Musikreviews.de bei Facebook Musikreviews.de bei Twitter

Partner

Statistiken

Interview mit Il Giardino Onirico (01.12.2012)

Il Giardino Onirico

Dass die Musik seiner Band nicht alltäglich anmutet, bestätigt Emanuele Telli im Interview mit spleenigen Andeutungen; der sympathische Italiener bezeugt aber davon abgesehen eine fast unmäßige Liebe zur Kunst, von der sich das Gros der Musikszene mehr als nur ein paar Scheiben abschneiden könnte.

Erklärt bitte das Konzept eurer Debüt-EP „Complesso K“. Geht es darin um die titelgebenden K-Komplexe aus der Elektro-Enzephalografie?

Na ja, es handelt sich nicht um ein geschlossenes Konzept, sondern allgemein eine introspektive Reise in unsere Hirne. Im Bereich der Theta-Wellen, also ungefähr zwischen drei und sieben Kilohertz in der zweiten Schlafphase des Menschen entstehen bestimmte Wellenbilder, die K-Komplexe heißen. Wer mithilfe von binauralen Beats meditiert, macht sich die stimulierende Wirkung von Theta-Wellen auf die Kreativität zunutze und erlangt so ein tieferes Bewusstsein von sich selbst, der zerbrechlichen Beschaffenheit des Menschen. Menschen mit großen Träumen versuchen stets, das Beste aus ihren Möglichkeiten zu schöpfen, was gerade heutzutage sehr schwierig ist.

Wie führt ihr diesen Gedanken auf dem Album weiter?

"Perigeo" stellt den umfassendsten Ausdruck unserer Existenz und Erfahrungen dar. Wir haben uns durch diese Songs völlig verausgabt, alle Freude und Pein hineingesteckt. Jede einzelne gespielte Note steht mit unseren Leben in Verbindung, die jeweiligen Abschnitte und selbst gesonderte Phrasierungen spiegeln Situationen wider, die wir durchgemacht haben, also bedeutet "Perigeo" kurzum Leben - ob meines, deines oder jenes von einem beliebigen Menschen, der tagtäglich mit einem Lächeln aufstehen muss, obwohl ihn nur Elend umgibt, beziehungsweise um die Flüchtigkeit und Kostbarkeit der Freude weint. Andererseits ist er außerstande, auf schlichteste Begebenheiten mit irgendeiner Emotion zu reagieren. In der Moderne bekommt man kaum noch Herzflattern, wenn man einen Sonnenaufgang oder den Mond in Erdnähe bezeugt, einfach nur eine Landschaft betrachtet, Frühlingsluft schnuppert oder in den Sternenhimmel schaut. Wir haben uns deshalb bewusst den damit verbundenen Gefühlen gewidmet und versucht, sie in Musik zu übertragen.

Was macht den Schlaf in diesem Zusammenhang so interessant für euch?

Im Traum denkt man befreit und sieht die Welt so, wie man sie sich wünscht. Rationales und Irrationales verschwimmen, woraus sich für jeden Menschen eine persönliche Essenz ergibt: Man kann perverse, primitive Gelüste, eben seine dunkle Seite ausleben, und ansonsten unerreichbare Höhepunkte erleben, ohne durch die eigenen Grenzen zurückgehalten zu werden. Schlaf ermöglicht die ultimative Verwirklichung der Geisteswelt.

Beizeiten klingt ihr sehr heavy; bezieht ihr Einflüsse aus dem Metal?

Jedes Bandmitglied kommt von einer stilistisch ganz anderen Baustelle, aber wen wir zusammen schreiben, denken wir nicht über Genres nach, sondern stellen zur Debatte, was uns spontan und natürlich einfällt.

Ihr habt „Perigeo“ schon einmal nachpressen müssen; verkauft es sich so gut?

Na ja, die Erstauflage war 1000 Einheiten stark, und wir wussten nicht, wie viele wir davon absetzen konnten. Hierzulande fristet der junge Progressive-Musiker ein Dasein im langen Schatten der Größen aus den Siebzigern, also hat ein Generationenwechsel praktisch nie stattgefunden, weshalb wir nicht damit rechneten, dass uns überhaupt jemand wahrnimmt, geschweige denn ernst nimmt. Die Scheiben gingen aber überraschenderweise im Nu weg.

Wie du es gerade angesprochen hast, blickt Italien auf eine lange Prog-Tradition zurück, obschon im Ausland nur Insider dies wahrnehmen. Wo sollte der Unbedarfte beginnen?

Italien hat eine Vielzahl von Bands hervorgebracht, die heute sogar populärer sind als seinerzeit. Meine Meinung ist natürlich subjektiv, aber kennen muss man wohl Balletto Di Bronzo und "YS", das Debpt von Biglietto Per L’Inferno, Le Ormes "Felona And Sorona", Banco Del Mutuo Soccorsos "Darwin" und Jacula mit "In Cauda Semper Stat Venenum", obwohl diese Platte weniger typischen Prog darstellt als eine der obskursten Platten aus unseren Gefilden ist.

