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Interview mit Gorgosaur (03.12.2016)

Gorgosaur

In den späten Neunzigern habe ich das Interesse am schwedischen Death Metal verloren und ein Death Metal Maniac war ich ohnehin nie. Doch trotz meiner skeptischen Haltung gegenüber "Revivals" im Metal muss ich zugeben, dass 2016 bislang ein überraschend starkes Jahr für den Svensk döds metal ist: Neben den vereinnahmenden neuen Alben von Vanhelgd und Throne of Heresy hat mich vor allem das aus Malmö stammende Duo GORGOSAUR im Frühjahr mit seinem rotzigen Debutalbum beeindruckt. "Lurking Among Corpses" erinnert an die Zeiten, als Nuclear-Blast-Kataloge noch kopiert waren und vor unappetitlichem Splatter-Vokabular nur so trieften. Weit entfernt von jeglicher Avant-Garde, klingen die Aufnahmen von GORGOSAUR bemerkenswert hart und frisch, daher entschloss ich mich zu einem kleinen Interview, das nicht nur die Band ins Visier nimmt. Mit Åsa Hagström (Gitarre, Bass, Klavier & Gesang) stand quasi die bessere Hälfte (an der Seite von Martin Schönherr, Schlagzeug & Gesang) Rede und Antwort.


Hi Åsa, ich hoffe, Du bist kurz nach dem ersten Konzert von GORGOSAUR in der Stimmung für ein Interview?! Freust Du Dich immer noch, dass dieses Biest nun die Bühne erklommen hat, oder bist Du eher froh, dass der Gig nun Geschichte ist?


Hey Thor! Die Gefühlswelt nach dem Gig hat was von beidem. GORGOSAUR ist nicht angetreten, um häufig live zu spielen, und im Hinblick auf das, was wir im Augenblick beide so vor uns haben, werden wir wahrscheinlich bis auf Weiteres nicht mehr auftreten. Doch es war ein schöner Gig, und ich hatte da ohnehin ein gutes Gefühl bei, denn er fand in unserer Heimatstadt Malmö statt, noch dazu im neuen Club Abraxas, der Metal unterstützt, und wir hatten mit Bastard Grave ein ziemliches Biest mit am Start.


Ich konnte die Zweifel anderer Schreiber fast riechen, als ich mir einige Reviews zu „Lurking Among Corpses“ durchgelesen habe, und ich kann mir gut vorstellen, dass sie vor höheren Wertungen zurückschreckten, da Ihr ja bis auf die Knochen alte Schule liefert. Bei vielen Kritikern ist solch Leichen-schreddernder Traditionalismus nicht so angesagt. Umso mehr möchte ich betonen, dass Euer Debut angenehm frisch und fetzig klingt, und ordentlich Arsch tritt. Ich fühle mich beim Hören glatt an die Mittneunziger erinnert, als ich recht oft eine befreundete Death-Metal-Horde im nahen Proberaum besuchte… Wolltet Ihr solche Reaktionen provozieren?


Uns liegt nichts daran, etwas zu provozieren. Ich habe das Gefühl, dass Menschen dazu neigen, sich zeitweilig in Regeln zu verlieren, wie gewisse Dinge "zu sein haben". Im Augenblick will zum Beispiel jeder den neuesten Flatscreen-Fernseher haben, doch was will jemand damit, der nur alte grobkörnige Schwarzweiß-Filme gucken möchte? Der Fortschritt ist nicht an Studios vorbeigegangen, daher liegt es in der Natur der Sache, dass ein professionelles Studio auf der Höhe der Zeit sein wird, um den "besten" Sound herzustellen. Doch wenn es eben darum geht, dass die Musik rau und ungehobelt klingen soll, welchen Sinn würde es dann machen, sie Stück für Stück perfekt aufzunehmen, um dann herum zu schneiden und zu kopieren, bis die ganze Chose schlussendlich dreckig klingt? Warum sollte man sie nicht von Beginn an dreckig aufnehmen und diesen ganzen überflüssigen Kram beiseitelassen? Wie ein Kumpel in meiner vorigen Band zu sagen pflegte: Man sollte keine Perlen vor die Säue werfen.


