Musikreviews.de bei Facebook Musikreviews.de bei Twitter

Partner

Statistiken

Interview mit THILO ILLGNER und ALEX OLDENDORF (06.02.2018)

THILO ILLGNER und ALEX OLDENDORF

 

Über die Grenzen musikalischer Unfähigkeit

THILO ILLGNER und ALEX OLDENDORF sind als Musiker-Duo eine der spannendsten Entsprechung modernen Krautrocks, die sich gegenwärtig im Musik-Business den „Arsch aufreißen“ und dank ihrer Unangepasstheit an Mainstream-Trends oder Radio-Alltagskacke selber ins Abseits schießen. 

Doch da unsere Seite nicht für Mainstream steht und wir noch weniger die Blasebälge für Radio-Fuzzis sind, denen musikalische Qualität hinter jedem Werbe-Jingle abgeht, darum mussten wir unbedingt dieses spannende Interview mit den zwei Musik-Freigeistern ILLGNER & OLDENDORF führen – ganz ohne Jingle, aber qualitativ wirklich hochwertig.

Und außerdem kann man nach diesem Interview und der Review ihres aktuellen Albums auch noch etwas ganz Besonderes gewinnen!

 

Ihr seid ein ungewöhnliches Musiker-Duo - Bass und Keyboard. Wie habt ihr euch kennengelernt?

 ALEX: Thilo betreibt in Offenburg das MK2 musik und kultur zentrum, unter anderem mit der Vermietung von Proberäumen. Ich spielte dort in einer Band. So trafen wir uns auf dem Parkplatz und kamen ins Gespräch. Es klang für uns beide interessant, was der andere machte, und wir haben uns verabredet.

Es war dann sehr schnell klar, dass wir zusammen"arbeiten" würden. Wir waren musikalisch auf derselben Wellenlänge und bereit, einen Weg auch fernab der gängigen Hörgewohnheiten zu gehen. Beide hatten wir etwas übrig für anders klingende Rhythmus- und Melodie-Strukturen und wollten das auch musikalisch umsetzen.  


Wie kamt ihr überhaupt zur Musik?

THILO: Bei mir war es der klassische Weg in einer "bürgerlichen" Familie. Das klingt heute etwas verstaubt, war damals aber so. Musik gehörte in diesem Umfeld zu einer umfassenden Bildung dazu wie auch Sport, Reisen, Museen und Lesen. Ich fing mit Blockflöte an, um Noten zu lernen und ein musisches Gefühl zu entwickeln, dann folgten viele Jahre der Klavierausbildung, die mir zutiefst widerstrebten. Heute bin ich meinem Klavierlehrer dankbar, dass wir viel Bartok spielten und er Wert auf Harmonielehre legte. Schon mit 14 spielte ich in einer Band (auf der alten 2oktavigen Farfisa-Kinderorgel meiner Schwester) und schrieb erste Songs, wenn das auch noch weit entfernt war von dem, was ich heute mache oder was man als gut bezeichnen würde.

Akustikgitarre lernte ich später schnell selbst. Das liegt mir. Durch das Klavierspielen fällt es mir leicht, mit einer Hand zu zupfen und mit der anderen Akkorde zu greifen. Und mit der Zeit lernte ich auch Schlagzeug spielen. Schon als Kind nervte ich meine Eltern damit, dass ich immer auf dem Tisch trommelte. Aber Schlagzeug war für sie kein adäquates Instrument.    

ALEX: Ich war Zwei, als ich meine Liebe zur Musik entwickelte. Das klingt seltsam. Wer kann sich schon an etwas erinnern, als er zwei Jahre alt war? Aber ich weiß noch, dass ich fasziniert war von den Tönen, als ich in diesem Alter die Saiten einer Gitarre "anspielte". Dass ich Zwei war, wusste ich natürlich nicht. Das haben mir später meine Eltern gesagt (schmunzelt). Das Gefühl hat mich nie mehr verlassen. Seither und bis heute beschäftige ich mich ununterbrochen mit Gitarren (Akustik, E-Gitarre und 12String) und besonders intensiv mit Bässen, auch und gerade mit dem bundlosen Bass.

Ich spielte in Rock-, Pop-  und Metal-Bands. Nach meiner „wilden Zeit“ driftete ich immer mehr zur experimentellen Popmusik ab. Parallel dazu beschäftige ich mich mit Jazzmusik aus den 50er und 60er Jahren, bei der ich besonders gerne den bundlosen Bass einsetze. Während meiner Jahre in England spielte ich so in verschiedenen Clubs. Das war eine tolle Zeit.

