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Interview mit CHANDELIER (16.09.2020)

CHANDELIER

Fresst keine Fledermäuse und freut euch auf „Help Me“

oder

Mit CHANDELIER diesseits von (Martin) Eden

 

Bevor wir uns auf das Interview mit dem Sänger und Gründungsmitglied von CHANDELIER, MARTIN EDEN, stürzen, sollten wir vielleicht zuvor noch in ein paar Erinnerungen schwelgen, die weit bis ins Jahr 1986 zurückgehen, dem Jahr, in dem sich die deutsche Neo-Prog-Band gründete und nach ihren ersten Alben als eine Art deutscher Marillion gehandelt wurden. Ein besonderes Erkennungsmerkmal war dabei der Sänger Martin Eden, der ähnlich charismatisch wie FISH klang. Nach drei Alben und einer Vielzahl von Konzerten war es dann 1998 vorbei mit CHANDELIER. Das Prog-Quintett löste sich nach „Timecode“ (1997) heimlich, still und leise auf, nachdem sie kurz zuvor noch SPOCK'S BEARD bei ihrer ersten Europa-Tournee zur Seite standen. Mal sehen, ob nach dem Interview die Gründe für die Auflösung etwas genauer geklärt sind…



Dann zogen die Jahre ins Land und es breitete sich ein 20jähriger Schleier des Schweigens über CHANDELIER aus…

...bis zu dem Paukenschlag im Jahr 2019, als sich die Band völlig unerwartet und umso überraschender zurückmeldete. Einerseits auf der Bühne – und dann auch noch gleich der legendären „Night Of Prog“-Bühne der Loreley – und andererseits mit den fetten von EROC remasterten und vom polnischen Label Chicadisc herausgebrachten Neuveröffentlichungen ihrer drei CD's „Pure“ (1990), „Facing Gravity“ (1992) und „Timecode“ (1997), alle mit einer zusätzlichen Bonus-CD voller Raritäten sowie einem liebevoll gestalteten, dicken Booklet mit seltenen Fotos und Hintergrundinformationen versehen. Konzerte waren geplant, Festivalauftritte und… und… und…

...und dann kam nicht Kayleigh, sondern Corona. Einen ungünstigeren Zeitpunkt konnte sich dieses bekackte, komplett unmusikalische Virus im Sinne der Wiederauferstehung von CHANDELIER gar nicht aussuchen.

 

Oder wie siehst du das Martin? 

Ja, natürlich ist Corona eine Riesenkacke! Gar keine Frage! Aber im Vergleich zu anderen Musikerinnen und Musikern haben wir noch richtig Glück gehabt. Wir haben alle unseren normalen, „bürgerlichen“ Job, so dass wir finanziell nicht auf die Erträge von Chandelier angewiesen sind. Allen, die sich bislang als Vollprofis mühsam über Wasser gehalten haben, geht es jetzt mit Corona natürlich richtig dreckig. 


Wenn du ein wenig in Erinnerungen schwelgst. Erinnerungen von vor über 35 Jahren CHANDELIER. Welche haben sich denn da bei dir speziell festgebrannt?

Nun, für mich steht der Punkt Freundschaft hier an oberster Stelle. Chandelier war schon immer ein musikalisches Projekt von Freunden, die auch vor und nach Chandelier miteinander befreundet waren. Deswegen hat es immer großen Spaß gemacht, miteinander zu musizieren. Natürlich gab es auch bei uns schon mal Streit, aber das war nie etwas Tragisches, sondern stets von kurzer Dauer. Ja, und außerdem haben und hatten wir stets das Glück, auf wirklich tolle Kompositionen zugreifen zu können, so dass wir auch auf Konzerten immer richtig gut „eintauchen“ konnten (und können!) in die Songs.

 

Die Auflösung eurer Band kam 1997 doch sehr überraschend, gerade weil ihr kurz zuvor mit SPOCK'S BEARD getourt seid. Eigentlich hätte das doch für euch vielleicht auch den endgültigen Durchbruch in der Prog-Szene bedeuten können. War der Grund für die Auflösung wirklich nur der Zwiespalt der Bandmitglieder zwischen dem musikalischen Engagement und dem Berufs- und Familienleben?

Ja, mehr war da wirklich nicht. Trotz des Spock‘s-Beards-Supports merkten wir leider, dass der Zug für den Sprung ins Vollprofi-Lager abgefahren war. Wir hätten niemals davon leben und unsere Familien ernähren können. Also haben wir uns als Band getrennt und waren (und sind!) stolz auf tolle gemeinsame Jahre.

 

 

Welche Platten und Bands spielten denn innerhalb eurer Band bei den Musikern eine wichtige Rolle? Wovon ließt ihr euch damals inspirieren?

