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Interview mit Rotten Sound (01.02.2008)

Rotten Sound

Brüllwürfel Keijo meldet sich leicht erkältet aus dem Office und ist bezüglich seiner Band ROTTEN SOUND erstaunlich gesprächig; die Überraschung relativiert sich aber mit seiner Anmerkung, er sei Halbschwede - Finnische Zurückhaltung als hartnäckiges Klischee ist also diesmal nicht gegeben, was sich angesichts der diskussionswürdigen Texte der Grinder als günstig erweist, auch wenn der Interviewte nicht ausschließlicher Textschreiber ist. Dass die klassischerweise linksorientierten Lyrics oftmals utopisch erscheinen weiß der Musiker, steht aber trotzdem hinter seinen Botschaften - zum Beispiel der freiwilligen Selbstbeschränkung zum Wohle des Planeten und der Allgemeinheit, wie im Song “We Insist” aufgeführt.

 “Natürlich ist das alles etwas idealistisch, ändert aber nichts daran, dass es im Prinzip richtig erscheint. Wir müssen davon wegkommen, hemmungslos zu konsumieren und an der Auffassung festzuhalten, es gebe so etwas wie stetes Wachstum. Dadurch machen wir unser Umfeld kaputt, und das Idealistische daran ist eigentlich nur, dass man die Leute eben nicht ändern kann. Ich kenne so viele Menschen - die sind happy, wenn sie sich ihren Plasma-Fernseher kaufen können. Das reicht ihnen dann zur Glückseligkeit.”

“Blind” fordert auf harsche Weise, daß man sich eine gewisse Engstirnigkeit aneignen sollte, damit wirRotten Sound wieder einen klaren Verstand bekommen und das Wichtige vom Irrelevanten trennen können. Keijo erwartet dabei Unterstützung vom Bildungssystem.

“In erster Linie sollte man den Kindern Werte vermitteln, die auf eine verantwortungsvolle Lebensweise abzielen.”

Vorbeugen ist also besser als hilflose Verbote oder die Beschränkung der Freiheit im Nachhinein. Letzteres betreibt nach Ansicht von ROTTEN SOUND in “CorpoNation” auch die Europäische Union.

“Es geht aber um Gleichmacherei auf wirtschaftlicher Ebene und nicht so sehr um die Deindividualisierung der Menschen im kulturellen Bereich. Es ist eher der Fall, dass ökonomische Gleichschaltung die Leute dazu zwingt, ihre eigenen Wege aufzugeben und sich geschlossen dem Konsum der gleichen Dinge hinzugeben. So wird man zur willenlosen Marionette, die sich allein auf das Materielle reduzieren lässt.”

Man glaube in der Band nicht an eine rosige Zukunft für die Menschheit. Den Vorwurf, daß ROTTEN SOUND vom Podest eines relativ wohlsituierten Staates mit ausgezeichnetem Bildungssystem aus predigen und mit dem Finger zeigen, entschärft K dahingehend, daß man nur das Beobachtete beschreibe, und zwar “auf globaler Ebene”. Deshalb muss in “Caste System” auch der klassische Dystopie-Roman als Inspiration herhalten.

“Der Text entstand letztes Jahr durch das Buch ´1984´. Ich weiß nicht, wie es in Deutschland ist, aber es gibt doch einen allgemeinen Trend - gerade im Bildungsbereich - daß fundierte Betreuung immer unerschwinglicher wird. Ich habe einen starken Arbeiterklassen-Hintergrund und könnte keine Studiengebühren aufbringen, müsste ich heute mit der Ausbildung beginnen. Ich bin froh, daß ich Ingenieur geworden bin, wie ich es mir immer gewünscht habe. Die Mächtigen versuchen durch diese Verteuerung der Bildung letztlich, ein Zweiklassensystem zu etablieren. Die Armen bleiben unter sich, und die wenigen Reichen rangieren oberhalb der Masse.”

Das sind düstere wie auch altbekannte Realitätsentwürfe. Angesichts der von der Band stets angeprangerten “fake reality”: gibt es eigentlich eine echte Realität?

“Das ist wohl eine gute Frage. Am Ende ist es das, was wir sehen und kritisieren, doch andererseits gibt es wie gesagt viele Leute, die den Kern der Sache im Erstehen von Gütern sehen und ihre Realität dadurch definieren.”

Bleiben wir also dabei, dass Wahrheiten und das Leben an sich Ansichtssachen sind und vom Einzelnen regelrecht produziert werden. Im konventionellen Sinn realistisch Schätzt Keijo hingegen die Situation von ROTTEN SOUND im großen Ganzen ein.

 “Ich ziele gar nicht auf Popularität ab, und eigentlich machen wir nur die Musik, die wir selbst gerne hören und schreiben uns dazu den Ärger vom Leib. Es ist aber so, dass wir vor allem tourneetechnisch noch einiges regeln können; gerade in Nord- wie auch Südamerika hat Grindcore massig Potential, die Fans zu begeistern. Darauf werden wir uns in nächster Zeit konzentrieren, aber im Frühjahr machen wir natürlich auch in Deutschland Station.”

Auf zu weniger ernsten Themen also: funktioniert der musikalisch limitierte Grindcore eigentlich auch in epischerem Format oder gar als Konzeptalbum in der Art eines “Operation Grindcrime”?

“Haha, das ist gut! Ich denke schon, dass man so etwas machen kann, und vielleicht schreiben wir irgendwann einmal ein Album, das nur aus einem 60minütigen Song besteht. Viele Bands nutzen aber auch heute schon Möglichkeiten, die über das konventionelle Genreschema hinausgehen, indem sie Noise- und Industrialsounds gebrauchen. Wir legen uns selbst keinerlei Grenzen auf.”

Rotten SoundDie Musik ist schließlich also doch das Hauptanliegen der Band, wobei sie dem hochwertigen Geballer textlich eben nicht nachstehen möchte.

“Es bringt aber nichts, wenn die Musik scheiße ist und die Texte lesenswert. Ich freue mich allerdings immer, wenn uns jemand auf unsere lyrischen Ergüsse anspricht. Wenn man so Denkprozesse in Bewegung setzt, ist das immerhin etwas.”

Prägt man in der Presse bisweilen den unsinnigen Begriff “Edelgrind”, zielt die letzte Frage auf die ewigen Stimmen, die ROTTEN SOUND als legitime Nachfolger von Nasum sehen.

“Das nervt uns nicht, sondern ehrt eher. Ich glaube aber ganz bestimmt, dass wir eine eigene Handschrift haben - etwas, bei dem man während des Hörens sofort weiß, dass es sich um ROTTEN SOUND handelt.”

Ich würde an dieser Stelle die durchweg apokalyptische Stimmung nennen, die die Finnen auszeichnet und abseits der kleinen Hardlinerszene jedem Extremohr sauber reinlaufen sollte. ROTTEN SOUNDs neue Platte ist eine akustische Bombe und einer der besten Releases in dieser Stilistik seit einigen Monaten - Antesten bitte!

Andreas Schiffmann (Info)
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