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Interview mit King Bathmat (04.06.2012)

King Bathmat

Angesichts der Hartnäckigkeit, mit der John Bassett seit Jahren nahezu unbemerkt im weiten Prog-Rock-Feld grast und dabei interessante, aussagekräftige Musik komponiert, war es höchste Zeit, ihn an die Strippe zu bekommen. Im Frage-Antwort-Spiel erweist sich der Brite als schrulliger Charakter und äußert Ansichten, die nachdenklich machen.

 Wahrheit ist ein strittiges Konzept, vor allem in einer Zeit, da die Menschen dichter zusammenrücken und in vielen mehr oder weniger realen Welten zugleich existieren. Glaubt ihr an eine verbindliche Einzelwahrheit?

Jeder Mensch besitzt seine eigene Glaubensvorstellung und verfügt über verschiedene Bewusstseinsebenen. Als Kinder erschließen wir uns die Welt voller Staunen und halten die alltägliche Naturerscheinungen für Wunder. Ich weiß noch, wie mich grüne Blätter fasziniert haben, wenn ich als Kind selbstzufrieden im Garten saß. Stundenlang konnte ich Regenwürmern beim Graben zusehen, las Ahornsamen auf und lies sie wie Hubschrauber zu Boden flattern, aber diese Fähigkeit, sich über alle Maßen an so schlichten Dingen zu erfreuen, geht zusehends verloren. Einflüsse von außerhalb beziehungsweise unsere Reaktionen darauf, wenn wir ihnen ausgesetzt werden, spielen dabei eine Rolle. Die Wahrheit ist jedoch weder eine Ideologie noch ein Gesetz oder starres Prinzip, sondern mithilfe empirischer Daten ergründbar, die man aus Beobachtungen gewinnen kann. Wer Ereignisse bezeugt und anderen mitteilt, ist verpflichtet, sie wertneutral darzustellen. Beobachte ich einen extrem fettleibigen Mann, der eine FamilienschachtelVanille-Doppelkekse verputzt und in eine Heizdecke gewickelt ist, sage ich hinterher, ich hätte eben einen korpulenten Menschen mit ungewöhnlicher Kleidung beim Naschen gesehen, so ich von diesem großen Fressen erzählen möchte. Erdichtete Zusätze oder Übertreibungen, um den Sachverhalt spektakulärer zu machen, gehören nicht in einen solchen Bericht, von einer persönlichen Wertung ganz zu schweigen. Um Arthur Conan Doyle zu zitieren: „Es ist ein schwerer Fehler, Theorien aufzustellen, bevor man Tatsachen hat. Dann fängt man unmerklich an, die Tatsachen zu verdrehen, bis sie zu den Theorien passen,statt die Theorien den Tatsachen anzupassen.“ (aus Sherlock Holmes: Eine Studie in Scharlachrot – AS) Solange wir nicht auf klare Fakten aus erster Hand zurückgreifen können, kommt beim Weiterverarbeiten dessen, was verfügbar ist, nichts als Unsinn heraus. In den Mainstream-Nachrichten wimmelt es vor Unwahrheiten und Meinungsmache. Falls die nationalen Medien jenen über Gebühr naschenden Herrn zum Gegenstand der nationalen Medien machten, geschähe dies im Zusammenhang mit der politischen Tagesordnung, zum Beispiel einem Plan der Regierung, Süßwaren höher zu besteuern, angeblich um Herzleiden und Verfettung vorzubeugen. Die Darstellung wäre demzufolge überzeichnet, um dieses Vorhaben zu untermauern, bei dem es sich in Wirklichkeit um geheuchelte Fürsorge von Seiten der Obrigkeit handelt, kaltes Kalkül unter dem Vorwand der Wohltätigkeit, um noch mehr Geld aus dem Volk zu pressen. Wäre es im Zuge der technologischen Möglichkeiten, die uns der Alltag bereitstellt, nicht möglich, solche Verzerrung und bewusste Schwerpunktverschiebung einzudämmen? Wir bräuchten einen „Truth Button“, einen Wahrheitsknopf, -Schalter oder-Mechanismus zum Ausblenden von Lug, Trug und Schwindel. Allerdings: Besäßen wir so ein Fabelwerkzeug, hätten wir zu große Angst davor, es zu gebrauchen. Übrigens kenne ich mich in Sachen Vanille-Gebäck kaum aus, weil ich Vollkorn-Schokoladenkekse lieber mag als dieses abgeschmackt gelbe Zeug. Traue niemandem über den Weg, der es isst.

