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O Castelo: O Castelo (Review)

Artist:

O Castelo

O Castelo: O Castelo
Album:

O Castelo

Medium: CD/LP/Download
Stil:

Kammermusikalischer Indie-Pop im Kafka-Gewand

Label: Lusitanian
Spieldauer: LP und CD jeweils 34:18
Erschienen: 15.11.2024
Website: [Link]

„Nach mehr als fünfzehn Jahren hörten wir wieder, was wir damals gemacht hatten – und waren überrascht. Vielleicht weil die Lieder ein Genre und einen Sound aufwiesen, der nur schwer zu definieren ist. Es schien, als wäre es im Laufe der Zeit verwässert worden. Darum beschlossen wir, die Lieder neu abzumischen und diesmal nicht zuzulassen, dass „O Castelo“ erneut verblasst, sondern endlich erstrahlt.“ (O CASTELO)

Was kann passieren, wenn man als leidenschaftlicher Musiker und Literaturfreund, der besonders FRANZ KAFKA liebt, dessen unvollendetem Roman „Das Schloss“ verfällt?
Vielleicht etwas so Wunderbares, wie es dieses O CASTELO-Album geworden ist...

Der 1922 entstandene Roman, der, hätte sich Kafkas bester Freund Max Brod an sein Versprechen, welches er Kafka an dessen Sterbebett gegeben hatte, gehalten, nie hätte veröffentlicht werden dürfen, ist genauso mysteriös und geheimnisvoll wie seine Geschichte dahinter, die mit dem Verrat des größten Freundes am Sterbebett seines Vertrauten begann. Hätte es diesen aus moralischer Sicht zweifelhaften, aber aus literarischer Sicht so wichtigen Verrat nicht gegeben, dann wäre der literaturverliebten Menschheit ein Meisterwerk der Weltliteratur entgangen, in dem der Landvermesser K. vergebens um seine Anerkennung im beruflichen wie privaten Bereich gegen die Absichten eines geheimnisvollen Schlosses und dessen Bewohner ankämpft. Schnell aber erfährt der Leser, dass es hier um den Kampf eines Einzelnen gegen die Unerträglichkeit der staatlich vorgegebenen Bürokratie geht, die den Menschen in seiner Lebensweise nicht nur einschränkt, sondern bei Verstößen dagegen auch zu vernichten versucht, während die Betroffenen dazu nur schweigen. So wird vor der schweigenden Mehrheit der um sein Recht Kämpfende zerstört, denn laut Sophie Scholl entsteht „der größte Schaden durch die schweigende Mehrheit, die nur überleben will, sich fügt und alles mitmacht“.


O CASTELO begeben sich mit ihrem außergewöhnlichen selbstbetitelten Album genau auf die Kafka-Spuren, mitten hinein in sein Schloss. Und obwohl dieses Album so ungeheuer modern und von der Thematik her aktueller als je zuvor klingt, so ist es doch bereits über 20 Jahre alt und wäre beinahe in völlige Vergessenheit geraten.
Oder wie es die Band selber unter ihrer Homepage (die wirklich nur sehr schwer zu entdecken ist) feststellt: „'Das Schloss' ist der Anfang. Hier hat wirklich alles angefangen. Pedro Oliveira (Sétima Legião), José Sousa und Luis Aires (Rodrigo Leão) beschlossen 2006, gemeinsam ein Album aufzunehmen. Mit dem Komponieren zu beginnen. Mit dem Aufnehmen. Und so wurde dieses Projekt geboren, in Sousas Haus, das sie 'Das Schloss' nannten, ein Name, der zu einer Referenz wurde.“


Hier trifft also persönliche auf literarische und musikalische Realität, denn hier „entstanden die ersten Akkorde, die ersten Aufnahmen und Treffen, mit José Sousa an der Gitarre, zu der Pedro Oliveira seinen Stil beitrug, und Luís Aires am Bass, der gute kreative Momente beisteuerte. In einer zweiten Phase wurden die musikalischen Arrangements der Themen in einem für Proben/Aufnahmen angepassten Raum in der Bar 'Frágil' durchgeführt.“