Ihr habt ein eigenes Studio und scheint generell alles selbst zu erledigen, was an Arbeit für eine Band anfällt. Könnt ihr euch vorstellen, einen Teil dieser Verantwortung an ein Label zu übertragen?

Momentan fühlen wir uns dadurch in keiner Weise eingeschränkt und sind zufrieden. Möglich wird eine solche Arbeitsweise dadurch, dass jeder von uns etwas von den jeweiligen Bereichen versteht, seien es technische Aspekte des Musikmachens wie das Abmischen oder Grafikdesign, also teilen wir uns die Aufgaben. In puncto Budget und Überschaubarkeit der Aufnahmen wären eine Plattenfirma beziehungsweise ein außenstehender Produzent natürlich Hilfen, aber wir legen Wert darauf, ohne Abstriche über unsere Musik zu bestimmen. Was die Zukunft bringt, weiß man andererseits nicht ...

Italienische Prog-Bands hatten es teilweise auch schwer, weil sie sich sprachlich nicht öffneten. Auch ihr erschwert dem Interessenten den Zugang, indem ihr selbst eure Internetpräsenz ohne Englisch aufgezogen habt.

Wir sind Italiener und lieben unsere Sprache. Kompromisse mögen wir nicht, vor allem wenn sie nur von unserer Seite aus eingegangen werden sollen. Was wir tun, geschieht allein aus Leidenschaft und zur Katharsis. Sicher, bei einem Angebot über 100.000 Euro würde ich auch Chinesisch lernen, haha ... Nein, ernsthaft: Wir geloben Besserung.

Was möchtet ihr mit dem Namen IL GIARDINO ONIRICO ausdrücken?

Er beschreibt einen Ort, an dem Wirklichkeit und das Unerklärliche verschmelzen, wo man den Grat zwischen Wahnsinn und Vernunft, An- und Entspannung, Qual und Orgasmus beschreiten kann. Die Pflanzen dort bestehen aus Knochen, strömen Äther, Cadaverin und Putrescin aus, werden mit Tränen des Glücks und Drangsals bewässert und wachsen in einen Himmel empor, den Seufzen und Flüstern durchdringen. Wunderlichkeiten sind allgegenwärtig, und verzückende Träume können sich in entsetzliche Alpträume verwandeln. In diesem fabelhaften, alkalischen Tal legen wir uns nieder und weiden uns an den Gerüchen ... Es ist einfach klasse dort.

Warum habt ihr dem Gesang gänzlich abgeschworen?

Aus zwei einfachen Gründen: Zuerst wird Musik rein instrumental persönlicher, eher auf den Augenblick und jeweiligen Status, die Befindlichkeit des Spielers bezogen. Ich finde, man kann sich ohne Ablenkung leichter fallenlassen, und zweitens ist uns bislang kein Sänger untergekommen, der mit uns durch den Garten streifen und dessen ganze Komplexität mit seiner Stimme wiedergeben kann. Es ist nicht gerade leicht, sich gänzlich preiszugeben, dem Unwägbaren gegenüber die eigene Unvollkommenheit und Bedeutungslosigkeit zu gestehen.

Marco Marini schreibt Gedichte und malt für euch. Wirkt sich das auch auf eure Konzerte aus?

Bisher hatten wir noch keine Gelegenheit, mit Marco aufzutreten, aber wenn es geschieht, wird es definitiv ein unvergessliches Erlebnis. Sowieso sind wir noch nicht oft auf die Bühne gestiegen, weil die Studioarbeit eine Menge Zeit veranschlagt. Außerdem sind wir ständig darauf bedacht, auf allen Ebenen besser zu werden, gleichzeitig da wir keinen Druck verspüren, irgendwelche Erwartungen erfüllen zu müssen.

Wie gestalten sich eure nächsten Schritte?

Im Augenblick arrangieren wir neue Songs und spielen sie ein. Das kommende Album wir "Perigeo" weiterführen und einige neue Seiten von uns zeigen. Wir haben zum Beispiel einen 36-köpfigen Chor eingespannt und werden auf eine Sopranistin zurückgreifen. Nebenbei feilen wir an einem klareren Sound, indem wir unsere Instrumente generalüberholen und an Aufnahme-Equipment aufstocken. Drittens proben wir für eine Musiktheater-Vorstellung im Dezember, bei der wir mit Tänzern, Schauspielern und einem Chor auftreten werden. Hoffentlich fallen die Resonanzen darauf positiv aus, damit wir es in Zukunft wiederholen können.

Viel Glück dabei - ich bedanke mich.

Ganz meinerseits, das war ein Klasse Interview. Liebe Grüße auch vom Rest von IL GIARDINO ONIRICO!

Andreas Schiffmann (Info)
Alle Reviews dieser Band: