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Steve Hackett: Genesis Revisited II (Review)

Artist:

Steve Hackett

Steve Hackett: Genesis Revisited II
Album:

Genesis Revisited II

Medium: CD
Stil:

Progressive Rock

Label: Inside Out / EMI
Spieldauer: 144:45
Erschienen: 19.10.2012
Website: [Link]

Ein Mammutprojekt:Der ewige ehemalige GENESIS-Gitarrist und einzig würdige Nachlassverwalter beziehungsweise Weiterführer des Grundgedanken der einstigen Prog-Institution geht ein zweites Mal das Wagnis ein, den Nachlass der Gruppe aufzubereiten. STEVE HACKETT lässt sich nicht lumpen und lädt über 30 Gastmusiker ein – als müsste er dem Kenner noch beweisen, welche Hochachtung er genießt, denn wer sich im Studio die Klinke in die Hand gab, stellt nichts weniger als die Elite des Genres dar. Dass dabei nicht schnöde nachgespielt wird, versteht sich von selbst.

Für den Fan ist faktisch nur interessant, wie denn die neuen Versionen des großen Alten klingen, also ist kritisches Dienstleisten angesagt – die Songs im Einzelnen:

„The Chamber Of 32 Doors“ kommt einerseits akustischer (Kontrabass), andererseits aber auch dank der Bläser und Streicher bombastischer daher. Nad Sylvans (UNIFAUN) Stimme verankert das Stück jedoch unweigerlich im Peter-Gabriel-Kosmos, da er den Text des verzweifelt Suchenden in dessen Tonfall vorträgt. Was im Laufe des Doppelalbums ein wenig unangenehm auffällt, zeichnet sich bereits hier ab: zu viele Sänger bleiben der Vorlage zu streng verhaftet, wo Hackett selbst teilweise drastisch an den Arrangements geschraubt hat.

„Supper's Ready“ mit seinem akustischen Vorsatz (entspricht der „Foxtrott“-Fassung mehr oder weniger) ist vermutlich das Konsens-Stück der GENESIS-Frühphase. Besondere Aufmerksamkeit gebührt hier OPETH-Kopf Mikael Åkerfeldt, der „Lover's Heap“ und „How Dare I Be So Beautiful?“ singt, wie er es eben bei seiner Hauptband tut. Dabei wirkt er allerdings weniger wie ein Fremdkörper als Hackett selbst, der die Vaudeville-Passage „Willow Farm“ überkandidelt schrullig eingesungen hat, als wolle er seinen Ex-Sänger übertrumpfen. Im folgenden Zwischenspiel flötet sein Bruder gewohnt anheimelnd bevor das Ensemble passend zur „Apocalypse“ die Härteschraube anzieht. Hier hört man mehr Gitarren als im Original, während Francis Dunnery (IT BITES) den zu perfekten Gabriel gibt.

„The Lamia“ erweist sich als eines der Highlights der Scheibe: Nik Kershaw bewahrt sich als Szene-Außenstehender seine Eigenwilligkeit, während sich Hackett mit MARILLIONs Steven Rothery abklatscht. Die intime Stimmung zerbricht dadurch nicht, wird sogar noch intensiver.

Hacketts Lieblingslied „Dancing With The Moonlit Knight“ ist gleichermaßen für Gitarristen und Drum-Freunde ein Fest, denn der Klampfer beschwört nach zusätzlichem Akustik-Intro im Alleingang eine regelrechte Sinfonie herauf, derweil Schlagzeuger und Session-Ass Jeremy Stacey dem Stück neuen Schmiss verleiht, gerade im flotten Abgang. Dunnery bleibt dagegen wieder blass.

Das kurze wie stampfende „Fly On A Windshield“ spielt Hackett bereits seit Jahren wieder live und geht nahtlos in „Broadway Melody Of 1974“ über, da die beiden Stücke stilistisch ähnlich gelagert sind. Das zweite verzeichnet die härteren Ausschläge und stellt einen fantastisch bissigen Gary O'Toole als Sänger (!) ins Schlaglicht. Mellotron und Riff-Gitarren fallen angesichts dessen eher zweckmäßig aus, obwohl der Genre-Parforceritt zwischen Rock und Klassik innerhalb so kurzer Spielzeit beeindruckt wie eh und je.

Das nächste Heiligtum „The Musical Box“ wird mit Spieluhr eingeläutet und verärgert zunächst mit einem quengelnden Nad Sylvan. Die eigentlich drei Geiger, die den Untertitle des Epos bedingten, sind nunmehr Saxofon, Geige und Flöte mit Distortion-Effekt gewichen. Die harten Ausbrüche wurden zeitgemäß druckvoll inszeniert – bei allem starken Handwerk Geschmackssache.