Heraus kam dabei eine schwer beeindruckende, oft melancholische wie mitunter etwas pathetische Musik (eben typisch Kafka), welche O CASTELO sogar den musikalischen Spitznamen die 'TINDERSTICKS aus Portugal' einbrachte. Absolut passend. Denn die gesamte Aura und Atmosphäre hinter 'O Castelo' strahlt genau dieses kammermusikalische Indie-Pop-Flair der britischen Mannen um Stuart A. Staples aus.
Aber es gibt noch zwei weitere unüberhörbare Parallelen. Die erste beginnt gleich mit dem Album-Opener „Voz De Inverno“, bei dem man sich in ein Album von EFTERKLANG versetzt fühlt, während die zweite an den unterschiedlichsten Momenten aufblitzt und wie eine Kombination aus dem „Boatman's Call“-NICK CAVE und „The Bible“-LAMBCHOP-Chef Kurt Wagner klingt.


Nun also, 18 Jahre später, erblickt dieses von Kafkas Geist geprägte Album endlich das Licht der (anscheinend) immer düster werdenden Welt, in der die Bürokraten zum „Big Brother Is Watching You“ des orwellschen 1984er-Überwachungsstaat werden, in dem in Deutschland beispielsweise selbst ironisch gemeinte Bemerkungen bei Erwachsenen wie Kindern zu Hausdurchsuchungen führen können. Oh je! Würde ein FRANZ KAFKA noch leben, dann hätte er gerade heute eine Unmenge Stoff für seine Parabeln. Da dürfen wir O CASTELO aus Portugal absolut dankbar sein, dass sie mit diesem fast vergessen geglaubten Album uns musikalisch, literarisch und menschlich zeigen, dass es höchste Zeit dafür ist, mit einem Blick ins „Schloss“ seinen Blick auf die Gegenwart und Zukunft, die hoffentlich nicht von ideologischen wie diktatorischen Schlossherren bestimmt wird, deutlich zu ändern – getreu einem Brecht, der zu Zeiten einer Diktatur feststellte: „Wer kämpft, der kann verlieren. Wer nicht kämpft, der hat schon verloren!“


FAZIT: Was mit dem „Schloss“ von FRANZ KAFKA begann, endet auf zutiefst beeindruckende musikalisch-literarische Weise mit „O Castelo“ der gleichnamigen portugiesischen Band. O CASTELO entdeckten ein Album, das bereits vor 18 Jahren entstand, aber bis heute nie veröffentlicht wurde, wieder und entschieden, dass es endlich allerhöchste Zeit ist, diesem (für alle Freunde kammermusikalischen Indie-Pops im Kafka-Gewand) anno 2024 erneut ein musikalisches wie literarisches Gesicht auf Basis des unvollendeten Kafka-Romans „Das Schloss“ zu verleihen, das eine riesige Ausstrahlung besitzt. Eigentlich ein echtes Meisterwerk – das schon seit fast 20 Jahren als Meisterwerk gelten sollte.

Thoralf Koß - Chefredakteur (Info) (Review 1560x gelesen, veröffentlicht am )

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  • 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
  • 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
  • 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
  • 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
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Wertung: 14 von 15 Punkten [?]
14 Punkte
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Tracklist:
  • Seite A (16:49):
  • Voz De Inverno (4:13)
  • Em Junho (3:49)
  • Novembro (2:33)
  • Parece Setembro (3:07)
  • Parece Agosto (3:07)
  • Seite B (17:19):
  • Parece Outono (4:46)
  • Mesmo Marco (3:07)
  • Parece Marco (4:01)
  • Passa Um Segredo (3:12)
  • Continua... (2:13)

Besetzung:

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