenen Orte vorliegt, sondern eine Betrachtung im Laufe der Zeit, was gleichermaßen den Zusatz „Invisible Places“ im Titel des Albums erklärt: Hier geht es eben nicht um den heute sichtbaren Teil besagter Orte, sondern um einfühlsame Porträts der Geschichte und des Geistes sowie der ehemaligen Bewohner.
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Beispielsweise philosophiert die Songwriterin in dem Track „Temporary Home (Zeitz)“ über die Menschen, welche die Stadt zu besseren Zeiten mit Leben erfüllt haben, während sie heute in weiten Teilen leer steht. Grundtoft reicherte seine animierten Passagen des zugehörigen Videos mit einem Dronenflug über das heute existierende Zeitz und Dokumentaraufnahmen aus den 50er Jahren an. Die in dem Song „When We Find It (Eythra)“ besungene Stadt existiert heute gar nicht mehr, da sie 1980 – ein Jahr nach ihrem tausendjährigen Jubiläum – wegen des Braunkohle-Abbaus abgerissen wurde.
Ähnlich verhält es sich mit dem Ort Prora – einer riesigen Ferienanlage auf Rügen, die von den Nazis in den 30er Jahren erbaut wurde, später als Kaserne der NVA genutzt wird und heutzutage eine Wohn-, und Hotel-Anlage genutzt ist, welche von LINEBUG als „Bubble Of Convenience“ in der Geschichte der Erinnerungskultur porträtiert wird.
„Someone Else's Tragedy (Demmin)“ geht auf den Massen-Selbstmord in dem Ort Demmin angesichts der anrückenden Russen am Ende des zweiten Weltkrieges ein. In dem Song „The Last Hearts Made Of Coal (Deuben)“ erzählt die Frau eines Kumpels von den Sorgen und Nöten der Bergleute von Deuben, die vor der Schließung der letzten Zeche das Bild des Bergbau-Dorfes prägten und das abschließende „The Creek (Altenburg)“ porträtiert eher den Bach, der das kleine Städtchen und dessen Umgebung umfließt.
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Am vielleicht besten gelingt die Verquickung von Poesie, Philosophie und Zeitgeist in dem Track „In Other People's Eyes (Weißwasser)“, in dem LINE BØGH der (auf Deutsch eingebrachten) Zeile: „Hier ist alles schlecht“, die Erkenntnis entgegenstellt, dass schon ein eingefangener Sonnenstrahl dazu führen kann, dass man in den Augen anderer selbst zu einer Lichtquelle und somit zu einer Inspiration werden könne, wenn man endlich das Nörgeln beendet und sich den positiven Aspekten öffnet.
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Musikalisch setzen die Musikerin und ihre beteiligten Gastmusiker dies mit einer entwaffnenden Naivität und zugleich großer Neugier mit zauberhaft organischen Folk-, Chamber- und Kook-Pop-Kapriziosen im Kinderlied-Charme in Szene, bei denen weitestgehend auf die von den Live-Performances bekannten elektronischen Elemente verzichtet wird und auch die Akustik-Gitarre wieder eine größere Rolle spielt. Verstärkt wird der Eindruck der unbefangenen Naivität durch Bøghs immer noch kindlich anmutende Kleinmädchenstimme, aber auch dadurch, dass erstaunlich viele Songs – wie etwa „Bubble Of Convenience (Prora)“ oder „10000 Sunflower Faces In Bloom (Schwedt) – mit einfachen, aber effektiven Mitsing-Refrains daherkommen und oft ein versöhnlich schaukelndes Walzer-Format als Grundlage herangezogen wird. „Temporary Home (Zeitz)“, „In Other People's Eyes (Weißwasser)“ und das mit einem kammermusikalischen Streicher-Arrangement unterlegte „The Creek (Altenburger)“ sind dann hierfür beredte Beispiele.
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FAZIT: Mit „Portraits Of Invisible Places“ erschufen LINEBUG ein Genre- und Disziplinen-übergreifendes Gesamtkunstwerk, welches in dieser Konsequenz recht einzigartig ist. Mit ihrer neuen Songsammlung (und den damit verknüpften Video-Projekten) erschafft ausgerechnet ein dänisches Künstlerpaar ein besonders einfühlsames Porträt ihrer ostdeutschen Wahlheimat, das mit der exemplarischen Auswahl der betreffenden Orte Zeit und Raum umfassend durchdringt, ohne dabei die typischen Klischees und festgefahrenen Denkmuster der Gegenwart bemühen zu müssen. Das gelingt ihnen mit diesen leichtfüßigen, verspielten, eingängigen Indie-Pop-Songs allererster Güteklasse rundum überzeugend.
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Erschienen auf www.musikreviews.de am 14.03.2025
Line Bøgh
Line Bøgh, Maxi Menot
Line Bøgh, Maxi Menot
Katharina Lattke
Christian Grundtoft (Visuals)
Independent
37:53
14.03.2025