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Interview mit LAMB OF GOD (12.06.2020)

LAMB OF GOD

Standortbestimmung zu Krisenzeiten


Als wir uns mit LAMB OF GODs gewohnt redseligem Aushängeschild Randy Blythe unterhalten, befürchten weder er noch die weitere westliche Welt eine voraussichtlich alles verändernde Pandemie, weshalb beim aller Skepsis und Bereitschaft, einen schwierigen verbalen Kampf gegen Donald Trump und Co. zu führen, uneingeschränkte Zuversicht im Lager der amerikanischen Modern Metal-Schwergewichte herrscht.

Nachdenklich und ernst ist der Unterton unseres Gesprächs dennoch, gleichwohl die Band angesichts ihres neuen Albums allen Grund zum Feiern hat. ""Lamb Of God" kommt nicht zuletzt wegen seines Titels einer Bestandsaufnahme gleich, und der Frontmann macht auch gar keinen Hehl daraus, dass die Songs im Grunde genommen keine Überraschungen bieten, sondern weiter verfeinerte Varianten dessen sind, was Anhängern der Gruppe längst vertraut erscheint. "Wir hatten schon seit einer ganzen Weile mit dem Gedanken gespielt, ein Album nach uns zu benennen, aber irgendwie keine passende Gelegenheit dazu gefunden. Diesmal planten wir es lange im Voraus, als sich abzeichnete, dass viele unserer Ideen auf eine Zusammenfassung und Definition des Bandsounds hinauslaufen würden."

Leben nach „VII: Sturm und Drang“

Mit dem Vorgänger des aktuellen Langspielers, der 2017 erschien, legten LAMB OF GOD die Messlatte hoch an. Die Herangehensweise während des Schaffensprozesses hat sich aber nicht großartig von früheren Arbeiten an Platten unterschieden, obwohl man zunächst den Drum-Posten umbesetzen musste "Chris Adler war zwar Gründungsmitglied, beteiligte sich aber zu keiner Zeit aktiv am Songwriting; das ist immer die Domäne seines Bruders Willie und dessen Gitarren-Pendant Mark Morton gewesen, wohingegen die Texte und Gesangsmelodien einzig und allein von mir stammen. Allerdings muss man sagen, dass unser neuer Mann Art Cruz die Dynamik und Stimmung innerhalb der Gruppe zum Positiven hin verändert hat. Er ist deutlich jünger als der Rest von uns, der immerhin teilweise schon auf die 50 zugeht, und mit anderer Musik aufgewachsen. Dass sich seine Einflüsse auf unseren Stoff niedergeschlagen haben, ist da nur logisch, doch ich denke, es fällt unseren Fans weniger auf als uns selbst."

Den einen Trigger dafür, dass LAMB OF GOD 2020 entschiedener denn je politische Themenschwerpunkte setzen, gab es Blythe zufolge nicht. "Man braucht doch nur irgendwelche Nachrichten einzuschalten, um von genug Anlässen zu Kritik zu erfahren. Was momentan auf diesem Planten geschieht, grenzt an Wahnsinn, aber mir ging es beim Schreiben weniger darum, auf konkrete Ereignisse hinzuweisen, als dass ich nach den Ursachen forschen wollte. Dabei bin ich zu dem Schluss gelangt, dass die Industrialisierung und der Konsumzwang, der damit einherging, die Wurzeln allen Übels sind. So wurde 'Gears', das genau dies anspricht, als erster Track fertig; danach brachen alle Dämme, und die Lyrics sprudelten nur so aus mir heraus." Schuld gibt Randy bis zu einem gewissen Grad auch der Internetkultur. Ich bin beileibe kein Technikfeind und weiß den Fortschritt sehr zu schätzen, vor allem in den Naturwissenschaften und im Kommunikationsbereich, sowohl für den Umweltschutz und das Gesundheitswesen. Trotzdem muss man sich die Ursprünge des Web vor Augen halten; es beruht auf utopistischen Vorstellungen hochintelligenter Computernerds, die ihre Ideen darüber austauschten, doch je mehr Menschen es nutzen konnten, desto mehr Typen mit zweifelhaften Absichten kamen zum Zug. Ich glaube nicht, dass zu Anfang jemand damit rechnete, welche Ausmaße das Ganze annehmen und wie negativ die Folgen sein würden.

Paradoxerweise stehen wir einander heute so nahe wie nie zuvor in der Geschichte, könnten uns aber gleichzeitig kaum distanzierter verhalten. Persönlicher Kontakt von Angesicht zu Angesicht lässt sich eben durch nichts ersetzen, wobei am schlimmsten ist, dass auf indirektem Weg jegliche Empathie flöten geht. Daraus ergeben sich Missverständnisse, die schwerwiegende Konsequenzen haben können, denn elektronische Geräte haben quasi keine Augenbrauen." Weiterhin bezieht sich der Sänger auf den preisgekrönten Netzpionier Jaroen Lanier, der für seine Zukunftsprognosen u.a. mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde, und attackiert die Profiteure der digitalen Revolution. "Macht und Geld sind unter wenigen Großkonzernen aufgeteilt, die von den Gratisdiensten der Masse profitieren, indem sie deren Daten sammeln und auswerten. Das gesamte System braucht eine Generalüberholung, wovon der Opener 'Checkmate' handelt. Ich beziehe mich nicht auf einzelne Personen, die Strukturen an sich sind abgefuckt. Vergleicht man die Regierung mit einem PC, arbeiten ihre Mitglieder sozusagen mit einer veralteten Windows-Version. Die Möglichkeit der Wahl, die unserem im Wesentlichen zwei Parteien suggerieren, ist in Wirklichkeit eine Illusion."

