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Michael J.J. Kogler: Die Asche vergangener Winter (Review)

Artist:

Michael J.J. Kogler

Michael J.J. Kogler: Die Asche vergangener Winter
Album:

Die Asche vergangener Winter

Medium: Buch
Stil:

Eine Post-Black-Metal-Erzählung

Label: Edition Outbird
Spieldauer: 232 Seiten
Erschienen: 27.09.2022
Website: [Link]

Im Black Metal hinlänglich bekannte bis tradierte Motive verdichtet Michael J. J. Kogler in seinem Roman-Debüt "Die Asche vergangener Winter" u.a. mit kritischen Reflektionen der Corona-Krisenjahre zu einer Erzählung allzu menschlichen Träumens und Scheiterns.

Gleich zu Beginn des Buchs erfahren wir, dass der seit rund zwei Jahrzehnten dem Tod und Suizid zugeneigte, depressive Episoden durchmachende Musiker Tal nicht mehr unter den Lebenden weilt. Nach zwei gescheiterten Versuchen mittels Überdosen hat er seinen Plan offenbar endgültig umsetzen können. Ausschlaggebend für diesen Schritt war die für Tal so absehbare wie zerstörerische Entscheidung seiner Freundin Hanna, ihm nach bald sechs gemeinsamen Jahren den Laufpass zu geben. Es ist der Tal am stärksten treffende, doch längst nicht einzige Entfremdungsprozess, der in seinem Entschluss gipfelt, der "Neinsager-Stadt" den Rücken zu kehren und den Winter in einer abgeschiedenen Berghütte zu verbringen. Mit dem Genre Vertraute mögen eine (unstete) Selbstisolation an jenem Ort mit "mehr Black Metal geht kaum" kommentieren, an den tragischen Heimgang von Windir-Musiker Valfar oder an zahlreiche Motive zwischen herbstlicher Waldeinsamkeit und dem vielfach besungenen "Vinterriket" denken. Für die Szene-fremde Leserschaft streut Kogler ebenso unaufdringlich wie subtil ironisch den einen oder anderen Hinweis auf Black-Metal-Typisches ein, was wiederum für in jenem Underground Aktive etwas Humorvolles haben mag, denn die eine oder andere Konzert-Anekdote lässt durchaus einen Rückschluss auf real existente Bands und Personen zu. Als Songwriter der Post-Black-Metal-Band Karg sowie als Sänger und Texter von Harakiri for the Sky kann sich der Autor wohl an einem Fundus inspirierend intensiver Erfahrungen bedienen.
Nun ist es nicht so, dass das allmähliche Verschwinden von Tal, im Rückblick beschrieben von seinem besten Freund Jannis, unbemerkt vonstatten geht – im Gegenteil: Der nahezu unentwegt gedanklich um das eigene Ableben kreisende Musiker erhält sogar in seiner Berghütte Besuch von verschiedenen Weggefährten, wobei viel gebechert wird, oft auch andere Drogen im Spiel sind, und immer wieder Blut fließt. Der Rückzug führt also zu allerhand Eskapaden, von denen einige in die Psychiatrie, und alle immer tiefer in die chronische seelischeErkrankung führen. In dieser Hinsicht handelt es sich bei "Die Asche vergangener Winter" ergo keineswegs um eine zeitgenössische Interpretation von Knut Hamsuns "Pan" und seinem wesentlich misanthropischeren Protagonisten. Hier geht es um ein langsames Hinausgleiten des an Jahren zwar nicht mehr ganz jungen, im Geiste jedoch immer noch ziemlich jugendlichen Träumers, der für einen Neubeginn mit seiner verflossenen Lebensliebe alles tun würde, und doch ahnt, dass dieser Zug für ihn unwiederbringlich abgefahren ist. Genauso wie eine Rückkehr an jene einst mit seiner Freundin bereisten Orte, die sowohl die Musik des 30-Jährigen inspirierten, als auch an die Musik seiner Helden – von Nirvana bis Nagelfar ist es nur ein Katzensprung – erinnerten. Ja, auf den Seiten dieses Romans klingt eine innige Liebe zur Melancholie und Wut verströmenden Musik an.
Im Hinblick auf bisherige "Black-Metal-Literatur" kann "Die Asche vergangener Winter" trotz weitgehender Überraschungsarmut (der Ausgang ist ja von Anfang an bekannt) für sich verbuchen, einen authentischen und menschlich nahen Zugang zu einem Protagonisten im (Post-) Black-Metal-Underground zu entwickeln, der in mancherlei Hinsicht als prototypisch gelten kann. Die einzelnen Charaktere werden von Kogler stimmig beschrieben, Anekdoten zuweilen schrill, jedoch keineswegs realitätsfern zugespitzt. Die Erzählperspektive ist clever gewählt, denn sie dürfte bei Leserinnen und Lesern mit unterschiedlicher Szene-Kenntnis verschiedene Fragen aufwerfen, nicht zuletzt jene nach der eigenen Verantwortlichkeit angesichts eines für die einen befremdlichen, für die anderen erfrischend distanzlosen Umgangs mit Themen wie Tod und Suizid.
Gegen Ende der Lektüre erlebte ich mich zu meiner eigenen Überraschung von der Erzählung gefesselt, denn trotz der allenfalls minimalen Chance, aus dem Teufelskreis von selbstzerstörerischem Drogenmissbrauch und sozialer Entfremdung ausbrechen zu können, wollte ich schließlich wissen, wie dem poetisch veranlagten Musiker der Absprung gelingt.

FAZIT: "Die Asche vergangener Winter" richtet sich trotz unverkennbarer Wurzeln in einer Musikszene nicht ausschließlich an die in ihr Beheimateten, sondern dient sich zudem als ein literarischer Zugang für diejenigen an, die mit dem dort fabrizierten Krach (noch) überfordert sind. Kogler setzt bei seiner Milieu- und Charakterstudie eigene Akzente, die zwar vielleicht dem einen oder anderen Black-Metal-Traditionalisten übel aufstoßen mögen, jedoch zweifelsohne die chaotische Gefühlswelt, innere Zerrissenheit bis Leere nicht nur der Hauptfigur authentisch in Worte fassen. Spätestens die Einbettung der Entfremdungsprozesse in die von Ängsten und Lockdowns geprägte Zeit der frühen Zwanziger lässt dieses Buch als Lektüre auch für Schulen interessant werden, denn zweifelsohne werden hier Themen einiger Klassiker lebensnah aufgegriffen – und Lebensmüdigkeit in einer um Sinn ringenden Gesellschaft sollte uns gerade heute mehr denn je angehen.

Thor Joakimsson (Info) (Review 1572x gelesen, veröffentlicht am )

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