 

Erzählt mir ein bisschen, wie ihr eure Songs komponiert! Was beeinflusst euch, wenn ihr einen Song macht? 

ALEX: Manchmal sitzen wir zusammen und überlegen gemeinsam, wie ein Song klingen soll. Ich habe ein Gefühl oder ein Bild vor Augen. Oder ich stelle mir oft eine Verbindung zu einem Song vor, den ich mag. Und dann soll es auch in diese Richtung klingen. Simmons Drums sind so ein Beispiel: die haben ihren unverwechselbaren Klang und erinnern einfach an eine ganze Musikdekade: ich sage nur Miami Vice - der Sound ist doch einmalig! Und wenn wir dann zusammen an einem Song arbeiten, gehen wir manchmal einfach von solch einem Detail aus und entwickeln den Song vom Sound her drumherum.

Aber meistens ist das Thilos Part. Er ist der Sound- und Melodie-Tüftler. Ich bin manchmal selbst überrascht, was aus meinem Bassspiel entsteht. Wir haben eine 

Song-Basis aufgenommen aus zwei oder drei Bassfiguren, die ich gerne zu einem Song verbunden sehen möchte. Nachdem Thilo in seinen Nacht-Sessions daraus einen Song entwickelt hat, lässt er mich dann sein Resultat hören, was aus meinen Bassfiguren geworden ist.

Anfangs war das schwierig für mich, denn man hat ja doch meistens was im Ohr. Aber nach fünf Jahren gemeinsamer musikalischer und kompositorischer Arbeit kenne ich seinen Stil, ich weiß, was er damit meint und kann auch irgendwie hören, was er mit diesem Song verbindet und was ihn damit verbindet und was er ausdrücken will.

TIME WILL TELL fand ich am Anfang, als Thilo daran arbeitete, ziemlich langweilig, da tat sich für mich einfach zu wenig. Jetzt finde ich es eine der stärksten Nummern auf unserer CD. Oder er hat einen Song am Klavier komponiert und bittet mich, dazu was mit dem Bass zu spielen: PRISMA ist so ein Beispiel für den umgekehrten Weg. Dann überlegen wir, was denn der Bass dem Song noch geben kann.

 

Es klingt vieles in euren Songs experimentell. Wie kommt ihr dazu, eine Idee so umzusetzen?

THILO: Das Tolle an unserer Zusammenarbeit ist ein gegenseitiges musikalisches Vertrauen. Wenn Alex mit einem neuen Basslauf oder einer Figur zu mir ins Studio kommt, kann ich mich meist daran austoben. Manchmal hat Alex klare Vorstellungen, und das respektiere ich. Das setzen wir dann auch in diese Richtung um. Aber zumeist kann ich einen Song frei gestalten. 

FLEECY CLOUDS (Schäfchenwolken) war eine Titelidee von Alex; das verband er mit den Bassfiguren. Ich konnte das nachempfinden und habe daraus einen luftigen, leichten, wolkigen Song gemacht. Man kann direkt hören, fast schon sehen, wie der Wind die Wolken über den Himmel ziehen lässt. Austoben klingt in diesem Zusammenhang etwas grobmotorisch; aber ich meine, ich kann wirklich vollkommen frei dazu spielen und komponieren; es sind mir musikalisch keine Grenzen gesetzt, außer denen, die ich mir selbst durch meine Unfähigkeit setze.

 

Lass mich da bitte einhaken, bevor du das Thema weiter ausführst. Von welcher Unfähigkeit sprichst du?

 THILO: Ich kann ja nur das wiedergeben, was ich im Kopf habe. Damit meine ich nicht unbedingt spielerisches Können. Wenn du einen Klavierlauf nicht spielen kannst, kannst du ihn aber im Studio/am Rechner digital setzen/nachbauen. Das kann heutzutage jeder, auch noch so unmusikalische, Mensch (wenn er das Musikprogramm beherrscht). Wenn ich aber keinen Klavierlauf im Kopf habe, kann ich das einfach nicht.