Ihr habt das Album an nur einem Wochenende mit Thomas Skogsberg im Sunlight aufgenommen. Ging damit ein Kindheitstraum in Erfüllung? Warst Du aufgrund des "legendären" Rufs des Studios und seines Tontechnikers nervös?


Ich denke, dass es für Martin ein lang gehegter Traum war, während ich gar nicht so weit gedacht hatte. Mir war wesentlich mulmiger zumute, weil wir mit unserer alten Karre durch das finstere verschneite Schweden gondeln mussten. Doch wir kamen unversehrt hin und zurück. Tomas ist ein lockerer Typ, mit dem gut zu arbeiten ist, daher waren alle meine Selbstzweifel, die ich im Vorfeld gehegt hatte, mit einem Mal weg, als wir ins Gespräch kamen.


Ich habe vor Kurzem die Biographie von Amorphis gelesen, die u.a. einige Erinnerungen an die Aufnahmen im Sunlight und das damalige Chaos enthält. Der Mangel an Professionalität musste mit Spontaneität und Kreativität ausgeglichen werden. Wie sieht das heute aus?


Von Chaos kann wirklich keine Rede sein. Wenn ich deine Frage richtig verstehe, dann möchte ich jedem, der ein supermodernes Studio mit neumodischer Ausstattung erwartet, dringend raten, sich anderweitig umzuschauen. Wir wollten einen rauen analogen Klang und daher genoss Tomas von Anfang an unser Vertrauen. Er geht die Dinge auf seine Weise an, und wenn man sich seine Vita vor Augen führt, dann gibt ihm der Erfolg Recht – wer wären wir also, um seine Arbeit in Frage zu stellen? Wir waren allerdings neugierig, welchen Klang er aus GORGOSAUR hervorlocken würde. Wir wussten, dass wir nur dieses eine Wochenende hatten, daher lag unser Fokus darauf, alles gut unter einen Hut zu kriegen. Das Sunlight befindet sich in einem alten Schuppen draußen auf dem Land vor Norrtälje, und der Schnee lag einen Meter hoch, zudem waren die Straßen von Eis bedeckt, daher wurden wir nicht abgelenkt. Um genau zu sein, war es sogar ziemlich gemütlich. In seinem Studio sind die ganzen CDs, die er produziert hat, ausgestellt, und in der kleinen alten Hütte, in der wir schliefen, lagen Stapel alter Fanzines, in denen wir schmökerten. Das war sehr inspirierend!


Wie entspannt oder ernsthaft arbeitet Ihr mit GORGOSAUR und braucht Ihr eine bestimmte Atmosphäre, um neue Songs zu basteln?


Das hängt davon ab, wie du "ernsthaft" definierst. Wir sind ernst, aber nicht im Sinne von "ernst wie eine Motorrad-Gang". Was die Stimmung anbelangt, so ist es von Vorteil, wenn wir nicht gerade hungrig und schlecht drauf sind.


Welche Gorgosongs sind Deine Liebsten?


Für mich sind es "Burial Of Rats" und "Lurking Among Corpses", die beide mit wichtigen Ereignissen in meinem Leben zusammenhängen…


Heute stehen Bands zahlreiche Wege offen, um ihre Musik online zu präsentieren. Einerseits muss man nicht mehr viel Geld investieren, um Promo Tapes zu verschicken, und andererseits gibt es nicht mehr sonderlich viele gedruckte Fanzines, die ein gewisses Underground Feeling verströmen. Macht Ihr das Beste daraus und gibt es bestimmte Fanzines, die Du wegen ihrer eigenen Herangehensweise unterstützt?


Wenn mein Leben einzig und allein daraus bestünde, in einer Band zu sein und Musik zu spielen, dann würde ich wohl das Beste daraus machen, doch ich habe jede Menge andere Dinge um die Ohren, darunter zum Beispiel meine tägliche Arbeit, die mir sogar Freude bereitet. Um GORGOSAUR am Leben und interessant zu halten, kann ich dafür nicht Energie verschwenden, um eine größere Öffentlichkeit zu erreichen. Martin muss sich ebenfalls um eine Menge anderen Kram kümmern, u.a. um seine Band Razor Rape und sein Label Goregeous Productions. Ich hätte gerne mehr Ahnung von gedruckten Fanzines, doch die beiden ersten, die mir einfallen und die ich gerne lese, sind das "Trifixion", das von unserem Freund Jocke (von Birdflesh und Skogen) betrieben wird, sowie "Compilation of Death".