Also, es gibt sicherlich keinen bei uns, der Genesis oder Marillion nicht mag. Und vor den Beatles ziehen wir alle meilenweit den Hut. Die haben, neben vielen anderen Stilrichtungen, ja auch den Prog erfunden. Wir alle haben natürlich aber auch unsere Lieblinge außerhalb des Prog-Umfeldes. Ich zum Beispiel komme ja eigentlich ursprünglich aus der Singer-Songwriter-Ecke, was unseren Hang zu Melodien erklärt, die man mitträllern kann. 

 

Und heute, anno 2020… Welches sind nun eure Inspirationsquellen und was ist eigentlich in der Zeit nach eurer Auflösung geworden. Dich als den „Wessi“ hat's ja beispielsweise in den Osten, nach Dresden, verschlagen. Wie kam's dazu? Und wie bekommt ihr das denn mit dem gemeinsamen Proben hin?

Unsere musikalischen Vorlieben sind sicherlich prinzipiell dieselben geblieben. Meine absolute Lieblingsband momentan ist beispielsweise Big Big Train – also Prog in Perfektion.

Ja, ich wohne, lebe und liebe seit 1996 in Dresden und bin immer wieder begeistert von der Schönheit dieser Stadt. Mein Umzug in die sächsische Hauptstadt hatte seinerzeit mit der beruflichen Situation zu tun. Ich hatte 1997 hier eine Ausbildung begonnen.

Unser Bassist Christoph lebt in Basel. Die anderen wohnen nach wie vor in der Umgebung von Neuss, unserer Heimatstadt. Unser Proberaum ist ebenfalls in der Nähe von Neuss zu finden. Das alles macht es natürlich komplizierter mit dem Proben. Momentan treffen wir uns etwa einmal monatlich am Wochenende und proben dann am Freitag und Samstag für einige Stunden.

 

Wie zufrieden seid ihr eigentlich mit den CD-Neuveröffentlichungen eurer „alten Alben“?

Ich denke, wir sind sehr zufrieden. Der Sound ist klasse und die Bonus-CD kann sich, denken wir, auch jeweils sehen bzw. hören lassen. Vor allem ist es klasse, dass sich tatsächlich noch überraschend reges Interesse für unsere Musik aufgetan hat. Damit hatte ich absolut nicht gerechnet. 

 

Wie kam es eigentlich zu eurer Zusammenarbeit mit MOFF MOLLO von GROBSCHNITT als Gastsänger, der sogar live gemeinsam mit euch auftritt?

Der flotte Toni hatte ja bereits auf unserem Album „Facing Gravity“ ein Lied gesungen. Für mich ist er – neben Reinhard Fißler – der beste Sänger der deutschen Rockgeschichte. Ich liebe seine gefühlvolle Stimme. Auf welche Art und Weise wir damals Kontakt zu ihm aufgenommen hatten, weiß ich heute gar nicht mehr. Aber offensichtlich ist der Kontaktversuch erfolgreich verlaufen. Für unser neues Album ist er fest mit eingeplant.

 

 

Welche Eindrücke hat bei euch eigentlich euer Auftritt am 19. Juli 2020 bei „Night Of The Prog“ auf der Loreley hinterlassen, bei dem ihr euch ja nach 23 Jahren erstmals wieder auf die Bühne getraut habt – und dann auch noch auf solch eine, parallel zu Tangerine Dream, IQ, Special Providence und Dilemma, die am gleichen Tag und gleichen Ort auftraten?

Ganz ehrlich: Das war einer der schönsten Tage meines Lebens. Und ich denke, bei den anderen Jungs sieht es ähnlich aus. Wir sind mit so viel Liebe, Begeisterung und Respekt dort empfangen worden, dass es uns schier umgehauen hat. Da sind tatsächlich Fans aus Frankreich, Schweden und sogar Kanada (!) angereist, um Chandelier zu sehen! Wahnsinn! Absoluter Wahnsinn! Solch eine Ego-Schub ist unbezahlbar!


Wie kam es eigentlich dazu, dass euer Loreley-Auftritt gleich in einer so guten Qualität mitgeschnitten und als CD/DVD-Kombination unter dem Titel „Live At Loreley“ veröffentlicht wurde?

Das mit der Aufnahme ist leicht erklärt. Der Veranstalter hat dies, glaube ich, allen Bands, die aufgetreten sind, angeboten, dass sie gegen recht kleines Geld einen Mitschnitt ihres Konzerts erhalten können (Audio und Video). Tja, und wir haben uns einfach auf diesen guten Deal eingelassen. Außerdem durften wir auch noch die Videoaufnahmen einiger Gäste nutzen.

 

Auf der DVD sieht man, wie im Hintergrund der IQ-Sänger Peter Nicholls euch sehr aufmerksam zuhört. Habt ihr denn daraufhin auch ein Feedback von ihm bekommen?