Möchte man Steven Wilson, der überall „Ich“ ruft, wo er sich profilieren kann, als Sänger von „Can-Utility And The Coastliners“ vorschnell zerreißen, erweist sich Mr. Stachelschweinbaum als Bereicherung für die Rolle des Dänenkönigs Knut. Die üppigen Streicher-Arrangements zerstören die pastorale Atmosphäre nicht, und das chorische Finale ist eine echte Glanzleistung.

Mit „Please Don't Touch“ schließt sich ein Kuriosum aus „Wind & Wuthering“-Zeiten an: Das Instrumental wurde nie als Part von „Wot Gorilla“ (Melodievariation von „Unquiet Slumbers“) verwendet, und angesichts seines ruppigen Charakters ahnt man den Grund dafür. Dick Driver wird seinem Namen gerecht und zupft einen pulsierenden Bass, während John Hackett quirlig Flöte spielt – klasse und mutig umgedeuteter Abgang (am Ende adaptiert man die Wendung einer alten Live-Version) für CD eins.

Das malerische „Blood On The Rooftops“ eröffnet die zweite Scheibe und besticht wieder mit Gary O'Tooles Gänsehaut-Stimme. An diesem Taktschläger ist ein Frontmann verlorengegangen, aber auch das niemals kitschige Arrangement mit Cello, Geige und Saxofon sorgt für einen weiteren Einlauf ins Ziel mit weitem Vorsprung. Man merkt, dass Hackett auch dieses Stück im Laufe der Jahre immer wieder live ausgepackt hat.

„The Return Of The Giant Hogweed“ schwenkt zu Beginn passenderweise zum unverkennbaren Neal Morse am Mikro (leider nur zweckmäßig) zwischen gediegenem Metal und Neo Prog, wozu sich Blumenkönig Roine Stolt als Gitarrist nicht besser eignen könnte. Lee Pomeroy knarzt mit Plektrum-Bass, und die Instrumental-Abfahrt der beiden Sechssaiter übertrumpft den Terror des Originals bei weitem, ohne aus der Art zu schlagen.

Jakko Jakszyk (unter anderem LEVEL 42 und THE TANGENT) hält sich während des sachten „Entangled“ wie der Rest der Musiker recht strikt ans Original, aber das ist ausdrücklich gut so. Amanda Lehmann dickt den Chor als Sängerin an, doch insgesamt klingt das Stück wunderbar alt, als sei „A Trick Of The Tail“ schlicht aufpoliert worden.

In „Eleventh Earl Of Mar“ realisiert Hackett Ideen, die er bei der Entstehung 1976 nicht wahrnehmen konnte: Das ohnehin sehr kräftige Werk gewinnt durch die Vocal-Loops und das kristallklare Gitarrenspiel anders als beim Original an Opulenz. Zu dumm nur, dass Nad Sylvan den Text nicht mit gebührendem Respekt behandelt, aber darüber zu urteilen liegt wohl im Ohr des jeweiligen Hörers.

Auch das hier grenzwertige „Ripples“ ist wegen Lehmanns Stimme zumindest ein Hören mit Neugier wert. Subjektiv betrachtet versprüht ihre Stimme abseits des Refrains weder Schmelz noch Charisma, während die Instrumentalisten schlicht Dienst leisten.

Dass das Doppel aus „Unquiet Slumbers For The Sleepers ...“ und „... In That Quiet Earth“ weit hinten steht, hat mit Hinblick auf seine Spannung einen triftigen Grund. Während des unheimlichen Intros begeistern Roger Kings Synthesizer-Mandolinen, im Hauptteil dagegen der im Vergleich zur Erstfassung aufgeräumte Sound. Das eigentliche Keyboard-Solo wiederum dominiert Hackett selbst, wobei teilweise eine beträchtliche Härte hervorgekehrt wird.

Dass John Wetton „Afterglow“ lakonisch konservativ interpretiert, war beinahe zu erwarten und passt auch gut zu dem unaufgeregten Singer-Songwriter-Prog, der auf diese Weise irgendwie nach den Fab Four aus Manchester klingt.

Mit „A Tower Struck Down“ fügt sich ein rechtes Drama an. Die Gemeinschaftsproduktion mit Mike Rutherford erstrahlt hier im vor allem rhythmisch sehr modernen Licht und verweist auf somit auf die Zeitlosigkeit des Materials. Die Macher haben eine Menge liebevoller Neudetails eingeflochten und brillieren virtuos auf ihren Instrumenten, Stimmsamples und atonale Gitarrenleads kennt man in dieser Form nur von jenen anderen Königen Fripp oder Belew – ein Horrortrip zur Vorbereitung des Finales.

