Musikreviews.de bei Facebook Musikreviews.de bei Twitter

Partner

Statistiken

Sonderglück: Ustrine (Review)

Artist:

Sonderglück

Sonderglück: Ustrine
Album:

Ustrine

Medium: CD
Stil:

Deutsch-Pop, Liedermacher, Folk, Indie-Pop

Label: Eigenproduktion
Spieldauer: 69:40
Erschienen: 22.09.2023
Website: [Link]

„Die Ferne macht noch Sinn – Ich will dort bleiben, wo ich nie gewesen bin.“ (Zitat von Rainer Thielmann, wenn man das Digipak zu SONDERGLÜCKs „Ustrine“ öffnet)

Welch seltsamer Name schlägt uns da entgegen?
SONDERGLÜCK?
Mit Glück weiß ja sicher jeder etwas anzufangen...
...Und sicher hofft er auch Tag für Tag darauf – mal mit mehr und mal mit weniger Glück. Und da wir in unseren Musikreviews.de-Reihen sogar einen Redakteur haben, der sich professionell als Biochemiker mit dem Gefühl des Glücks (genauso wie übrigens auch den Orgasmen) auseinandersetzt, diesem sogar anhand des Gehirns und der Hormone in seinem Buch „Chemie der Gefühle“ auf den Grund geht, sind wir ja geradezu musikalische 'Glücksexperten'.
Ein echter 'Sonderglück'-Experte allerdings versteckt sich wohl auf einer Insel in Kroatien...
...Kein Wunder also, dass dieses SONDERGLÜCK-Album uns mit zartem Wellenrauschen und entspanntem Schönklang sowie Gesang auf dem Album-Opener „Zu den andern“ begrüßt: „Die richtige Richtung ist immer woandershin...“


Hier also kommt Rainer Thielmann ins Spiel: Ein deutscher, im Grunde öffentlich viel zu wenig wahrgenommener Liedermacher, der als SONDERGLÜCK (Ja, auf solchen Neologismus in Glücksfragen muss man erstmal kommen!) sich nunmehr schon zwei CDs lang mit Glücks- wie Unglücksfragen und allem Drumherum beschäftigt und dazu nicht nur anspruchsvolle Texte verfasst und diese mit seiner beeindruckenden Stimme sowie vielen professionellen Gastmusikern, die sich bereits bei solchen Bands wie Musikern namens SCHILLER oder UDO LINDENBERG und GREGORIAN ihre Sporen verdient haben, vertont. Auch Rainer Thielmann ist keineswegs musikalisch wie poetisch unbeleckt, sondern arbeitete bereits mit UDO JÜRGENS zusammen.
Doch am besten, wir lauschen hier einmal Thielmanns Beschreibung seines SONDERGLÜCK-Musikprojekts, welche unter seiner Homepage zu entdecken ist: „Ich habe in den letzten Jahren viel für andere Künstler geschrieben. Von Superstar bis Sternschnuppe. SONDERGLÜCK steht für künstlerische Freiheit, das ganz eigene Ding. So authentisch wie möglich, auch mal ambivalent zwischen rau und zart, rockig und sphärisch.“

Und selbst für „Ustrine“, den Titel seines zweiten Albums, mit dem viele auf den ersten Blick sicher kaum etwas anfangen können, gibt es eine klare Deutung. „Ustrine“ ist ein Dorf auf der kroatischen Insel Cres, wo der deutsche Liedermacher den Großteil der 14 Songs seiner CD schrieb, die dann noch um zwei Bonustitel erweitert wurde, welche übrigens mit zu den Highlights der gesamten CD gehören.
Noch dazu enthält die CD ein wunderschön gestaltetes 24 Seiten starkes Booklet mit allen Texten und jeder Menge Naturbilder von der Insel, die der passionierte Fotograf Thielmann wohl allesamt selber geschossen hat. Und eins betont der fotografierende Musiker und Inselbewohner ganz speziell: „Die spektakulären Sonnenuntergänge auf der kroatischen Insel Cres schlichen sich in die Lieder“, weswegen auch der Song „Flieg“, mit einer leichten Tendenz hin zur NDW eines 'Major Tom'-PETER SCHILLING, eine wichtige Bedeutung im Rahmen des Albums einnimmt: „Deine Wirklichkeit war weg, es ist Zeit für neue Zeichen / Sei einfach bereit für die Zeichen der Zeit // Los! Los! Flieg! Komm und breite deine Arme langsam aus!“.


Man kann mit „Ustrine“ tatsächlich davonfliegen. Sich ein wenig vom Alltag und dessen Hektik der Großstadt wie dem Stress des Berufs oder einfach nur des permanent nervenden Alltags befreien. Wir heben (am besten unter Kopfhörern) mit SONDERGLÜCK ab und lassen uns die fast 70 Minuten lang treiben – über die Ohren wie den Geist, denn auch der wird zwingend benötigt, wenn man die Texte voller Poesie in sich aufsaugt, welche sogar aus „Tropfen“ ein ganze Ballade werden lassen können, die so schön ist, wie der glitzernde Morgentau auf einem Grashalm, in dem man sich widerspiegelt.
Oder aber die Erkenntnis, dass man sich in seinem Leben nicht auf's Warten beschränken soll, sondern eben auf's Tun. Das erfordert zwar etwas mehr Mut, die Erfolge aber sind garantiert überdimensional größer, denn „die Ungeduld ist meine Anakonda, sie hat mich im Griff und lässt mich nicht los“. Es sind all diese bildlichen Vergleiche in den Texten, welche beim Hören zusätzlich eigene Bilder im Kopf entstehen lassen.


Ein besonderes Lob – und damit zugleich aussagekräftiges Qualitätsmerkmal für „Ustrine“ – erhält SONDERGLÜCK von einem ganz Großen der Liedermacher-Szene, der schon zu DDR-Zeiten zu begeistern wusste, als er beispielsweise über einen „Käfer auf dem Blatt“ genauso wie über „die Waffe in der Hand“ sang: DIRK ZÖLLNER, der zu dem Song „Alles kommt raus“ feststellt: „Sehr lässig. Das fetzt mir!“
Kein Wunder, dieses Lob. Denn Zöllner liebt besonders auch den Funk – und „Alles kommt raus“ ist samt seines ironischen Textes über offensichtlich zuordenbare 'Betrüger made in Germany' total funkig und frech. Ein Song, den auch DIE ZÖLLNER samt Bläserfraktion kaum besser hinbekommen hätten.


Von nachdenklich bis unterhaltsam und lustig bedient Rainer Thielmann alle textlichen wie musikalischen Facetten guter deutschsprachiger Liedermacherkunst. Seine Texte leben von anschaulichen, metaphorischen Wortspielereien genauso wie von deutlich formulierten bis hin zu mitunter sarkastisch ausgeloteten Sprachexkursionen. Selbst wenn SONDERGLÜCK uns bitterböse darauf hinweist, was uns wohl „Nach dem Paradies“ erwartet, lächelt einen aus dem traurigen Blickwinkel auch immer eine kleine hoffnungsvoll vor sich herkullernde Träne an: „In der Ohnmacht sind wir eins, im Leiden nie allein / Und ist das Herz auch wund, jede Wunde formt die Zeit...“

Außerdem wäre da noch „Chaosianna“, mit dem Thielmann dem Kritiker völlig aus dem Herzen singt: „Wer aufräumt, hat was zu verbergen, wer sauber macht, macht sich doch klein... / Chaosianna, Chaosianna, die gewühlte Geborgenheit / Chaosianna, Chaosianna, hier am freundlichen Ende der Zeit...“
Oh ja, das ewige Wechselspiel der Zeit, die immer wieder in den Texten hinter diesem Album auftaucht und ein wenig nachdenklich die Frage aufwirft: „Wie viel Zeit bleibt eigentlich uns noch?“


STOPPOK oder der die 'Hallo Engel' besingende STEFAN WAGGERSHAUSEN und ein PETER CORNELIUS, der längst schon seine „Segel im Wind“ hisste, aber durchaus auch so ein paar UDO JÜRGENS-Momente kommen einem immer mal wieder in den Sinn. Trotzdem verblüfft „Ustrine“ durch seine ungewöhnliche, sofort wiedererkennbare Einzigartigkeit. Liegt's nun am angenehmen Gesang oder an den sehr anspruchsvollen Texten oder der gekonnten Instrumentierung, die manchmal ein klein wenig auch ins Schlagerhafte abzurutschen droht?
Im Grunde an allem – und genau das macht das zweite SONDERGLÜCK-Album zu so etwas Besonderem. Denn wie kurz vor Albumende besungen, liegt „Dein ganzes Hab und Gut“ darin, dass man sich (auf das Wichtige) reduziert, denn: „Im Kargen wohnt die letzte Reinheit der Ästhetik dieser Welt / Du brauchst keinen aufgemotzten Scheiß mehr, wenn der Groschen fällt“. Ein paar „Kerzen“ und eine „tiefer Zug von der Tüte der neuen Gleichmut“ reichen vollkommen.