Wenn du eine Violine nicht spielen kannst, gibt es Sound-Software, bei der du Echt von Digital nicht mehr unterscheiden kannst. Wenn du aber keine Violinen-Melodie im Kopf hast und - viel schlimmer - nicht weißt, wie eine Violine gespielt wird und klingt, dann kannst du das eben auch nicht umsetzen. Oder es klingt, wie eben heutzutage ein großer Teil von Popmusik klingt.

Meine Musik, mein kompositorisches Schaffen, ist also immer beschränkt auf und durch das, was ich im Kopf habe. Oder reicht eben bis an diese Grenzen. Soweit zur Unfähigkeit. 

Alex lässt mir Platz, mich musikalisch ausbreiten, entfalten, ausleben zu können. 

Er bietet mir mit seinen rhythmischen und teils abgefahrenen Bassfiguren eine Basis, auf der ich dann unsere Songs entwickeln kann. Wer hätte anfangs gedacht, dass aus einer einzigen Bassfigur wie bei FANTASIA ARABICA und einem Slapper ein arabisch klingendes Stück wird!

Das meinte ich mit musikalischem Vertrauen.

 

Du sprichst das Thema Popmusik an. Was denkst du darüber?

THILO: (lacht) Jetzt muss ich aufpassen, dass ich mich nicht in die Nesseln setze. Es gibt wirklich richtig gute Popmusik. Aber es gibt meines Erachtens weit mehr schlechtere.

Leider merken das viele Hörer nicht mehr. Das beginnt bei fehlender musikalischer Ausbildung, reicht über fehlende musische Bildung an den Schulen und geht bis in die schlechten Radioprogramme der Mainstream-Sender, die tagein/tagaus dasselbe spielen, bis die Hörer meinen, sie mögen es.

Wenn ich auf das Thema von vorher zurückkomme, meine ich, dass heute viele Hörer außergewöhnliche Musik (damit meine ich nicht explizit besonders gute Musik, sondern erst einmal Musik, die außerhalb des Gewöhnlichen steht) gar nicht mehr erfassen und werten, geschweige denn mögen können, weil ihnen Grundlegendes im Kopf fehlt. Wenn du dein Leben lang nur Comic-Blasen gelesen hast, kannst du Literatur nicht erkennen und auch keine Unterschiede erkennen, wenn du sie liest (Ich lese übrigens gerne Comics. Auch die können dir etwas geben, sind aber nur ein kleiner Teil des Ganzen). Du wirst mit einem Kunstwerk nichts anfangen, nichts verbinden, nichts darin sehen und auch nichts verstehen können, wenn du nur Hartz-IV-TV glotzt. Als ich mal mit einer Bekannten an Lorsch vorbeifuhr, fragte ich sie, ob wir schnell einen Abstecher machen sollten, dort sei die Kaiserpfalz, in der Karl der Große Hof gehalten hätte. Sie wolle lieber heim, das könne sie sich ja zu Hause im Internet ansehen. Alles klar?! 

Darum kann ich nur sagen, das betrifft Musik genauso wie alles andere im Leben, dass man sich möglichst vielseitig und offen mit allem beschäftigen muss/sollte, denn es muss ja jeder selbst wissen, was er tut. Aber das ist meine Meinung: ich kann ansonsten die mich umgebende Welt nur eingeschränkt wahrnehmen, verstehen, sehen, fühlen, riechen, schmecken, was auch immer, und eben auch nur eingeschränkt hören - um wieder zur Musik zurück zu kommen.

 

Eure Songtitel sind oft - zumindest sehe ich es so - mit Bildern verbunden. Habt ihr zuerst ein Bild im Kopf?

ALEX: Es gibt Titel, die sind schon vor Fertigstellung Teil meiner Welt/Gedankenwelt. Die Bassfiguren von AT THE POND stellten für mich immer eine stimmungsvolle Zeit an einem Teich dar. Thilo hat diese Stimmung gut eingefangen. Er hat sie musikalisch und meiner Vorstellung entsprechend um diesen Song „herumgebaut“ bis hin zu den Wasser- und Enten-Aufnahmen ("Das sind übrigens englische Enten, die ich in England aufgenommen habe", ergänzt Thilo). Dann sagte er zu mir: "Alex, wir brauchen da noch eine melodische Gitarre, die das Ganze vervollständigt." Und die habe ich dann eingespielt. Thilo hat vorhin FLEECY CLOUDS erwähnt.

