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Avantasia: The Scarecrow (Review)

Artist:

Avantasia

Avantasia: The Scarecrow
Album:

The Scarecrow

Medium: CD
Stil:

Melodic Metal

Label: Nuclear Blast
Spieldauer: 63:43
Erschienen: 2008
Website: [Link]

Was wurden nicht die Erwartungen und die Spannung geschürt im Vorfeld der Veröffentlichung von “The Scarecrow”, teilweise sogar durch Schmälerung der ersten beiden, grandiosen AVANTASIA-Alben (unter dem Titel “The Metal Opera” 2001 und 2002 erschienen). Unter anderem auch von Mastermind Tobias Sammet selbst: Er wolle zeigen, dass er mittlerweile Dinge besser kann, ein “erwachseneres”,
“reiferes” Album vorlegen, das weniger “kitschig” und zeitgemäßer klingen sollte. Leider ist dabei anscheinend ein entscheidender Punkt etwas in den Hintergrund gerückt, nämlich wirklich starkes Material zu schreiben, das den ersten beiden Alben mindestens ebenbürtig wäre. Dabei hatte er dies stets als Voraussetzung für eine weitere AVANTASIA-Scheibe genannt.

Den Stil, den Tobias Sammet noch auf den beiden Teilen von “The Metal Opera” verfolgte, kann man nicht viel besser machen, ein kleines Meisterwerk. Nicht zu unrecht wurde es z.B. von Kai Hansen als einzig wahrer dritter Teil von “Keeper Of The Seven Keys” bezeichnet. Auch attestierten ihm damals schon erfahrene Musiker wie Henjo Richter für Tracks wie “The Looking Glass” ein ausgereiftes, erwachsenes Songwriting. Es wäre daher nur verständlich und nachvollziehbar, nun etwas Neues kreieren zu wollen. Und es spricht auch nichts dagegen, dies trotzdem unter dem Namen AVANTASIA laufen zu lassen. Zumal Stimmung und Konzept von “The Scarecrow” meiner Ansicht nach durchaus sehr gut zu diesem Namen und der, wenn man so will, “Philosophie” passen, und gleichzeitig aber auf eine sehr interessante Art anders umgesetzt wurden. Aber zu behaupten, die Songs würden nun deshalb anders klingen, weil sie erwachsener, reifer und somit besser seien, und damit selbst einen Vergleich heraufzubeschwören, damit konnte der EDGUY-Kopf nur verlieren. Denn das Material kann dem über weite Strecken einfach nicht standhalten.

Ich weiß, scheinbar darf man so etwas ja gar nicht sagen, oder man wird gleich als ewig gestriger Die-Hard-Power-Metaller bezeichnet, der nicht offen für andere Stilrichtungen sei. Ich habe gar nichts dagegen, Neues auszuprobieren und bin durchaus offen für jede Musik, auch außerhalb des Metal. Dies ist nicht der Punkt, denn ein guter Song ist ein guter Song. Auch gerade die von Tobias selber genannten Referenzen wie QUEEN oder MEAT LOAF gehören zu meinen Lieblingskünstlern, allerdings sind diese Namen als Bezugspunkte irreführend. Nicht nur, was die Qualität des Songwritings und vor allem das Fehlen der großen Melodien betrifft, hinkt dieser Vergleich, sondern gerade auch stilistisch: Mit opulentem Bombast-Rock aus der Feder eines Freddy Mercury oder Jim Steinman hat AVANTASIA anno 2008 nur marginal zu tun.

Mich stört auch gar nicht die Tatsache, dass mit "Twisted Mind" ein ungewöhnlicher, modern groovender Song als Opener gewählt wurde, das Fehlen einer richtigen Hookline schon. Roy Khan überzeugt als Gastsänger zwar in gewohnter Weise mit Atmosphäre und einer gewissen Mystik, der unmelodische Refrain ist aber fast eher eine Art “Sprechchor”. Ein denkbar schlechter Einstieg in das Album.

Der viel gelobte, überlange Titeltrack kann mich auch nicht richtig überzeugen. Er startet zwar mit keltischen Einflüssen sehr interessant und lässt aufhorchen, dann kommt allerdings nicht mehr viel. Dem Refrain fehlt es an Griffigkeit und Durchschlagskraft, stattdessen wird die Melodie langgezogen wie ein Kaugummi. Dies hat zwar einen gewissen Musical-Touch, wäre aber auf früheren Songs von Tobias Sammet höchstens als Bridge eingesetzt worden und nicht als Höhepunkt eines Longtracks.

Warum Tobias der Meinung ist, dies sei wohl der beste Song, den er je komponiert habe, ist mir völlig unverständlich. Dabei war er doch mal mit Epen wie “The Seven Angels” tatsächlich fast auf Augenhöhe mit einem Jim Steinman, eine Gänsehaut jagte die nächste, ein Killer-Hook folgte dem anderen. Die fantastischen Gastsänger spielten sich die Bälle mit ergreifenden, großen Melodiebögen zu (die man wirklich auch noch "Bögen” nennen konnte). Auf dem neuen Album klingen dagegen viele Passagen seltsam flach und gezogen, und deutlich weniger hymnisch. Vor allem dieser Mangel an wirklich zündenden, packenden und ergreifenden Melodien lässt sich nicht kompensieren, auch nicht durch vermeintlich ausgereiftere Arrangements und eine erstklassige Produktion.

Man wird den Eindruck nicht los, als habe sich Tobias Sammet mit seinen Mitstreitern etwas im Studio verzettelt, unheimlich lange an produktionstechnischen Details und Arrangements gefeilt, dabei aber vergessen, erst einmal die wirklich guten Songideen auszuarbeiten, am besten, bevor man an die Aufnahmen geht.

Zudem klang die Instrumentalabteilung auf den ersten beiden Alben wirklich fast wie entfesselt, immer leicht verspielt und trotzdem hochmelodisch und songdienlich. So konnte man beispielsweise in der Rhythmusgitarrenarbeit von Henjo Richter immer wieder kleine Details und Spielereien ausmachen, welche die Riffs trotz des identischen Komponisten noch mal deutlich vom EDGUY-Standard abhoben, ganz zu schweigen von seinen fantastischen Leads. Ebenso machte sich Markus Großkopf am Bass mit melodischen Läufen bemerkbar und bildete mit Drummer Alex Holzwarth eine absolute Traum-Rhythmusabteilung.

Auf “The Scarecrow” jedoch wirkt das alles viel behäbiger und weniger frisch und spritzig. Auch wenn Könner wie Sascha Paeth an der Gitarre und ein großer Name wie Eric Singer an den Drums bestimmt keine schlechte Wahl sind, so halten sie sich doch merklich zurück. Das mag manchem Hörer nun geschmackvoll erscheinen, und es spricht auch nichts dagegen, starke Songs und große Melodien für sich sprechen zu lassen. In diesem Fall hätte es aber auch nicht geschadet, den einen oder anderen Part noch etwas aufzupeppen. Denn leider sind gleichzeitig auch die Gesangsmelodien oft seltsam langgezogen und können mich gar nicht packen. Mir fehlen einfach die ganz großen Momente, die epischen Höhepunkte, die es auf den Vorgängern noch zuhauf gab. Wie ein Michael Kiske damals beispielsweise in “The Tower” zu seinem “I realize…” ansetzte, da bekomme ich heute noch nur bei der Vorstellung Gänsehaut. Solche Momente findet man auf “The Scarecrow” gar nicht.

Und das hat wirklich nichts mit der stilistischen Ausrichtung zu tun, von mir aus könnte das Album ruhig voller Balladen oder poppiger Rocksongs sein, wenn mich diese denn richtig packen und emotional berühren würden. Leider rührt sich aber bei dem vorliegenden Material größtenteils gar nichts bei mir, obwohl es (stilistisch gesehen) ja gar nicht so extrem geworden ist. Tatsächlich befinden sich auch eine ganze Menge Songs auf “The Scarecrow”, die eigentlich zu “kindisch” und “kitschig” für das aktuelle Album sein müssten, wie etwa das schnelle und HELLOWEEN-lastige “Shelter From The Rain”, “Another Angel Down” oder “Devil In The Belfry”. Diese hätten stilistisch in etwa auf “The Metal Opera” gepasst, gehen durchaus in
Ordnung, können aber nicht mit den damaligen Highlights mithalten. Stattdessen wirken sie ein wenig routiniert und nach Formel komponiert. Da klingen die “andersartigen” Songs schon ein wenig interessanter: “Carry Me Over” und “Lost In Space” mögen zunächst etwas banal wirken, sind aber letztlich schön stimmungsvoll und wenigstens nette Pop-Rock-Songs mit Hit-Appeal, wenn auch keine emotionalen Höhepunkte. Einen solchen gibt es dagegen mit “What Kind Of Love”, einer Art orchestrierter World-Music-Hymne: Amanda Somerville überzeugt mal wieder mit ihrem unendlich gefühlvollen und warmen Gesang. Dieser Song hätte so ähnlich auch Teil ihres AINA-Projekts sein können.

Überhaupt sind die Gastsänger das große Plus des Albums: Man darf (neben den bereits genannten) endlich wieder einmal Michael Kiske und auch Oliver Hartmann in größerem Rahmen und diesem Kontext hören, Bob Catley singt (wie eigentlich immer) herzergreifend, und Jorn Lande übertrifft diesmal sämtliche Erwartungen. Eigentlich alle Passagen, in denen der Norweger zu Wort kommt, klingen mitreißend, alleine durch seine kraftvolle und intensive Darbietung. Alice Cooper bekommt mit "The Toy Master" einen atmosphärisch-gespenstischen Track maßgeschneidert und kann mit fieser Stimme überzeugen, auch wenn man wieder feststellen muss, dass der Mann nicht wirklich singen kann...

Zusätzlich zum Mangel an großen Melodien wirkt auch der Gesang von Tobias selber oft angestrengt und leicht hysterisch. Eine Entwicklung, die sich schon auf den letzten Alben abzeichnete. Warum er sich selbst immer solche hohen Töne vorgeben muss, ist mir schleierhaft, wo er doch mittlerweile mit seiner leicht rauhen Stimme auch in tieferen und mittleren Regionen sehr gut klingt (schön nachzuhören in "Carry Me Over"). Die ganz hohen, herausgepressten Kreischer und Quietscher dagegen schmälern den Hörgenuss merklich.

Tobias Sammet ist mir wirklich sympathisch, ich respektiere seine Leistungen sehr und bewundere, was er mit EDGUY und AVANTASIA aus dem Boden gestampft und mit unbändigem Willen erreicht hat. Ich bin auch der erste, der sich freut, wenn AVANTASIA nun mal richtig gepusht und große Chart-Erfolge einfahren werden. Meiner Ansicht nach hat er sich das einfach mit vergangenen Leistungen verdient. Aber so langsam sollte er sein Songwriting mal einem Qualitätscheck unterziehen, anstatt endlos Zeit und Geld in Studioaufenthalte und hochklassige Produktionen zu investieren (was ja prinzipiell löblich ist). Hier wurde viel Energie in Aufnahmen, Sound und Arrangements gesteckt, die Inspiration blieb dabei auf der Strecke.

FAZIT: Wirklich schade, ich hatte mir viel mehr erhofft. Nachdem ich schon mit der letzten EDGUY weniger anfangen konnte, hatte ich erwartet, dass "The Scarecrow" wieder viel mehr meinem Geschmack entsprechen würde. Dem ist aber leider nicht so, ich würde sogar eher noch sagen, dass vermutlich Befürworter von "Rocket Ride" leichter Zugang zu diesem Album finden werden, als Fans der ersten AVANTASIA-Alben. So lange sie ein wenig Bombast und Theatralik nicht abgeneigt sind, die es aber hier (leider) nur in Maßen gibt. Objektiv sicher ein überdurchschnittliches Album, subjektiv eine Enttäuschung.

Daniel Fischer (Info) (Review 9237x gelesen, veröffentlicht am )

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Wertung: 8 von 15 Punkten [?]
8 Punkte
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Tracklist:
  • Twisted Mind
  • The Scarecrow
  • Shelter From The Rain
  • Carry Me Over
  • What Kind of Love
  • Another Angel Down
  • The Toy Master
  • Devil In The Belfrey
  • Cry Just A Little
  • I Don´t Believe In Your Love
  • Lost In Space

Besetzung:

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