Du zeichnest immer mal wieder, und manchmal sogar täglich Totenschädel. Was treibt Dich dabei an, und würdest Du mal ein Cover für GORGOSAUR illustrieren – oder für Aura Noir (Åsas Lieblingsband), wenn sie Dich fragen würden?


Bis ich 25, 26 Jahre alt war, hegte ich etliche Wünsche, doch nie traute ich mich, sie umzusetzen, denn ich fürchtete, schlichtweg scheiße zu sein. Mit einem Mal traf es mich wie ein Schlag – ja, und was wäre nun, selbst wenn ich nichts Gutes hinbekäme? Nicht das Endergebnis ist wichtig – sondern der Prozess. Dann wurde ich von einem Professor, mit dem ich damals an der Universität arbeitete, fallengelassen, und war einen Monat lang arbeitslos und wütend. Ich wollte jedoch verhindern, dass der Ärger mich auffraß, und so fasste ich den Plan, jeden Tag einen Totenschädel zu zeichnen. Anfangs sahen sie ärmlich aus, doch immerhin blieb ich nicht untätig, und mir wurde bald klar, dass ich, obwohl mir anfangs nichts gelang, ich dennoch mit jedem Versuch besser wurde. Das mag sich für viele Menschen selbstverständlich anhören, doch für jemanden wie mich, die sich vorher von so vielem ferngehalten hatte, weil ich mir noch nicht mal Versuche zutraute, war diese Erkenntnis eine Offenbarung. Heutzutage zeichne ich einfach, wenn mir danach ist. Und in der Tat habe ich das Cover für unser Demo gemalt. Was Aura Noir angeht, so glaube ich kaum, dass sie mich fragen würden. Sie sind der Mount Everest, ich bin Mariana Trench.


Du machst zu alledem regelmäßig Photos, vor allem auf Konzerten und Festivals. Einerseits nimmst Du somit die Menschen genauer ins Visier, andererseits hältst Du einen gewissen Abstand hinter Deiner Kamera. Welche Perspektiven faszinieren Dich derart, dass Du sie präsentierst, obwohl es heute bereits viele – recht professionell ausgestattete – Photographen im Underground gibt?


Du erwischt mich mit dieser Frage in einer Phase, in der ich von Konzert-Photographie ziemlich die Nase voll habe. Die visuelle Seite des Metal hat mich ursprünglich dazu angetrieben: Wenn ich ein für mich interessantes Photo sehe, dann verbinde ich damit ein Gefühl, und als ich mit dem Photographieren begann, wollte ich schauen, ob ich selbst dieses Gefühl einfangen kann. Leider haben viele Photographen ganz andere Beweggründe, und mein Interesse habe ich vor allem wegen dem Wettbewerb verloren, an dem ich nicht teilnehmen möchte. Ich versuche daher aktuell, mich davon fernzuhalten und den Antrieb, Photos zu meinen eigenen Konditionen zu machen, wiederzufinden.


Medien von rechts außen haben Schweden in den letzten Jahren als Opfer einer zu liberalen Politik im Hinblick auf die Herausforderungen der Flüchtlinge portraitiert. Dabei war immer wieder von so genannten No-Go-Areas, von stark gestiegenen Zahlen von Vergewaltigungen und anderer sexueller Gewalt die Rede. Mir ist gleichzeitig aufgefallen, wie bei einigen Menschen im schwedischen Metal Underground apokalyptische Stimmungen und deutliche patriotische bis nationalistische Äußerungen zunehmen. Wie nimmst Du das wahr und glaubst Du, dass der Death Metal seine eher unpolitische Haltung wahren kann?