Ja, er kam nach Ende des Konzerttages auf mich zu und hat uns überschwänglich zu unserem Auftritt gratuliert. Ich hatte schon den Eindruck, dass dies ehrlich gemeint war. Wir kennen uns ja doch schon einige Zeit und hatten auch schon vor den Auftritten backstage miteinander geplaudert.

 

 

Ein Lichtblick am Horizont! Am 19. September spielt ihr beim Artrockfestival in Reichenbach, das bereits restlos ausverkauft ist und bei dem durch Corona extrem strenge Regeln gelten. Mit dabei ist auch STERN MEISSEN, die du, soweit ich weiß, sehr magst. Woran liegt das und wie hast du im Westen gerade eine Artrock-Band aus der ehemaligen DDR für dich entdeckt?

Dass ich STERN MEISSEN liebe, liegt einfach daran, dass das eine der weltweit geilsten Bands aller Zeiten ist! Die Atem beraubenden Kompositionen von Thomas Kurzhals und die phantastischen Stimmen von Reinhard Fißler (damals) und Manuel Schmid (heute) sind der Hammer. Ich habe schon viele, viele tolle Konzerte von Stern Meissen besucht und finde, dass es eine schreiende Ungerechtigkeit ist, dass diese wundervolle Band nie erfolgreicher werden durfte. Für mich spielten und spielen sie in derselben Liga wie Genesis, Yes, Pink Floyd, ELP usw. 

In jungen Teenagerjahren hatte ich einen Brieffreund in der DDR. Der wohnte in Gelenau, in der Nähe von (damals) Karl-Marx-Stadt (Heute Chemnitz – T.K.). Ich habe ihm immer AC/DC-Platten zugeschickt, und er hat mich mit Ost-Rock wie Karat, Electra, Lift oder eben Stern Meissen versorgt. So hatte ich als Wessi schon immer einen intensiven Kontakt zur bahnbrechend tollen Musik aus der DDR.

 

Was dürfen denn eure Fans beim Artrockfestival von euch erwarten?

Unser Set in Reichenbach wird sich schon ein wenig von dem auf der Loreley (NOTP 2019) unterscheiden. Wir spielen teilweise andere Songs und vor allem freue ich mich auf die Welturaufführung unseres neuesten Werkes „Help Me“, bei dem ich übrigens gemeinsam mit Toni singen werde.

 


Aus sicherer Quelle wissen wir auch, dass du unter die Schriftsteller gegangen bist, Martin. Dein Buch (Eine Review dazu folgt noch unter unserer Seite! - T.K.) trägt den wunderbar ironischen Titel „Commander Pimmel“ (Untertitel: „eine Prog-Trash-Novela“). Sehr humorvoll beschreibst du darin, um es mal ebenso humorvoll auszudrücken, eine „schwanzgesteuerte Zeitreise“, die aber nicht nur zum Lachen, sondern auch gehörig zum Nachdenken anregt. Erzähl' uns doch zum Abschluss dieses Interviews noch kurz was über „Commander Pimmel“, auch wie viel Musik und ob ein klein bisschen  CHANDELIER darin ist.

Ja, dieser ungemein poetische Titel soll sowohl ein gewisses Schmunzeln als auch vielleicht eine leichte Schockstarre bei spießigeren Gemütern hervorrufen. Dabei geht es inhaltlich eigentlich nur sehr wenig um Schwänze. Stattdessen erlebt der titelgebende Protagonist einige wirre Abenteuer, da er per Zufall in die Dienste eines Engels gerät, in dessen Auftrag er Reisen durch Raum und Zeit unternimmt und dabei auf solch illustre Persönlichkeiten wie Don Quijote, Putin oder aber auch Janis Joplin trifft. Apropos, wie der Untertitel verrät, steckt da viel gute Musik drin – Chandelier jedoch nicht. 

Vielen Dank, Martin, für das Interview. Und wenn du noch ein paar „letzte Worte“ hast, dann wäre es jetzt Zeit dafür!

Habe ich: Fresst keine Fledermäuse! 

 

Und hier noch ein kleines, dafür aber umso feineres PS:

CHANDELIER haben keine Kosten und Mühen gescheut, um mit einer besonderen Überraschung bei dem Artrockfestival in Reichenbach aufzuwarten: Es gibt ganz rares Vinyl und wieder ein Band-T-Shirt, das die Reichenbach-Besucher zum Super-Duper-Reichenbach-Spezial-Bundle-Preis gemeinsam mit einer streng auf 300 Stück limitierten blauen Vinyl-Version des ersten CHANDELIER-Albums erstehen können. Wer in Reichenbach nicht mit dabei ist, kann die LP (ohne T-Shirt) auch bestellen - und zwar hier: https://justforkicks.de/detail/index/sArticle/8923

 

 

Thoralf Koß - Chefredakteur (Info)
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