LISBOA ist auch so ein Beispiel. Das Bild kam von Thilo. Er war in Lissabon in Urlaub und kam mit diversen musikalischen Eindrücken wieder zurück. Er spielte mir Fado-Songs und -Aufnahmen aus Clubs vor, hatte dort ein Musikvideo gedreht, das diesen Sommer veröffentlicht wird, und meinte: "Wenn wir diesen Song über LISBOA machen, muss es auch nach Portugal, Meer und Fado klingen." Das war dann eine Herausforderung für mich. So kamen die Fado-Klänge in den Song.


Aber manchmal, eher weniger, aber manchmal, ist es auch anders. Dann ist ein Song fertig und wir suchen nach einem Namen. Dann diskutieren wir durchaus darüber, was wir mit dieser Musik verbinden oder welche Stimmung er wiedergibt. 

So  entstehen Titel wie RETURN TO ZERO. Der Song endet genauso wie er begann. Thilo hat dann das total geile Musikvideo dazu geschaffen, in dem ein Countdown von 1000 bis auf Null runterzählt! 


Eure Cover sind ebenso außergewöhnlich. Wer entwickelt die?

THILO: In der Zwischenzeit mache ich alle CD-Gestaltungen selbst. Anfangs arbeitete ich
noch mit einem Grafiker zusammen. Aber es ist schwierig, wenn man als kreativer Mensch eine Idee hat, die dann ein Anderer umsetzen soll. Das wird meistens nie deckungsgleich. Ich habe mich über die Jahre und auch wegen meiner anderen Musikprojekte (POETRY, BLACK CUBE PROJECT, ELEA.SIN) in diverse Software für Bildbearbeitung, graphische Gestaltung, VJing sowie verschiedene Videobearbeitungsprogramme eingearbeitet. So entstanden in Zusammenarbeit mit dem Fotografen Helmut Knosp die Fotos zu der CD sowie auch die Aufnahmen zum Musikvideo von PRISMA. Dann habe ich mit diesem Bildmaterial die graphische/gestalterische Umsetzung nach meinen  Ideen für die CD vorgenommen. Und auch unser neues Cover zu unserer ersten CD ANOTHER WORLD habe ich ausgeführt. Ich habe zwar noch die Grundidee des ersten Covers aufgegriffen (Aurora Borealis), aber ansonsten war es grenzwertig (Beide lachen, was ihr sicher noch besser nach meiner Rezension zu „Another World“ verstehen werdet!). Die Katze auf dem Cover leistet uns seit Jahren Gesellschaft. Sie lebt bei mir und ist besonders gerne im Tonstudio. Sie hat ihr Schnurren in den Song NACHTPROGRAMM eingebracht.  

Und auch die Cover für unsere nächsten CDs stehen schon: STRANGE WAYS kommt hoffentlich noch 2018, aber spätestens im Frühjahr 2019. Und unsere vierte CD, die wir zum Teil auch schon mit Rohmaterial eingespielt haben, hat bereits ihren Titel und ihr Cover: "re_form".

Ihr seid ziemlich kreativ. Wie seht ihr eure Zukunft?

THILO: (lacht) Naja, da unsere Musik alles andere als kommerziell ist, werden wir den großen Durchbruch in der Musikszene nicht schaffen. Aber wir werden weiterhin gemeinsam unsere Musik machen, ohne uns zu verbiegen, anzupassen oder uns reinreden zu lassen. Die Reaktionen unserer Hörer zeigen uns, dass das für uns der richtige Weg ist. Die ein oder andere gute Rezension zu erhalten wäre schön, es ist immer ein anspornendes Gefühl, wenn von fremder Seite dieses Schaffen anerkannt wird. Und vielleicht auf Festivals spielen, die außergewöhnliche Musik darbieten, würde mir gefallen.

ALEX: Ich bin sehr froh darüber, dass meine Bassfiguren, die zum Teil über 20 Jahre meine musikalischen Begleiter sind, in der Zusammenarbeit mit Thilo zu richtigen musikalischen Werken geworden sind. Und es macht Spaß, dass ich auch heute (noch) immer neue Figuren, Riffs und Parts entwickeln kann. Durch Thilo werden daraus Songs und finden ihren Weg zum Publikum als CD-Veröffentlichung und hoffentlich immer öfter auch live. Vielleicht will ich nochmal nach London ziehen. Unsere Zusammenarbeit würden wir trotzdem fortsetzen. 

Thoralf Koß - Chefredakteur (Info)