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Musa Dagh: Musa Dagh (Review)

Artist:

Musa Dagh

Musa Dagh: Musa Dagh
Album:

Musa Dagh

Medium: CD/LP/Download
Stil:

Alternative Rock

Label: Hayk / Cargo
Spieldauer: 33:14
Erschienen: 26.11.2021
Website: [Link]

Benennt sich eine Band nach einem Berg im türkischen Nurgebirge, dessen Name eng mit Franz Werfels aufwühlendem Romanepos "Die vierzig Tage des Musa Dagh" über den Genozid der Türken an der armenischen Minderheit in der Bevölkerung des Osmanischen Reichs zu Beginn des 20. Jahrhunderts verbunden ist, beweist sie gerade in einem politisch hypersensibilisierten gesellschaftlichen Klima wie jenem des Jahres 2021 eine Menge Mut. Weiß man allerdings, wer hinter MUSA DAGH steckt, wundert man sich nicht darüber, sondern gerät vorfreudig in Wallung - zumindest als Zeitzeuge der goldenen Jahre des deutschen Alternative Rock.

Die Gruppe besteht aus niemand Geringerem als dem armenischstämmigen Gitarristen Aren Emirze, der vor allem mit Harmful in die jüngere Musikgeschichte dieses Landes eingegangen ist und auch die Projekte Taskete sowie Emirsian betreibt, Beatsteaks-Schlagzeuger Thomas Götz und dem ehemaligen Blackmail- beziehungsweise Ken-Sänger Aydo Abay… der wiederum mit türkischem Background in Koblenz aufwuchs. Dennoch sind MUSA DAGH keine vordergründig politische Combo, sondern möchten schlicht die Hochphase des Indie-Kultlabels bluNoise aufleben lassen, vielleicht auch als Tribut an dessen verstorbenen Betreiber, den Produzenten Guido Lucas.

In jedem Fall ist das Debüt des Trios eine späte Überraschung in diesem an Highlights eher armen Alt-Rock-Jahr. Die Musiker reanimieren hier tatsächlich jene Tugenden, mit denen sich die ehemaligen Formationen des Gitarristen und Frontmanns zu Legenden machten - konkret Verspieltheit und kompositorische Unberechenbarkeit, gepaart mit einem zwanglosen Umgang mit musikalischen Einflüssen und bei aller einstweiligen Komplexität sicheren Händchen für massenkompatibles Songwriting.

Letzteres äußert sich in kurzen, spontan und dennoch klug konzipierten Liedern, die insgesamt gerade einmal eine halbe Stunde lang Krach schlagen und laut Band "einem abgerockten Raum in einer Gaswerksiedlung im Berliner Bezirk Lichtenberg" zusammengeklöppelt wurden. "Musa Dagh" atmet die Luft der 1990er als letztem Jahrzehnt der Unbeschwertheit vor 9-11, dem Internet als allgegenwärtigem Lebensbegleiter und der Erodierung des Musikbusiness als solchem durch die Digitalisierung.

Ungeachtet dessen setzen MUSA DAGH ungeheure Energie frei, und zwar ganz ohne plakative Brutalität oder anderweitige Superlative. Stücke wie ´Coin Base´ oder ´Halo´ knüppeln und stampfen, dudeln und frickeln, kommen aber immer auf irgendeinen Punkt, egal über welche Umwege. Dabei ist Abays Stimme das kittende Element und emotionale Hook, an dem man sich festhalten kann, ob in melancholischer Stimmung wie während ´Less Morphine´ und ´Kool Aid´, zynisch genervt à la ´I´m Fine Thanks´ oder vorsichtig positiv geneigt wie in ´Like/Love´.

Auf der Instrumentalen Ebene regiert wie angedeutet kontrollierter Wahnsinn, wohinter man sowohl die anderen Betätigungsfelder der Mitglieder als auch amerikanische Acts wie At the Drive-In wittert. Das abschließende Titelstück ist dann dem Namen entsprechend der Gipfel jenes Kopfkinos, das sogenannter Alternative Rock ursprünglich generell fast immer war. Ach ja, und die Texte verfolgt ihr bitte auch ganz aufmerksam, selbst wenn sie keinen poltischen Zündstoff liefern, wobei… Man beachte das "1915" der URL der Internet-Präsenz des Dreiers.

So oder so: Feuerzeuge solltet ihr ohnehin lieber anmachen, um Friedenspfeifen zu entzünden, oder ein Feuerwerk vor lauter Freude über dieses tolle Album.

FAZIT: Die Indie-Rock-Platte des Jahres und ganz nebenbei ein Anwärter auf den inoffiziellen Alternative-Prog-Preis? MUSA DAGH machen 2021 kurz vor knapp zu einem Fest für Szenegänger, die sich die Innovation und Tiefe "von damals" zurückwünschen. Supergroup erfahrener alter Hasen? Mag sein, aber aus Freundschaft und brennendem Schaffensdrang erwachsen, so wie es eigentlich immer sein sollte, wenn Bands gegründet werden.

Andreas Schiffmann (Info) (Review 3184x gelesen, veröffentlicht am )

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Wertung: 13 von 15 Punkten [?]
13 Punkte
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Tracklist:
  • 01] Coin Bank
  • 02] Superhuman Gift Shop
  • 03] Less Morphine
  • 04] Halo
  • 05] Plural Me
  • 06] I'm Fine Thanks
  • 07] Like/Love
  • 08] Life Fucked Balance
  • 09] Kool Aid
  • 10] Musa Dagh

Besetzung:

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