Die Spreu im medialen Bereich vom Weizen zu trennen ist eine Sache, aber bezieht ihr euch mit „Truth Button“ auch auf die gegenwärtige Situation im Musikgeschäft?

Zwischen den Ausdrücken Musik und Geschäft sowie ihrer Bedeutung bestehen unangenehme Wechselwirkungen. Vergleiche es mit Abführmitteln und Schlaftabletten: Beides zusammen eingenommen führt zu unkontrolliertem Durchfall. Je stärker das Business auf die Kunst einwirkt, desto mehr Schaden sie davon. Es gibt nach wie vor zu viele Pappenheimer, die ihre Kühe bis auf den letzten Tropfen melken wollen, statt sich auf ihre Erzeugnisse zu konzentrieren. Wirtschaftsdenken bedingt Marketing-Strategien, die sich in extrem limitierten Sammlereditionen mit 42 Seiten starken, aber letztlich unerheblichen Hochglanz-Booklets voller launiger Fotos von Tierbabys in Steampunk-Ästhetik äußern, bei denen jedem Gothic-Szenegänger die Tränen kommen. Dieser ganze Stuss führt in eine Sackgasse. Wer das Glück hat, mit seiner Musik über die Runden zu kommen, darf dies gern weiter tun, solange er Qualität abliefert. Leider scheint sich das Gros dieser Leute lieber einen Namen machen zu wollen, indem es seine Fans ausbeutet. Das ursprüngliche Anliegen, sich kreativ auszuleben, gerät gegenüber dem Raffen ins Hintertreffen.

Schiebt man den teleologischen Gedanken eines zweckgerichteten, mit Sinn erfüllten Daseins zur Seite, ist es doch völlig in Ordnung, seine Zeit mit Nichtigkeiten zu verschwenden, uninformiert zu bleiben und sich dem Hedonismus zu verschreiben, oder?

Es gibt eine spirituelle Richtung, eine von der Natur vorgeschriebene und natürlich One Direction, das ekelhafte Erzeugnis einer Casting-Sendung, fünf unförmige Schädel mit pummeligen Hackfressen, die unsäglichen Lärm absondern. Religion beeinflusst den Weg, den unser Geist einschlägt, und stellen wir diesen Aspekt in Abrede, neigen wir dazu, Ethik beziehungsweise Moral zu hinterfragen. Dass wir uns der Natur beugen müssen, steht hingegen zweifellos fest, denn dies beweist allein schon die Tatsache, dass wir nicht unsterblich sind. Somit kann man es drehen und wenden, wie man will: Das Leben ist definitiv auf einen Zweck hin ausgerichtet, und sei es nur der unausweichliche Tod am Ende, dem wir uns immerzu nähern. Sprechen wir über Zeitverschwendung, sollten wir zuerst klären, ob Zeit überhaupt existiert. Handelt es sich dabei nicht vielmehr um einen Maßstab, den der Mensch zur Unterscheidung von Naturphänomenen anlegt, eben der Jahres-Zeiten? Er hilft uns unter anderem dabei, effizienter und konstanter Landwirtschaft zu betreiben, ist aber letztlich ein artifizielles Konzept, so ähnlich wie die erwähnte Boygroup, bloß dass diese tatsächlich völlig sinnlos ist.