Gesunder Menschenverstand adé

Die in 'Reality Bath' gemeinte Realität betrifft hingegen zweierlei, erstens "die hierzulande regelmäßig stattfindenden Amokläufe, besonders an Schulen. Im Anschluss herrscht immer ach so tiefe Betroffenheit, doch kurz darauf gehen wieder alle zur Tagesordnung über, statt Lehren daraus zu ziehen. Was muss in einer Gesellschaft schiefgegangen sein, wenn die Generation, die ihre Zukunft tragen soll, tatsächlich glaubt, Gewalt und Mord würden Probleme lösen? In der zweiten Strophe habe ich mich mit den Waldrodungen in Lateinamerika beschäftigt, wo die Ureinwohner aus ihrem angestammten Lebensraum vertrieben und der Umwelt massive Schäden zugefügt werden. Man muss bedenken, dass das die Lunge der Erde ist und beispielsweise Brasilien dabei nichts weniger tut, als uns allen den Sauerstoff zu rauben, den wir zum Leben brauchen. Das ist praktisch der kollektive Suizid einer ganzen Spezies, die den Verstand verloren hat."


Angesichts solch drastischer, aber eigentlich treffender Formulierungen erscheint eine Flucht ins Metaphorische wie in 'Resurrection Man' umso nachvollziehbarer. "Hier bediene ich mich der Bildersprache des Horror-Filmgenres, auch weil die Nummer ziemlich Death Metal-lastig und gruselig klingt.


Mythos, dem die Weltbevölkerung bereits seit der Amtszeit unseres früheren Präsidenten Ronald Reagan aufsitzt, nämlich dass durch Streben nach wirtschaftlichen Steigerungen letzten Endes alle profitieren. Stattdessen werden die wenigen Reichen immer reicher und die vielen Armen immer ärmer. An Geld per se gibt es nichts auszusetzen, und ich für meinen Teil kann momentan dank einer Sache, die ich liebe - Musik -, ein relativ angenehmes Leben führen, ohne jeden Dollar umdrehen zu müssen, bloß sollte man die Mittel, die einem zur Verfügung stehen, auf ethisch sinnvolle Weise nutzen, statt sich weiter zu bereichern. Unsere egoistischer Habgier kennt keine Grenzen, wo man meinen könnte, wir hätten es in unserer Evolution weit gebracht, doch selbst Affen legen manchmal ein intelligenteres Sozialverhalten an den Tag. Indem wir immer wieder die gleichen Fehler begehen, handeln wir wir geistlose Zombies, die derzeit vielleicht nicht umsonst so beliebt in der Popkultur sind."
'Poison Dream' vertieft Blythes ökologische Besorgnis. "Mir wurde kürzlich bewusst, dass ich verunreinigtes Wasser trinke, solange ich denken kann. Ich bin in Maryland geboren, wo die Industrie den Boden verseuchte, wogegen man erst in jüngeren Jahren Maßnahmen ergriffen hat. Später in North Carolina landete ich in einer Gegend, wo irgendeine andere Firma krebserregende Chemikalien in der Natur "entsorgte", und dass die Schuldigen jeweils Milliardensummen zur Entschädigung der Anlieger blechen mussten, ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein und hilft niemandem." Genauso im Regen stehen gelassen wurden bis heute weite Teile der indiginen Volksstämme Nordamerikas, denen sich LAMB OF GOD in 'Routes'gemeinsam mit jemandem widmen, der aus Erfahrung sprechen kann: Testaments Front-"Indianer" Chuck Billy. "Als die Sioux 2016 im Rahmen empörter Proteste im Standing-Rock-Reservat in Norddakota, einem der größten in den Vereinigten Staaten, gegen die geplante Dakota-Access-Ölpipelinedurch ihr Gebiet auf die Barrikaden gingen, schrieben sie Geschichte, aber der Ausgang dieser Aktion bleibt ungewiss.“

Toleranz und Akzeptanz

Anderswo auf "Lamb Of God" befasst sich das Bandsprachrohr mit intimeren Dingen, die sich nichtsdestoweniger auch allgemeiner interpretieren lassen. "'Bloodshot Eyes' ist für alle gedacht, die eine für sie schlechte Beziehung beenden und darunter leiden, und zieht für mich persönlich einen Schlussstrich unter eine Zeit, in der ich mich mit einer Gruppe von Leuten abgab, die mir langfristig nicht gutgetan hätten." Dass ihm und seinen Mitstreitern der Umgang mit Dave Mustaine schaden wird, dessen Megadeth sie auf einer letztlich wegen des Corona-Virus abgesagten Tournee begleiten sollen, sieht Randy im Februar allerdings nicht kommen. "Wir begegnen und schließlich nicht zum ersten Mal, und ich rechne fest damit, dass wir prima miteinander auskommen, auch wenn Dave als konservativ verschrien ist und einige schräge Ansichten hat. Ich bin seit je ein toleranter Kerl und gehe gern Kompromisse ein, solange mich niemand zu seiner Sache bekehren will. Selbst im Lager von LAMB OF GOD folgt niemand denselben Interessen, sondern hat unterschiedliche Vorlieben und Aufassungen von allen Bereichen des Lebens. Das ist auch so ein Ding: Der wunders wie moderne und ziviliserte Mensch hat verlernt, Meinungsverschiedenheiten zu akzeptieren, die den eigenen Erfahrungsschatz doch nur bereichern können, und reagiert nur noch extrem, statt einen Diskurs mit anderen zu beginnen. Ehrlich gesagt freue ich mich aber in der Tat mehr auf unsere Europarundreise mit Kreator, denn Mille liegt eher auf meiner Wellenlänge."


https://www.lamb-of-god.com

 



Andreas Schiffmann (Info)
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