Auch produktionstechnisch gibt’s absolut nichts an „Ustrine“ zu meckern – kristallklar in den Höhen, voll bei den Bässen und der Gesang so weit im Vordergrund, dass man jedes Wort der für dieses Album so wichtigen Texte genau verstehen kann.

Melancholisch und nachdenklich geht das Album mit dem Bonus-Song „Die Boten des nahen Sommers“ zu Ende. Doch all die Melancholie des Anfangs würde nicht auch zum Ende des Sechsminüters passen, denn mit einem 'HuHuHuHuuu' wird der Song zu einer flotten Pop-Nummer mit echt radiotauglicher Hookline und man fragt sich, warum man diesen Song nicht mal im Radio hört, während man uns mit all den altbekannten, ewig gleichen Deutsch-Pop-Barden wegen Übersättigung zum Wegzappen zwingt. Bendzko, Oerding, Tawil und wie sie alle heißen, während einem die atemlose Fischer höchstens noch als Klopapier zum traurigen Schlager-Dünnschiss gereicht, dürften sich bei diesem hymnischen Song (aber am besten der Bonustrack-Variante mit den zwei zusätzlichen Sängern) verdammt warm anziehen.


FAZIT: Wusstet ihr, dass die Schneeflocke einzigartig ist oder das Blei des Kummers sich ins Gold der Lieder verwandeln kann? Egal, ob eure Antwort nun Ja! oder Nein! lauten möge – wer Musik mit richtig guten deutschen Texten, die einen in ihrer bildhaften Sprache sofort berühren, mag und noch dazu auf guten Gesang und eine breite stilistische Musikvielfalt von Folk bis Indie-Pop, Liedermacher bis Funk, etwas Bar-Jazz bis etwas Rock und besonders eindringliche Balladen stehen, der hat das Glück, mit SONDERGLÜCK, dem Musik-Projekt von Rainer Thielmann, genau das für sich entdeckt zu haben, wonach man oftmals verzweifelt in dem immer schrecklicher werdenden Formatradio sucht. In „Ustrine“, der Name des Dorfes auf einer kleinen kroatischen Insel, wo die meisten der insgesamt 16 Songs entstanden, geht es ums „Reisen, die Magie des Augenblicks, um Abschied und Wahrheit, die Sterne, das Chaos des Künstlerdaseins und um eine geheimnisvolle Fremde“, wie es Thielmann selber zum Ausdruck bringt. Ein wirklich bewegendes Album, wenn man mal all seine Vorurteile gegenüber deutscher Musik ablegt, die viel zu viele noch immer wie ein Schild vor sich hertragen, weil viel zu oft mit schrecklichen deutschen Texten mitunter gute Musik beschädigt wird – und diese einem auch noch Tag für Tag bis zur völligen Atemlosigkeit um die Ohren gehauen wird. Darum ist SONDERGLÜCK eben ein Glück(sfall) für alle, die noch immer auf der Suche sind – nach ihrer eigenen kleinen Insel im vermüllten Ozean des überflüssigen Streams der Oberflächlichkeit.

Thoralf Koß - Chefredakteur (Info) (Review 2032x gelesen, veröffentlicht am )

Unser Wertungssystem:
  • 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
  • 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
  • 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
  • 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
  • 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
  • 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
[Schliessen]
Wertung: 12 von 15 Punkten [?]
12 Punkte
Kommentar schreiben
Tracklist:
  • Zu den andern
  • Blau
  • Flieg!
  • Tropfen
  • Chaosianna
  • Trag's in die Welt
  • Die Boten des nahen Sommers
  • Alles kommt raus
  • Lass mir ein Licht an
  • Wenn ich drauf warte
  • Die Fremde
  • Nach dem Paradies
  • Dein ganzes Hab und Gut
  • Wie die Sterne
  • Bonus-Tracks:
  • Zusammenhänge (feat. Daniel Splitt)
  • Die Boten des nahen Sommers (Artist Mix feat. Ivonne Dekarski & Robert Gläser)

Besetzung:

Alle Reviews dieser Band:

Interviews:
  • keine Interviews
(-1 bedeutet, ich gebe keine Wertung ab)
Benachrichtige mich per Mail bei weiteren Kommentaren zu diesem Album.
Deine Mailadresse
(optional)

Hinweis: Diese Adresse wird nur für Benachrichtigungen bei neuen Kommentaren zu diesem Album benutzt. Sie wird nicht an Dritte weitergegeben und nicht veröffentlicht. Dieser Service ist jederzeit abbestellbar.

Captcha-Frage Wobei handelt es sich nicht um ein Getränk: Kaffee, Tee, Bier, Schnitzel

Grob persönlich beleidigende Kommentare werden gelöscht!