Für „Camino Royale“ hat sich Hackett einen findigen Streich erlaubt und die ungarischen Frickler von DJABE als Backing Band engagiert, während er selbst singt, wie er es jüngst auch live zu tun pflegt. Folglich steht das Stück dem Jazz nahe wie kein zweites auf dieser Zusammenstellung, wobei Trompete und Keyboards nebst Saxofon Bar-Flair versprühen – sollte man unbedingt gehört haben.

Warum „Shadow Of The Hierophant“ zum Schluss? Nicht nur zur Rehabilitierung von Amanda Lehmann im folkloristischen Intro, sondern auch zur Erinnerung an die visionäre Macht von GENESIS, die mit dem bedächtigen Aufbau dieses wie anderer Stücke gleich mehrere Genres vorwegnahmen, allen voran den Post Rock, dessen Protagonisten bestimmt gerne so pompös klängen wie die letzten Minuten dieses sinnvollen Anhangs, der den Hörer mit Klos im Hals zurücklässt.

Weshalb sich Hackett noch einmal zu einer solchen Nabelschau hinreißen ließ, mag an Altersmilde oder Perfektionismus liegen. Dessen ungeachtet hat der Mann nun eine Menge aufregendes Material für eine gleichwohl schwierige Live-Umsetzung in der Hand. Die meisten der Stücke haben eine treffende Wiederaufbereitung erfahren, wenngleich außer den Gitarristen zu wenige der Beteiligten Markantes auf ihren Instrumenten leisten, in erster Linie die meistens prosaisch aufspielenden Bassisten. Im Großen und Ganzen gibt es aber nichts an „Genesis Revisited II“ zu beanstanden.

FAZIT: STEVE HACKETT erweist sich wieder einmal als mit beiden Beinen im Jetzt stehende Legende, die nicht wehmütig auf ihr Frühwerk zurückblickt und noch eine Menge zu sagen haben wird. Ob er nach diesem Berg Arbeit dem Sprichwort „Alle guten Dinge sind drei“ folgen wird? Egal, denn bis darüber entschieden wird, bleibt diese Allstar-Versammlung für Genre-Freunde unverzichtbar.

Andreas Schiffmann (Info) (Review 7793x gelesen, veröffentlicht am )

Unser Wertungssystem:
  • 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
  • 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
  • 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
  • 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
  • 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
  • 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
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Tracklist:
  • The Chamber Of 32 Doors
  • Horizons
  • Supper's Ready
  • The Lamia
  • Dancing With The Moonlit Knigh
  • Fly On A Windshield
  • Broadway Melody Of 1974
  • The Musical Box
  • Can-Utility And The Coastliners
  • Please Don't Touch
  • Blood On The Rooftops
  • The Return Of The Giant Hogweed
  • Entangled
  • Eleventh Earl Of Mar
  • Ripples
  • Unquiet Slumbers For The Sleepers ...
  • ... In That Quiet Earth
  • Afterglow
  • A Tower Struck Down
  • Camino Royale
  • Shadow Of The Hierophant

Besetzung:

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  • keine Interviews
Kommentare
Proggus
gepostet am: 05.11.2012

User-Wertung:
9 Punkte

Sonst so kritisch und hier so milde? Da hat die Grundstimmung dieses Songszyklus den Rezensenten irgendwie angesteckt. Natürlich sind Steve Hackett und Co. die best mögliche Genesis-Coverband. Aber halt auch nicht mehr. Dieses Album ist außer für Vergangenheits-Melancholiker sehr verzichtbar.
Andreas
gepostet am: 05.11.2012

Na, wer trägt denn das Erbe von Genesis weiter? - Die übrigen Musiker bestimmt nicht.
Proggus
gepostet am: 05.11.2012

Schon wahr... aber ich mag's trotzdem lieber, wenn Steve Hackett eigenes neues Material spielt. Ich vermute allerdings, dass ich zum Konzert nächstes Jahr trotzdem hingehen werde (und trotz des grusligen Nad Sylvan) :-)
Froschsuppe
gepostet am: 10.02.2024

User-Wertung:
1 Punkte

Was für ein schlechtes und vor allem überflüssiges Album. Wenn ich Genesis hören will, dann lege ich doch deutlich lieber das Original auf, statt diesem Krachgarten zu lauschen. Insbesondere Nad Sylvan nervt mit seiner Art zu "singen". Immerhin muss man nicht sehen, wie er live über die Bühne stolziert, als hätte er sich gerade an verbotenen Substanzen delektiert.

Es wäre im Übrigen schön, wenn der Autor der Rezension wüsste, dass das Album Foxtrot heißt. Also mit nur einem T am Ende. Aber wozu mit Ahnung glänzen, wenn man eine Meinung hat.
(-1 bedeutet, ich gebe keine Wertung ab)
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