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Beth Gibbons: Lives Outgrown (Review)

Artist:

Beth Gibbons

Beth Gibbons: Lives Outgrown
Album:

Lives Outgrown

Medium: CD/LP/Download
Stil:

Brit-Folk, Artrock, Singer-Songwriter, Jazz, Trip-Hop, Avantgarde-Pop

Label:  Domino
Spieldauer: 46:15
Erschienen: 17.05.2024
Website: [Link]

Ungewohnt viel aktuelle Musik von BETH GIBBONS ist derzeit im VÖ-Orbit unterwegs. Gerade erst konnte man der Wirkung ihres unvergleichlichen Schmerzensfrau-Gesangs auf einer erweiterten Reissue-Ausgabe des Portishead-Konzertklassikers "Roseland NYC Live" nachspüren, die auch bei Musikreviews ausführlich gewürdigt wurde - da trifft das erste echte Soloalbum der enigmatischen Britin mitten ins Herz. Wer sich so rar macht, ist dann auch besonders willkommen (ein gut gemeinter Tipp für die manisch überproduktive Taylor Swift, die gefühlt schon mit dem aktuellen 31-Track-Mammutwerk "The Tortured Poets Department" mehr Musik veröffentlicht hat als BETH GIBBONS in ihrer gesamten Karriere).

Nach drei bahnbrechenden Werken im Trip-Hop-Projekt Portishead (1994 bis 2008), einer grandiosen Kollaboration mit TALK TALK-Bassist Paul Webb unter dem Moniker Rustin Man ("Out Of Season" von 2002) und einer Live-Aufnahme von Henryk Góreckis "Symphony No. 3 (Symphony of Sorrowful Songs)" vor fünf Jahren legt Gibbons also jetzt, mit reifen 59 Jahren, ihr erstes Album unter eigenem Namen vor.


Und "Lives Outgrown" wird keinen Fan dieser grandiosen Sängerin enttäuschen. Ihre immer leicht gequälten, fragilen Vocals ziehen auch diesmal, in Tracks wie dem vorab herausgebrachten "Floating On A Moment", in "Burden Of Life", "Oceans" oder dem an Nick Drake erinnernden Closer "Whispering Love", so wunderbar runter wie von früheren GIBBONS-Veröffentlichungen gewohnt. 

"Die Lieder handeln von Mutterschaft, Ängsten und den Wechseljahren (die Beth mal als "krasse Prüfung" und mal als "massiven Einschnitt" beschreibt, der "dich in die Knie zwingt") sowie zwangsläufig auch von der Sterblichkeit", schreibt Gibbons' Label Domino. Eine Party wird man also mit "Lives Outgrown" wohl kaum schmeißen (oder nur im Sinne von "die letzten Gäste rausschmeißen"). Das ist schwerer, zutiefst melancholischer Stoff, selbst wenn gelegentlich, etwa in "Reaching Out" oder dem jazzig-weltmusikalisch groovenden "Beyond The Sun", rhythmische Elemente auftauchen - im üblichen Sinne tanzbar ist das dann aber trotzdem nicht. 


Bei der musikalischen Umsetzung von Gibbons' Song-Ideen halfen vor allem der Top-Produzent und Multiinstrumentalist James Ford sowie der Schlagzeuger Lee Harris (wie einst Paul 'Rustin Man' Webb ein Mitglied der Artpop-Ikonen TALK TALK). Besonders die Kooperation Gibbons/Harris darf man sich als Puzzle-Arbeit für den perfekten Drum-Sound vorstellen. 

Die Sängerin wollte von den Breakbeats wegkommen - denn viele seien "heutzutage irritierend, weil sie so ausgenudelt wurden". Im Studio fingen die beiden Musiker daher an, mit allem zu spielen, was gerade herumlag: eine Holzschublade, Tupperware, Dosen, Schüsseln, eine Wasserflasche. "Wir waren auf der Suche nach allem, was anders klang", sagt Harris. Und das Label berichtet: weiter "Um diesen neuen "holzigen" Sound weiter auszubauen, ging Beth einkaufen und kam mit einem Sack voller neuer Instrumente zurück, darunter eine Laute, ein Hackbrett und ein Ding, von dem niemand weiß, wie es heißt, das ein bisschen wie ein Kontrabass klingt, aber wie eine Ukulele ohne Bünde und mit dicken Gummisaiten aussieht und ein Albtraum ist, um es richtig zu spielen."


Mit Ford zusätzlich an Bord ging die Suche nach dem passenden Klangbild weiter. Im elegisch-orchestralen Brit-Folk-Opener "Tell Me Who You Are Today" ist der Produzent im Inneren eines Klaviers zu hören, wo er die Saiten mit Löffeln anschlägt. "Ein anderes Mal krochen ich, Lee und Beth im Studio herum, wirbelten Röhren über unsere Köpfe und machten Tiergeräusche, um diesen gruseligen Raumklang zu erzielen", sagt Ford. Viel zunächst seltsam anmutende Studio-Spielerei, viel Verletzlichkeit und Schmerz, auch etwas Esoterik - aber hey, wir haben es hier mit einem Album von BETH GIBBONS zu tun. 

Die Entwicklung von "Lives Outgrown" dauerte - es geht schließlich um eine Künstlerin mit langem Atem für die künstlerische Selbsterkundung - über ein Jahrzehnt. Nicht nur weil erstmals ihr Namen allein vorne drauf steht, ist dieses Werk das persönlichste der Frau aus Exeter und Bristol. Die Musik reagiere auf eine Periode anhaltender Reflexion und Veränderung, auf "viele Abschiede", wie BETH GIBBONS sagt: Abschiede von der Familie, von Freunden, sogar von ihrem früheren Ich. Es seien Lieder aus der Mitte des Lebens, wenn der Blick nach vorne nicht mehr so viel hergibt wie früher, und der Blick zurück plötzlich schärfer wird. "Früher hatte ich die Möglichkeit, meine Zukunft zu ändern, aber wenn man gegen seinen Körper ankämpft, kann man ihn nicht zu etwas zwingen, was er nicht will", erklärt die Sängerin.


FAZIT: Wenn man sich auf die Traurigkeit von "Lives Outgrown" einlässt (und nicht jeder mag dazu jetzt im Frühjahr und Sommer bereit sein), dann ist das erste Soloalbum von BETH GIBBONS ein so forderndes wie gewinnbringendes Werk. In jedem Fall eines, das dem schmalen Katalog dieser rätselhaften Künstlerin qualitativ hundertprozentig gerecht wird. Ein O-Ton ihres Produzenten James Ford: "Beth ist unglaublich anspruchsvoll. Sie ist sehr gefühlsbetont, was großartig ist - so sollte man auch sein. Und - wahrscheinlich mehr als jeder andere, den ich je getroffen habe - diese Fähigkeit von ihr, immer weiter zu machen und zu bohren, um etwas ganz anderes zu finden, macht sie zum Teil so gut. Ihr Durchhaltevermögen ist einfach ... wow." Freuen wir uns also auf das nächste BETH GIBBONS-Album - in zehn Jahren oder so.

Werner Herpell (Info) (Review 1064x gelesen, veröffentlicht am )

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Wertung: 12 von 15 Punkten [?]
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Tracklist:
  • Tell Me Who You Are Today
  • Floating On A Moment
  • Burden Of Life
  • Lost Changes
  • Rewind
  • Reaching Out
  • Oceans
  • For Sale
  • Beyond The Sun
  • Whispering Love

Besetzung:

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