Ich halte Zeit als Konzept für etwas absolut Furchtbares. Sie kann gewaltig nerven, Stress verursachen und ist eine grausame Domina, die uns unaufhörlich den Rücken peitscht. Jeder Augenblick, in dem wir bei wachem Bewusstsein sind, wird von ihr durchdrungen. Wie es scheint, beherrscht sich uns auf ewig und gleicht einem Kompass, nach dem wir unser Leben ausrichten. Sie bestimmt die Art und Weise, wie wir den jeden Tag anpacken, prägt unsere Gedanken und schürt Ängste, lässt uns auf der Arbeit stempeln und provoziert Identitätskrisen in der Mitte des Lebens. Frauen spüren, wie ihre biologische Uhr tickt, und eine weitere Geburtstagsparty konfrontiert uns mit dem Umstand, dass wir dem Grab ein weiteres Stück nähergekommen sind. Dies sind typische Emotionen beziehungsweise stereotype Verhaltensweisen, die sich einstellen, weil wir wahrnehmen, wie eigentlich künstliche Zeit verstreicht. Sie stellt ein Kontrollelement dar, schränkt uns ein und entmenschlicht uns, zwingt uns zum mechanischem, hektischen und demnach unbesonnenem Handeln.

Ich träume gern von einer Welt ohne Zeit. Warum tilgen wir sie nicht aus unserem Leben? Lasst uns zurückkehren zu einer Lebensführung im Einklang mit der natürlichen Zeit. Es genügt, Tage allein anhand von Sonnenaufgang und Abenddämmerung zur Kenntnis zu nehmen, derweil der Puls der Umwelt unser Tun leitet. Jeder Aspekt des Lebens, angefangen beim Schulunterricht über die Arbeit hinweg bis zur Haushaltsführung im Privaten bliebe auch im Rahmen intuitiver oder instinktiver Prozesse erhalten. Eine solche weniger organisierte Form der Existenz begünstigt kollektiven Hedonismus, dessen Umsetzung ich mir interessant und überaus spaßig vorstelle. Diese Perspektive bedeutet schließlich nicht automatisch Müßiggang, denn um überwältigendes Glück zu emfpiden, bedarf es ebenfalls harter Arbeit und ritueller Strukturen.

Ein Kardiograf, das Ticken einer Uhr sowie die Melodie einer Spieldose ziehen sich wie Leitmotive durch die Stücke von „Truth Button“. Stehen sie symbolhaft für Zeitvergehen, Schritthalten einer- und Selbstnarkose andererseits? Ich denke auch an die Textzeile „Time is my jail, denying bail.“

Genau. Die Spieldose ist als Rückgriff auf schlichte Möglichkeiten zu trivialer Unterhaltung aus der Vergangenheit zu verstehen. Wir alle suchen nach Zerstreuung, um uns vom schnöden und monotonen Alltag abzulenken, aber heute sieht es so aus, als gebe es Unmengen schnöder und monotoner Unterhaltung, die unsere Sinnesorgane über verschiedene Medien angreifen, ob Internet, TV, Zeitschriften oder was auch immer. All dies ist, was seine Qualität betrifft, eher zum Wegwerfen geeignet, äußerster Quatsch und völlig wertlos. Dadurch sollen unsere primitiven Gelüste geweckt werden, auf dass wir vom Wesentlichen abschweifen und unser geistiges Niveau selbst runterschrauben. Dann werden wir keine kritischen Fragen mehr stellen und uns schrittweise in gefügige, selbstgefällige Wesen verwandeln. Man könnte es Sozialmanipulation hin zum menschlichen Lasttier nennen. Im Übrigen liebe ich Spieldosen. Das moderne Gegenstück wäre wohl irgendeine schmucke App für ein Smartphone, seelenloser elektronischer Firlefanz aus Pixeln ohne Bedeutung und Nachklang, sobald das Licht ausgeht. Damit will ich mich nicht als Maschinenstürmer gerieren, der sich vor Neuerungen im technischen Bereich fürchtet und Entdeckungen beziehungsweise Innovationen kategorisch verdammt. Würde jeder so denken, stünden wir immer noch nackt in dämmerigen Höhlen und starrten uns gegenseitig in eindeutiger Absicht auf die Weichteile.