Mich erschrickt es, dass die extreme Rechte an Macht gewinnt, indem sie von der Angst der Menschen in einer unsicheren Welt profitiert. Gleichzeitig bin ich vorsichtig, wenn ich unkritische Stimmen der Opposition höre, die nicht wahrnimmt, wie gefährdet und fragil einige der Errungenschaften sind, für die wir lange gestritten haben, wie z.B. die Rechte der Frauen. Wenn es amerikanischer Kultur gelingt, unsere ehemals semi-sozialistische Gesellschaft so zu beeinflussen, dass diese in einem liberalistischen Wirbelstrom verschwindet, wer sagt dann, dass nicht auch andere Kulturen, in denen Frauen keine Rechte haben, nicht auch ähnliches gelingt? Keine Ethnie ist so angelegt, dass sie mehr vergewaltigt, oder krimineller wird als eine andere. Doch eine Kultur, eine Subkultur, eine Nachbarschaft und sogar eine Familie können ein Umfeld bereitstellen, die ein solches Handeln moralisch legitimieren. Wir brauchen eine Gesellschaft, die klar Stellung bezieht, dass das nicht akzeptabel ist, und zwar unabhängig davon, ob nun angeblich Gott oder deine Schulfreunde so etwas legitimieren.

Davon abgesehen, sehe ich in globaler Hinsicht in der Überbevölkerung ein echtes Problem. Es gibt immer irgendwelche Schlauberger, die nicht müde werden, uns zu erzählen, dass seit ehedem vor Überbevölkerung gewarnt wird – als ob dadurch bereits das Problem gelöst wäre. Doch seitdem Thomas Malthus das Thema im 18. Jahrhundert auf den Tisch gebracht hat, haben wir immer größere Kriege sich über die Welt ausbreiten sehen. Immer mehr Länder sind davon betroffen und die Natur wird überall ausgebeutet, während sich Krankheitserreger immer schneller verbreiten, und so weiter. Mich fasziniert es, dass Menschen in der westlichen Welt eben noch das Thema Überbevölkerung ignorieren, und sich gleich darauf mit den Nachwirkungen von Naturkatastrophen, Flüchtlingsbewegungen u.ä. beschäftigen. Ich warte nur darauf, dass uns eine neue Beulenpest übermannen wird, während wir immer noch damit beschäftigt sind, anderen zu erklären, was richtig oder falsch, was gut oder böse ist. Wenn wir eine Gesellschaft wollen, in der viele Menschen die begrenzten Kapazitäten dieser Erde miteinander teilen, dann brauchen wir dafür Regeln, Verantwortungen und Konsequenzen. Wenn wir jedoch weniger Regeln wollen, dann müssen wir weniger werden – oder akzeptieren, dass auch wir Tiere sind, und dass Tiere, wenn Populationen zu groß werden, Verteilungskämpfe, Krankheiten und die Ausbeutung anderer Arten folgen werden. Ich schlage mich auf keine politische Seite, doch ich habe keinen Respekt für Ideologien, bei denen der Markt im Zentrum steht. Wahrscheinlich teile ich mit einer Reihe von Denkern einige ihrer Ideen, darunter Plato, Marx, Nietzsche und Wollstonecraft. Wir benötigen eine Politik, die auf Fakten und Erfahrungen gründet (anstelle von Gefühlen oder Glauben) und die regelmäßig überprüft wird.

Wir haben soeben zur Kenntnis genommen, dass Bob Dylan überraschend den Literatur-Nobelpreis gewonnen hat. Wenn es jemals einen Preis für den besten Songtitel geben wird, dann schlage ich "Death Is Psychosomatic" vor. Verzeihung, doch das würde ja, gerade im Hinblick auf die fieberhafte Ausbreitung psychischer Erkrankungen, bedeuten, dass wir eines Tages sterben müssen?! Was wäre denn dann bloß der Sinn des Lebens?


"Death Is Psychosomatic" ist ein Zitat von Charles Manson, daher kann ich mir nicht das Urheberrecht aneignen. Er sagte auch: "Weißt du, vor langer Zeit war Verrücktheit noch von Bedeutung. Heute hingegen ist jeder verrückt." Ich denke, das trifft immer noch zu. Da wir alle aus biologischen Zellen bestehen, die nur eine begrenze Anzahl von Zyklen durchlaufen können, werden wir sterben und es gibt keinen Sinn dahinter zu erkennen, zumindest nicht aus unserer kleinen dreidimensionalen Perspektive im Universum. Doch wir können etwas aus alledem machen. Die Evolution hat uns mit Sinnen, Gefühlen und Fähigkeiten ausgestattet – es liegt an uns, sie unseren Vorstellungen entsprechend zu nutzen.


Dank Dir für Deine Zeit und achtet auf die Meteoriten!


Dank Dir. Auf Wiedersehen!

Thor Joakimsson (Info)