"Das ist doch dieser schüchterne Nick-Drake-Typ...", hörte ich kürzlich, als ich von WILL STRATTON, einem der (mark my words!) besten US-Singer-Songwriter unserer Zeit, und seiner neuen Platte zu schwärmen begann. "Ja, stimmt, aber ..." - da gibt es doch so viel mehr zu erzählen.
Von einem Musiker, der nun, mit dem bereits achten Album einer qualitativ immer schön bergauf verlaufenen Karriere, sein Meisterstück vorgelegt hat. Natürlich geht es auch jetzt wieder in vielen Reviews zu "Points Of Origin" (ja, in dieser ebenso) darum, wem Strattons Stimme und sein Folk-Songwriting besonders ähneln. Referenzen gehören wohl dazu, wenn man seit vielen Jahren in einem so traditionsreichen, bestens vermessenen Musikgenre unterwegs ist.
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Mit Vergleichen ist es für Künstler halt immer so eine Sache. Sie können nerven, wenn dahinter der Verdacht epigonaler Abkupferei steht. Oder sie können ehrenvoll sein, wenn die Referenznamen besondere Strahlkraft besitzen. Im Fall WILL STRATTON tritt man dem gebürtigen Kalifornier wohl nicht zu nahe, wenn man ihn respektvoll irgendwo zwischen Nick Drake und Sufjan Stevens einordnet. Also an der Schnittstelle von jazz-informiertem Seventies-Brit-Folk und dem nordamerikanischen Songwriter-Pop der 2000er- und 2010-er, den man von Stevens-Alben wie "Illinois" (2005) oder "Carrie & Lowell" (2015) kennt und liebt.
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Auch "Points Of Origin" schafft es nun wieder, zwischen diesen beiden Polen etwas ganz Besonderes entstehen zu lassen. Die friedliche Atmosphäre englischer Landschaften taucht etwa im Drake-esken "Firewatcher", in den Zupfgitarren von "Higher And Drier" oder im sanften Closer "Slab City" auf. Auch die so wunderbar weltmüden, latent melancholischen Vocals von WILL STRATTON erinnern an das tragische Brit-Folk-Genie Nick Drake. Der mit delikatester Zartheit zu Klavier und Pedal-Steel performte Opener "I Found You", der wunderbar ausschweifend erzählende Country-Pop von "Temple Bar" oder der hochkomplexe Streicher/Bläser-Track "Bardo Or Heaven?" gemahnen indes an die raffinierten Songgespinste des nur wenige Jahre älteren US-Kollegen Sufjan Stevens.
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In den Lyrics von "Points Of Origin" geht WILL STRATTON dahin, wo's wirklich weh tut, ohne letztlich bei typischen Protestsongs zu landen. Mit ihrer empathischen Storyteller-Intensität sind diese Lyrics denen des großen Songdichters Willy Vlautin, der hier kürzlich mit dem neuen Album "Mr. Luck & Ms. Doom" seiner Americana-Soul-Band The Delines (14/15) so richtig abräumte, durchaus ebenbürtig.
Wieder so ein Vergleich, und wieder ein ehrenvoller. "Das kümmerliche, schöne, sonnengebleichte Leben von Truckern, Surfern, Ausreißern, Betrunkenen, Dieben, CIA-Agenten, Förstern, Brandstiftern, Anwälten und Malern" schildert STRATTON in den zehn neuen Liedern ebenso wie die Auswirkungen des Klimawandels, heißt es vom geschmackssicheren Label Bella Union.
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Schwerer, oft trauriger Stoff - aber tatsächlich jeder einzelne Song lohnt das konzentrierte Mitlesen. Weil die Arrangements stets zwischen reduziertem Gitarren-Folk und Westcoast-Pop-Opulenz pendeln, ist "Points Of Origin" auch produktionstechnisch ein ausgesprochen abwechslungsreiches, ambitioniertes Album. Und insgesamt - siehe oben - jetzt schon ein diesjähriges Highlight des von quantitativer Überfüllung gezeichneten Singer-Songwriter-Genres.
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FAZIT: Dass ein Musiker nach fast 20 Karrierejahren den Gipfel seiner Kunst erreicht, ist keine Selbstverständlichkeit. WILL STRATTON hat das geschafft, und dafür gebührt ihm höchster Respekt - jenseits aller gut gemeinten, vielleicht aber auch lästigen Referenzen. "Points Of Origin" ist ein Album, in dessen instrumentaler Schönheit und emotionaler Tiefe man sich verlieren kann - und dessen subtile Wirkung dabei lange anhält.
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 12.03.2025
Will Stratton, Dandy McDowell
Will Stratton, Hannah Frances
Will Stratton, Hamilton Belk, Nick Levine, Phil Keaggy, Joshua Marré
Will Stratton, Sean Mullins
Sean Mullins
Conor Armbruster, Reid Jenkins (Geige), Justin Keller (Saxophon), Aaron Roche (Posaune), Joshua Marré (Mandoline)
Bella Union
39:59
07.03.2025