Sprecht ihr mit „Behind The Wall“ die bemühte Suche nach relevanten Inhalten im großen Einerlei der Informationswelt an? Ich meine auch, im Text einen Anflug von Fremdenfeindlichkeit und paranoider Furcht zu erkennen.

Die Thematik des Songs ist metaphysischer Natur. In jüngster Zeit habe ich mehrere paranormale Erfahrungen gemacht, die sich landläufigen Erklärungen entziehen, und bekenne mit dem Stück praktisch, dass ich nach diesen bizarren Erlebnissen ziemlich sicher bin: Dort draußen gibt es noch etwas Anderes als uns, eben hinter der Wand unseres gewöhnlichen Bewusstseins, und die Masse Mensch nimmt es nicht zur Kenntnis. Mehr sage ich darüber aber nicht, denn man könnte mich für geistesgestört halten.

Abintra“ bedeutet „von innen“. Ich dachte dabei sowohl an Hikikomori, die Isolation des Einzelnen im Zuge einer Internet-Abhängigkeit, als auch an das Potenzial einer Zelle, eine wie auch immer geartete Revolution von innen loszutreten.

Der letzte Gedanke gefällt mir sehr, so von wegen Regierungssturz. Für mich sitzen ganz oben die korruptesten Dummköpfe überhaupt, aber am Ende würde ein solches Bestreben für alle Beteiligten katastrophale Folgen haben, fürchte ich. Welche Änderung man auch anstrebt: Sie muss friedlich erwirkt werden, schleichend durch Infiltration.

Auch die Textzeile „Delusional receipts, forever indiscreet“ ließ mich grübeln.

Sie verweist darauf, wie wir heutzutage Käufe abwickeln, nämlich vornehmlich bargeldlos. Es geschieht digital – sei es über Kreditkarte, Transaktionen im Web oder dergleichen – und ist zurückverfolgbar beziehungsweise wird irgendwo verzeichnet. Dies führt wie formuliert ständig zu Vertrauensbrüchen in Form von Junk-Mail, unerwünschten Anrufen und E-Mails von Firmen. Firmen verarbeiten und geben die Informationen weiter, die sie aus unseren Handelsgeschäften erhalten.

Dazu passt dann auch „Tracing every step without you leaving home“.

Richtig. Technischer Fortschritt dient andauernd zu unserer Behinderung und Überwachung. In Großbritannien werden alle E-Mails und Anrufe sowie der Internet-Verkehr kontrolliert. Nichts an diesen Medien ist mehr privat, und da wir wissentlich private Daten in sozialen Netzwerken feilbieten, steht der Regierung gleich auch die notwendige Infrastruktur zur Verfügung, über die sie ihr Vorhaben noch effektiver umsetzen kann.

Be my friend until the end, I'm poison, poison“ betrifft demnach den Unbekannten, der sich in unser Leben stiehlt und in der Lage ist, uns übel mitzuspielen.

Ja, und dieser heimtückische Emporkömmling könnte ein Großkonzern sein, wie sie hinter Google und Facebook stecken. Mit allen Infos, die sie von uns haben, haben sie die Macht, unsere Personalie und Geschichte jeweils umzuschreiben, falls sie sich dazu bemüßigt sehen.

Wenn ich den Ausdruck „the observing elite“ höre, denke ich an Verschwörungstheorien.

Ich halte dieses Wort selbst für eine Verschwörungstheorie. Man verwendet es, um sich über Personen lustig zu machen, die unverhohlen Fragen stellen und nicht in konventionellen Bahnen denken. Wann immer jemand den Terminus einwirft, ist er mit negativen Konnotationen behaftet und zielt auf vermeintliche Querulanten ab, die unangenehmes Zeug ansprechen. Dadurch spielt man ihr Anliegen und damit auch eventuell stichhaltige Argumente herunter. Solltest du dich einmal in der Position des Fragers wiederfinden, kritisch über Ereignisse, Konzerne oder politische Stoßrichtungen sprechen und schließlich mit der Verschwörungstheorie-Keule geschlagen werden, bist du faulen Machenschaften vermutlich dichter auf der Spur als gedacht. Andererseits darf man sich fragen, ob ein Reptil vom Planeten Nimrod, das seine Gestalt verändern kann, wirklich die von George Bush angenommen hat, wo es doch weit attraktivere Menschen gibt.

This contract's binding you to a digital curse“, da schoss mir gleich ein Faustischer Pakt in den Kopf: Seelenverkauf für was auch immer.

Die Zeile stammt aus „Book Of Faces“, der sich – es liegt nahe – gegen Facebook richtet, einen meiner Meinung nach höchst verdächtigen Konzern. Einige relativ fundierte Quellen decken auf, wie er sich finanziert, und dabei scheint sich mein Verdacht zu bestätigen, hinter dem Namen stehe mehr als nur eine gewaltige Maschinerie zum Geldverdienen und Sammeln von Daten. Ich glaube, Facebook erlaubt niemandem, seinen Account endgültig zu löschen. Man darf ihn gnädigerweise deaktivieren und erhält die Gelegenheit, ihn zu einem späteren Zeitpunkt wieder zu öffnen, so man seine Meinung ändert. Eine permanente Entfernung erfolgt nur, nachdem man einen aufwändigen Antrag eingereicht hat. Es verblüfft, wenn man sieht, wie die Leute diesem Verein freimütig in die Hände spielen, Einzelheiten über ihre Person und Fotos, Angaben zu ihrem Arbeitsplatz, philosophische und politische Ansichten – all dies wohlgemerkt für ein über-kapitalistisches Organ, die ein schauriges Verfahren zur Gesichtserkennung ersonnen hat, mit dem man anhand eines bloßen Bildes Leute suchen und finden kann. Natürlich bin ich gewissermaßen ein Heuchler, da ich das hier zum Besten gebe und selbst bei Facebook bin, wenngleich nur zur Verbreitung meiner Musik. John Lennon sagte einmal, Amerika sei ein modernes Römisches Reich, und New York City das Zentrum. Unglücklicherweise sieht es momentan so aus, dass Facebook diese Position innerhalb des Internet einnimmt. Jeder, der online ist, scheint sich dort aufzuhalten, und wenn ich meine Songs pushen will, muss ich mich dorthin begeben, wo mein Publikum sitzt. Müsste ich mich nicht um Promotion kümmern, käme ich nicht im Traum darauf, mich mit Facebook zu beschäftigen. Eigentlich sei jedem geraten, davon abzusehen.

Money flows through the gates, the currency deflates, between the devil and the deep blue sea“: Das Dilemma der Preisgabe und gleichzeitigen Abwertung des Selbst, weil man öffentlichkeitswirksam sein muss, um Erfolg zu haben?

Unsere sogenannten Fürsprecher finden auf G8-Pyjamapartys zusammen und stoßen allesamt ins gleiche Horns. Nach der entsprechenden Aufbereitung durch die Medien müssen wir zuletzt davon ausgehen, dass Wirtschaftswachstum alles ist, was zählt. Wieso stecken wir nicht einfach zurück, statt immer mehr zu erzwingen? Ich hatte einmal Fußpilz an einem Zeh, und der wuchs auch, bloß ließ ich mir ein Mittel verschreiben, um den Fucker auf Nimmerwiedersehen loszuwerden. Ständige Vergrößerung ist weder gut noch überhaupt möglich.

Mit „False are the words, that tumble from the screen, help is the lie disguised as charity“ meinst du aber dubiose Spendenaufrufe, nicht wahr?

Stimmt. Haiti ist diesbezüglich ein treffendes Beispiel. Falls wir uns auf die Berichterstattung dazu verlassen können, sind nur ungefähr 30 Prozent der gesammelten Gelder in den USA auch bei den Bedürftigen angekommen, und das nach zwei Jahren. Ich bin mir sicher, gäbe es dort unten Öl, sähe die Situation jetzt völlig anders aus. Geldbeschaffung für eine wohltätige Einrichtung mit großem Namen geht wohl ähnlich vonstatten wie auf Shopping-Kanälen oder bei penetranten Hausierern, verfügt aber auch über einen Mehrwert – den psychologischen Trick, uns Schuldgefühle zu bereiten. Hier in England gibt es jedes Jahr zu mehreren Gelegenheiten eine Spendengala im Fernsehen. Man bittet um Zuschüsse aus dem Volk und bekommt sie auch, aber trotzdem wird nach ein paar Monaten wieder über Armut lamentiert, was die Sinnlosigkeit solcher Unterfangen offensichtlich macht. Hilfsbereitschaft und Altruismus sind durchaus schätzenswert, doch haben sich einige Einrichtungen, die es eigentlich nur gut meinen, von größeren und doppelzüngigen kaufen lassen, die sich an Gutmenschen bereichern wollen? Ich weiß es nicht, aber die Frage ist sicherlich berechtigt.

Worin bestehen die Unterschiede zwischen „Truth Button“ und Porcupine Trees ähnlich gelagertem Album „Fear Of A Blank Planet“?

Ich kenne die Scheibe nicht gut, weil ich etwa zu der Zeit, als die Band „Deadwing“ veröffentlichte, das Interesse an ihre verlor. Ich lehne mich also quasi ein Stück weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte, „Fear“ befasse sich mit der Entfremdung der Jugend innerhalb der Gesellschaft und dem negativen Einfluss neuer Technologien auf ihr Leben. Ich erinnere mich an Teile des Textes aus dem Titeltrack: Trostlosigkeit im Einkaufszentrum, die XBox in den Augen junger Menschen zum Gott stilisiert. Ich stimme von ganzen Herzen zu, wenn jemand meint, geistige Erleuchtung erlange man nicht, indem man jeden Samstag zwei Stunden lang ziellos durch Shopping-Tempel latscht. Das Album widmet sich also heutigen Heranwachsenden und deutet auf eine Band, die sich um die Entwicklung dieser Menschen sorgt, wohingegen „Truth Button“ auf die Ambivalenzen des individuellen Bewusstseins anspielt: Außenseiter-Gefühle können erzwungen und manipuliert werden durch moderne Technik. Diese wiederum wurde entwickelt unter der Ägide der Machthaber – einer Gruppe also, die uns als Kollektiv widerspiegelt.

Kommen wir zu „Dives And Pauper“ und „The End Of Evolution“. Ehrlich gesagt wusste ich mir keinen Reim auf die Texte zu machen.

Das erste Stück handelt dem Titel gemäß von Reich und Arm. Die wenigen an der Spitze erwirken kleine Veränderung, die für die Unterschichtenmasse erhebliche Konsequenzen hat. „End“ verschränkt Elemente aus Frankenstein mit einer persönlichen Angelegenheit meinerseits. Ich meine damit nicht, dass Gemeinsamkeiten zwischen mir und einem aus Teilen exhumierter Leichen zusammengestückelten Geschöpf bestehen, aber ich fühlte mich bisweilen wie ein Ausgegrenzter oder Eigenbrötler. Versuchte ich, mich den gesellschaftlichen Mustern der Mehrheit zu fügen, ging ich zumeist baden. Die Lyrics sind sozusagen selbst eine Art Frankensteins Monster, eine Kombination zweier konträrer Ideen.

John, das war alles. Vielen Dank für deine Redseligkeit!

Andreas Schiffmann (Info)
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